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Kommentar Räumung Hambacher ForstLebensgefahr durch Schutzmaßnahme

Anett Selle
Kommentar von Anett Selle

Im Forst wird geräumt, weil die Baumhäuser keinen Schutz vor Feuer bieten. Die Regierung zeigt dabei das Diplomatiegefühl einer Dreijährigen.

Scheint sich ebenfalls nicht zu freuen: die Polizei Aachen muss den Erlass umsetzen Foto: dpa

D ie Weisung des Ministeriums für Heimat, Bau und Gleichstellung ist eindeutig: Die Baumhäuser im Hambacher Forst seien sofort zu räumen. Dass es zu einer Räumung der Besetzung kommen könnte, war lange klar. Aber wie das NRW-Bauministerium von Ina Scharrenbach (CDU) dies nun einleitet, zeugt vom Diplomatiegefühl einer Dreijährigen an der Supermarktkasse.

Im Erlass des Ministeriums steht als Begründung: „Gefahr im Verzug für Leib und Leben der Baumhausbewohner aus Brandschutzgründen“. Das jedoch nicht etwa während des Rekordsommers mit zahlreichen Waldbränden, sondern im September. Nach Jahren, in denen die Baumhäuser schon bewohnt werden. Plötzlich bemerkt man also Brandgefahr, sogar akute: Aus Sicherheitsgründen dürfe es keinen zeitlichen Aufschub bei der Räumung geben.

Mit ihrem Vorgehen schafft Scharrenbach vier auf einen Streich: Zunächst einmal bringt sie die beiden Bauordnungsämter der Stadt Kerpen und des Kreises Düren in eine unmögliche Position. Die Ämter müssen den Erlass umsetzen. Sie sind weisungsgebunden. Nun sind also zwei kleine Ämter offiziell verantwortlich einen Einsatz, den ein Sprecher der Aachener Polizei als einen der größten in der jüngeren NRW-Geschichte bezeichnet.

Die Bauämter scheinen sich über die neue Rolle nicht gerade zu freuen: Wie der WDR berichtet, wollen sie Aufschub gewähren – trotz der Dringlichkeit laut Erlass – sofern die BaumhausbewohnerInnen einstweilige Verfügungen erwirken wollen. Die Wortwahl „wollen“ statt „können“ oder „erwirkt haben“ deutet auf ein Entgegenkommen hin.

Manche Bewohner leben seit Jahren hier

Wer sich ebenfalls nicht zu freuen scheint, ist die Polizei Aachen. Auch sie hängt drin, denn die beiden Bauämter können den Erlass nicht allein umsetzen: Also stellen sie, die keine Wahl haben, einen Gesuch um Amtshilfe an die Polizei, woraufhin die ebenfalls keine Wahl mehr hat. Amtshilfe muss geleistet werden, so Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach im Pressegespräch am Mittwochnachmittag.

Und: Sollte auch nur passiver Widerstand geleistet werden, bedeute das Lebensgefahr „für alle Beteiligten“.

Mit passivem Widerstand ist erfahrungsgemäß zu rechnen. Manche BesetzerInnen leben seit Jahren hier. Ein Einsatz, der offiziell stattfindet, um Menschen vor dem mangelhaften Brandschutz ihrer Häuser zu retten, bringt sie und BeamtInnen also in akute Lebensgefahr durch Sturz aus bis zu 20 Metern Höhe. Ob die Maßnahme notwendig, zweckmäßig oder rechtmäßig sei, könne er nicht beantworten, sagt Weinspach. Das sei ja nicht seine Operation. Richtig, es ist die von Scharrenbachs Ministerium. Das schubst die Dominokette um. Die Landespolitik mischt sich ein im Konflikt zwischen KohlegegnerInnen und RWE: Und mit den Folgen dürfen sich andere beschäftigen.

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Anett Selle
Freie Reporterin, unterwegs für die taz seit 2018. Angefangen bei einem Radio in Alaska, weitergemacht bei Zeitungen in Berlin und Ruhrregion, ausgebildet an der Deutschen Journalist*innenschule in München, dann Redakteurin bei der Welt in Berlin. Manche Recherche läuft mit Livestream.
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24 Kommentare

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  • Passt mal wieder:

    "Verseuch’ die Luft, verstrahl’ das Land, mach ungestraft den größten Schaden,



    Nur laß dich nicht erwischen bei Sitzblockaden!



    Man packt den Grünfried, doch das Umweltschwein genießt Vertrau’n,



    Und die Polizei muß immer auf die Falschen drauf hau’n. "

    Reinhard Mey - Sei wachsam, 1996

  • "Das sei ja nicht seine Operation."



    Will Weinspach das auch antworten, wenn jemand durch die Räumung stirbt oder langfristige Gesundheitsschäden erleidet?

