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Proteste im Hambacher ForstGewaltsames Finale droht

Hundertschaften durchsuchen das Camp von Tagebau-GegnerInnen und die mobilisieren UnterstützerInnen. Eine Eskalation scheint unausweichlich.

Steinwürfe und Verhaftungen: Der Konflikt zwischen Tagebaugeg­nern und Polizei spitzt sich zu Foto: Roman Kutzowitz

„In Russland würde es so was nicht geben“, sagt der Taxifahrer auf dem Weg in den Hambacher Forst. „Das ganze Anrücken, Abrücken. Da kommt die Polizei einmal, und dann ist es vorbei.“ Der Dürener Fahrer lebt seit 30 Jahren in Deutschland. Das Geschehen in dem berühmten Wald scheint er eher pragmatisch zu sehen und fügt hinzu: „Wobei, Russland ist keine Demokratie. Ohne Demokratie geht das schneller.“

Im seit 2012 besetzten Hambacher Forst könnte sich jetzt zeigen, wie langsam eine Demokratie arbeiten muss. Die Immensität der Gewalt, die sich hier anbahnt, scheint kaum noch zu verhindern. Das vergangene Wochenende, an dem mehrere Hundertschaften im Einsatz waren, um RWE-MitarbeiterInnen Geleitschutz bei der Beseitigung von Blockaden zu geben, und an dem PolizistInnen mit Steinschleudern verletzt und mit Böllern wie Molotowcocktails beschossen wurden, liefert nur eine Ahnung von dem, was da kommen mag.

Ab dem 1. Oktober darf RWE wieder roden. Es geht um das letzte Waldstück. Und um dieses dem Erdboden gleichzumachen, muss die Besetzung komplett beseitigt werden. Die Aachener Polizei bereitet einen riesigen Einsatz vor. „Die Polizei in Aachen fordert Verstärkung an, so wie sie sie braucht“, sagt ein Sprecher des Innenministeriums von Nordrhein-Westfalen (NRW) der taz.

„Wie viele Beamte genau eingesetzt werden, kann man jetzt noch nicht sagen, dafür ist die Lage zu dynamisch.“ Bei anderen Großeinsätzen in NRW seien schon 5.000 bis 6.000 BeamtInnen im Einsatz gewesen.

Angespannte Stimmung

Aus dem besetzten Wiesencamp, das noch im Frühjahr wie ein Ferienlager wirkte, ist die Freude gewichen. Noch dürfte die Zahl der BesetzerInnen dreistellig sein, aber jeden Tag werden sie mehr. „Man merkt, wie angespannt die Stimmung ist“, sagt einer von ihnen. Neben UmweltaktivistInnen machen auch die BewohnerInnen benachbarteer Dörfer mobil, die dem Tagebau ebenfalls weichen sollen.

Am Dienstag trafen Hundertschaften für eine Durchsuchung der Wiese ein. Laut Polizeiangaben ging es dabei um Beweise für kürzlich begangene Straftaten und Gegenstände, die zur Vorbereitung solcher benutzt werden könnten.

Die Frage ist jetzt: Lässt sich eine gewaltsame Eskalation noch verhindern? Und wenn ja, wie? Fakt ist: Rechtlich darf RWE roden. Fakt ist auch: Die BesetzerInnen werden nicht weichen. Am Montag luden die Spitzen großer und kleiner Umweltverbände auf einer Wiese am Hambacher Forst zu einer Pressekonferenz und übernahmen Patenschaften für die Bäume.

Sie wollen, dass die Konfrontation – wenn nicht abgewendet – so wenigstens aufgeschoben wird. Greenpeace, der BUND, der Landesverband für Erneuerbare Energien, die Naturfreunde Deutschlands sowie die AnwohnerInnen-Organisation Buirer für Buir bitten die Politik, RWE dazu zu bewegen, mit der Räumung zu warten.

Umweltverbände wollen Zeit

Die Verbände beteiligen sich in der von der Bundesregierung im Juni eingesetzten Kohle-Ausstiegskommission und finden: Man dürfe keine unumkehrbaren Fakten schaffen, bis die kommissionelle Arbeit im Winter beendet sei. „Wir glauben nicht, dass die Kommission ohne Störungen arbeiten kann, wenn hier gleichzeitig der Hambacher Wald gerodet wird“, sagte Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace.

Was die Umweltverbände wollen, ist Zeit. Dabei berufen sie sich auf eine Kleine Anfrage der Grünen. Aus der Antwort der NRW-Landesregierung geht hervor, dass RWE für den planmäßigen Abbau 2018/19 etwa 80 bis 100 Hektar Land benötigt – die Fläche zwischen Restwald und Tagebau beträgt aber 150 Hektar. Es sei dem Konzern also möglich, die Rodung ohne Verluste aufzuschieben, erklären die Verbandsvertreter einhellig.

Rodungen waren bekannt, weit bevor die Kommission eingesetzt wurde

RWE-Sprecher

Daran bestehe ihrer Ansicht nach aber kein Interesse, im Gegenteil: RWE lege es darauf an, dass die Umweltverbände sich im Falle einer Rodung aus der Kommission zurückzögen und diese platze. Außerdem gehe es RWE darum, die Entschädigungssumme im Falle eines Kohleausstiegs hochzutreiben.

RWE sieht das anders: Entscheidend für die Rodung seien Sicherheitsabstände, die gewahrt werden müssten, sagt Sprecher Lothar Lambertz der taz. „Dass RWE in diesem Herbst Rodungen vornehmen muss, damit dem Tagebau in Hambach nicht zeitnah die Kohle ausgeht, aus der 15 Prozent des Stroms in NRW produziert werden, war öffentlich bekannt, noch weit bevor die Kommission eingesetzt worden ist.“ In der Kommission sehe man eine Chance, ein schwieriges Thema zu befrieden.