    "Amtshilfe muss geleistet werden, so Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach im Pressegespräch am Mittwochnachmittag."



    Wäre das die Aachener Art des "Befehlsnotstandes"?

    So funktionieren Befehlsautomaten und ihr "Gewissen".

  • Was redet ihr da??? Camping?? - Diplomatiegefühl?? - Gender- Diskussionen?? - es geht ums Klima, um unsere Zukunft!!!



    Was fehlt: Der Aufruf in der TAZ die Aktionen im Wald zu unterstützen

  • Wohnen im Wald ist nur auf ausgewiesenen Campingplätzen zulässig. Wohnen ist auch nicht durch das Demonstrationsrecht gedeckt. Insoweit verstößt bereits das Wohnen im Hambacher Forst gegen Gesetze. Insoweit nur gut, dass sich die Verwaltung endlich kümmert.

    • @DiMa:

      Wenn das so ist, wieso dann der völlig lächerliche Umweg über den Brandschutz?

      • @Arno Birner:

        Wegen der Gefahr im Verzuge.

      • @Arno Birner:

        Nur beim Brandschutz ist Gefahr im Verzuge.

      • @Arno Birner:

        Weil der Staat am Ende doch immer noch eine zusätzliche Begründung braucht, um Menschen Zwang anzutun, wenn sie sich der Rechtslage nicht freiwillig fügen.

        Manchmal greift er dafür auch zu Ausreden. Sie können aber umgekehrt sicher sein, dass auch die diversen Rechtsmittel, mit denen die Besetzer sich bislang GEGEN die Räumung gestemmt haben, recht wenig mit dem eigentlichen Grund ihrer Anwesenheit zu tun haben (nämlich sich selbst als tatsächliches Hindernis für die Rodung einzusetzen).

        Die juristischen Winkelzüge um die Räumung sind ein Stellvertreterkrieg um die eigentliche Sache: Die RWE will roden, und die Besetzer wollen sie zwingen, das zu lassen. Da die RWE zum einen Eigentümerin des Waldes und zum anderen - wie auch immer - an eine rechtskräftige Rodungsgenehmigung gekommen ist, sitzt sie rechtsstaatlich am längeren Hebel und DARF den Staat vor ihren Karren spannen. Sich jetzt darüber zu mokieren, dass das Geplänkel um die Durchführung teilweise mit "kreativen" juristischen Argumenten geführt wird, ist letztlich bigott. Nebenkriegsschauplatz ist Nebenkriegsschauplatz.

    • @DiMa:

      das wohnen im Hambi ist politischer gewaltfreier Protest!! (Hä?? Camping??)



      wo lebst du??



      Was fehlt. Der Aufruf in der TAZ die Aktivisten im Hambi zu unterstützen!!!



      Kommt massenweise!!



      Nur so bewegen wir was!!!

      • @Erich Lang:

        Nochmals, diese Art des "gewaltfreien Protestes" (sorry, Zwillen und Molotowcotails sind nicht gewaltfrei) ist nunmahl durch das Demonstrationsrecht nicht gedeckt.

        Im Übrigen sind alle Gerichtsverfahren durch die Umweltschützer verloren gegangen und die Rodung des Waldes geschieht in Übereinstimmung mit dem Recht. In einer Demokratie ist das das für mich Entscheidende.

        Massenweise kommen auch die Polizisten. Bedauerlicherweise muss ich dafür mittebar bezahlen.

  • Das übliche Denken: Meine Lösung - dein Problem.

    Kombiniert mit einem gewissen Untertanengeist ("Keine Ahnung, ob das rechtens ist oder wenigstens sinnvoll. Ich führe nur Befehle aus.") kann das Diplomatiegefühl sozial und mental Dreijähriger zur tödlichen Gefahr werden, wenn es nicht an der Supermarktkasse zum Tragen kommt, sondern in einem Ministerium - oder in 20 Metren Höhe auf einem Baum. Wobei. Das kenne ich dann doch eher von Teenagern, dass sie sich auflehnen gegen Autoritäten mit dem Satz: "Zwing mich doch!" Teenager wissen schließlich, wie man sich zum Opfer macht und was das bringt. Kleinkinder nicht.

  • Die Regierung hat es ja auch mit Dreijährigen zu tun. Ein Blick auf das Gesamtgebiet aus der Vogelperspektive genügt, um festzustellen, dass vom Hambacher Forst ohnehin nicht mehr viel übrig ist. Deutschlands Waldfläche, die ohnehin ca. ein Drittel des Staatsgebietes ausmacht, wächst kontinuierlich, jährlich um etwa eine Fläche, die der Größe der Stadt Karlsruhe entspricht.