Drei Möglichkeiten gegen eine Katastrophe

Wie kann angesichts dieser verhärteten Positionen noch verhindert werden, dass es im Hambacher Forst zu einer Katastrophe kommt? Drei Möglichkeiten gibt es. Erstens, RWE findet eine Möglichkeit, die Rodungen aufzuschieben. Zweitens, die Landesregierung ändert die unter Vorbehalt erteilte Genehmigung für die aktuelle Saison, sodass sie Rodungen ausschließt – RWE hätte dann wahrscheinlich Anspruch auf Schadenersatz.

Drittens, das beim Oberverwaltungsgericht Münster anhängige Verfahren des BUND wird rechtzeitig bearbeitet und die aufschiebende Wirkung einer früheren Klage wiederhergestellt.

Für den Hambacher Forst allerdings sieht es in jedem Fall schlecht aus: Von der Aachener Zeitung befragte Bergbauexperten stellen fest: Um die Böschungen in kommenden Jahrhunderten stabil zu halten, müsse der Tagebau selbst bei sofortiger Stilllegung um einige Hundert Meter in alle Richtungen vergrößert werden. Vom Wald trennen ihn momentan noch etwa 300 Meter.

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11 Kommentare

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  • "Um die Böschungen in kommenden Jahrhunderten stabil zu halten, müsse der Tagebau selbst bei sofortiger Stilllegung um einige Hundert Meter in alle Richtungen vergrößert werden."

    Alternativlos...man muss diesen Fachleuten schon glauben, wenn sie was sagen.



    Man könnte zwar auch die Senke verfüllen und so die Hangbasis stützen, aber wegbaggern scheint bei denen ja generell das einzige zu sein. Hinbaggern kostet vermutlich mehr Geld.

  • Ja, DAAA sind die alle! Kein Wunder, dass in Chemnitz keiner zur Verfügung stand, die mussten echt wichtigere Aufgaben übernehmen!

  • Ich finde es schade, dass die taz ungeprüft die Aussage von "Bergbauexperten" übernimmt: "Um die Böschungen in kommenden Jahrhunderten stabil zu halten, müsse der Tagebau selbst bei sofortiger Stilllegung um einige Hundert Meter in alle Richtungen vergrößert werden." Warum sollten denn mit dem Abraum nicht Böschungen neu angelegt werden? Natürlich ist das sehr viel aufwendiger - aber kaputt machen ist immer einfacher.

  • Eine Sache irritiert mich, woher weiß die TAZ, dass Böller und Molotowcocktails geflogen sind? Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand der den Wald schützen will mit Feuer schmeißt. Kann es sein, dass das ungefiltert aus einer Pressemitteilung der Polizei kommt? Vor Ort war davon nämlich weder etwas zu sehen, noch zu hören...

  • Ich möchte so gerne den Menschen helfen, die den Wald schützen.

  • "...Wie kann angesichts dieser verhärteten Positionen noch verhindert werden, dass es im Hambacher Forst zu einer Katastrophe kommt?..."



    Die totale Katastrophe wird eine Erderwärmung von 3-4°C sein,, die das Potsdam- Instizut für Klimaforschung vorausgesagt hat, wenn der Mensch so weitermacht wie bisher. Und genau das tut er. Braunkohle verbrennen z.B. Gegen jeden Verstand. Das der Staat tausende Polizisten gegen Menschen vorgehen läßt, die sich für den Fortbestand der Menschheit einsetzen grenzt an Saatsversagen erster Güte.



    So ein brutaler Polizeieinsatz provoziert geradezu Gewalt. Die Politiker, die an Kohleverbrennung festhalten, sind nur noch Marionetten der Energiekonzerne wie RWE.



    Diese Politiker sollten wir aus dem Amt jagen und nur noch Strom von Anbietern wie Greenpeace, Naturstrom oder Lichtblick beziehen.



    Und über unseren völlig aus dem Ruder gelaufenden Massenkonsum nachdenken von Gütern, die hauptsächlich mit Dreckstrom wie aus Braunkohle produziert wird. Boykott ist das Stichwort !

    • @Traverso:

      Ja gelle, nur weil ein paar Regentage scheint der Klimawandel schon vorbei und dabei haben wir uns die Erde von zukünftigen Generationen nur geliehen. (Marx)

  • Um ein paar Umweltbewegte zu vertreiben stehen problemlos 5000 Beamte parat.



    Aber wenn weiter östlich in Chemnitz marodierende Banden Hitlergrüße zeigen und Menschen, die angeblich nichtdeutsch aussehen, jagen, dann kann man nicht mal 1000 Beamte aufbringen.



    Widerlich.

  • eine katastrophale Dummheit, nicht sofort aus dem Kohlebbau ausgestiegen zu sein.

  • So funktioniert Kapitalismus.



    Als Aktionär mitten drin: Der Krake BLACK ROCK, auch bekannt als die "heimliche Weltmacht".

  • Liebe TAZ, nennt euch doch bitte in Postillion, Titanik, Extra3, Heute Show oder sonstwie um, aber dass "unsere" Regierung mit brutalster Gewalt seine Bürger nieder knüppeln will, um, nach so einem Sommer, einen fürs Klima nützlichen Wald zu roden und noch etwas Kohle und, im übertragenen Sinne, Subventionen verbrennen zu können, kann nur Satire sein.