    • @Trango:

      Das ist nicht irgendein Wald. Es gibt (gab) in Deutschland zwei Urwälder, die älter sind als 10.000 Jahre: den Hambacher Forst und Teile des Bayrischen Waldes.



      Wenn der Hambacher Forst nicht auf Braunkohle stehen würde, wäre er längst Naturschutzgebiet.



      Aber wir hacken ihn ab - für Kohle, für Braunkohle! Für ein Energiesystem, das gerade dabei ist, sich selbst abzuschaffen. Wenn wir so weitermachen, dann nimmt es die Menschheit gleich mit. Aber dann dauert es wieder 12.000 Jahre bis so was wie der Hambacher Forst wächst...

    • @Trango:

      Die Quelle würde mich auch interessieren und, falls vorhanden, die zugrundeliegende formelle Definition von "Waldgebiet". Da wird nämlich gern mal euphemisiert, dass die Schwarte kracht. Was RWE dort auf der Sophienhöhe als "Ersatz" für den Hambacher Forst etwa anzubieten hat, ist kein besonders guter Witz.



      Außerdem geht es natürlich nicht nur um den kümmerlichen Rest Forst. Allen Beteiligten ist vollkommen klar, dass der verbliebene Teil symbolisch für den schon abgeholzten steht und es hier um die Politisierung des Themas geht.



      Ein Verständnis für symbolische Verdichtung gehört zu einer "erwachsenen" Hermeneutik politischer Prozesse, es sei denn, man möchte es absichtlich ins Lächerliche ziehen.

    • @Trango:

      Und zum zweiten: Die "Dreijährigen" würden diesbezüglich wohl weiser und ökologischer handeln, als Sie - oder wie darf ich Sie da verstehen? ;)

    • @Trango:

      Quelle dafür? Und was für ein "Wald" soll das sein? Wo ist der Bezug/die Relevanz für die Zerstörung eines Jahrhunderte gewachsenen Waldes, Ökosystemes, wie der Hambacher Wald?

    • @Trango:

      Ein Beleg zu Ihrer letzten Behauptung würde mich sehr interessieren, ebenso wie - falls es einen gibt - die zugrundegelegte formelle Definition von "Waldgebiet". Bei diesen Dingen wird statistisch nämlich gerne mal lustvoll euphemisiert. Was RWE da zum Beispiel auf der Sophienhöhe als "Ersatz" für den Forst anbietet, ist in Hinblick auf das zu Ersetzende beispielsweise kein besonders guter Witz.



      Darüber hinaus geht es hier selbstredend auch um Politisierung mit symbolischen Aktionen. Dass der verbleibende Teil dieses Waldes vor allem ein Symbol für den schon abgeholzten Teil ist, ist (anders als Ihnen?) allen Beteiligten klar. So erreicht man eine politische Verdichtung, natürlich geht es nicht nur um das Unmittelbare - das zu erkennen, gehört wohl mindestens genau so zu einer "erwachsenen" politischen Hermeneutik, sofern man den Konflikt nicht absichtlich ins Lächerliche ziehen will.

  • "Die Regierung zeigt dabei das Diplomatiegefühl einer Dreijährigen."

    Ich finde das im höchsten Maße sexistisch. Haben weibliche Dreijährige weniger Fingerspitzengefühl als männliche?

    • @Sophokles:

      Ironie? Da hätte genauso gut "Dreijähriger" stehen können. Das wäre dann wieder nicht gendergerecht.



      Dann geh' doch 'ne Sponti anmelden und setz' dich für diskriminierte Kleinkinder ein, denen ihr Gefühl für Diplomatie abgesprochen wird.

      • @X7n2rN3EF:

        Nee, nee, ich bin da auch sofort drüber gestolpert, wieso es ausgerechnet ein Mädchen sein muss, dessen Kommunikationsfähigkeiten hier als Negativbeispiel herangezogen werden. Standard wäre ja männlich gewesen, für die weibliche Variante muss man sich aktiv entscheiden. Bissl merkwürdig...

        • @Arno Birner:

          Der Genus von "Regierung" ist weiblich, as simple.

      • @X7n2rN3EF:

        Es ist schon korrekt analysiert. Ein Kind, das Kind, ist neutral und dabei hätte es bleiben können. Ergo, "eines dreijährigen Kindes".

        • 8G
          84935 (Profil gelöscht)
          @CareCaptain:

          Regt Euch über RWE, ihre Helfershelfer und im besonderen unsere Klimapolitik im Allgemeinen auf... und nicht über so was! Die Frau Ministerin ist nun mal weiblich und daher wird ihr das Diplomatiergefühl EINER Dreijährigen attestiert. Gez. Oberlehrer SamS

  • Steht schon fest welche Bands kommen?