Kommentar Nach der Wahl in Israel: Warum Netanjahu gewann
Sicherheit ist für die Israelis das alles dominierende Thema. Das stärkt das rechte Lager. Ändern könnten das nur die Palästinenser.
W er schon einmal die weltoffenen Israelis in den Tel Aviver Cafés kennengelernt und anschließend vielleicht noch in einem Kibbuz ein paar Tage ausgespannt hat, der fragt sich unweigerlich: Wie kann Benjamin Netanjahu bloß die Wahlen gewonnen haben? Und wieso geben angesichts von quasi Schweizer Preisen im Super- und auf dem Wohnungsmarkt nicht ohnehin mehr Israelis linken Parteien ihre Stimme?
Die Antwort ist gar nicht so kompliziert. In der europäischen Wahrnehmung, aber auch in der von so manchem israelischen Linksliberalen, ist das „echte“ Israel immer noch das der sozialdemokratischen Staatsgründer*innen – und der Rechtsruck eine Art Betriebsunfall. Die „richtigen“ Israelis, das sind solche wie Schimon Peres oder Jitzhak Rabin, David Ben Gurion, Golda Meir oder Amos Oz, die alte Elite mit Wurzeln in Europa, die den jungen Staat prägte und später auch den Friedensprozess in Gang setzte.
Aber dieses Israel existiert schon lange nicht mehr. Heute ist das Land mehrheitlich tatsächlich das, wofür Netanjahu steht: rechter, konservativer, wirtschaftsliberaler und amerikanischer als in den ersten drei Jahrzehnten. Und ähnlich wie in Trumps Anhängerschaft stehen auch in Israel viele aus dem rechten Spektrum der „linken Elite“ misstrauisch bis feindselig gegenüber.
Im Zweifel also denjenigen, die in den Cafés in Tel Aviv sitzen oder im idyllischen Kibbuzim leben. Netanjahus Wähler wohnen in Orten wie Petach Tikwa, Bet Schemesch, Sderot oder Modi’in. Es ist die Peripherie, die ihn und seine Verbündeten stark macht.
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Auch für die erstaunlich geringe Bedeutung der sozialen Probleme bei den Wahlen gibt es eine Erklärung. Umfragen belegen: Das Thema Sicherheit ist nach wie vor die alles entscheidende Frage für die Israelis. Viele mögen Netanjahu vielleicht nicht, seine Unbescheidenheit, die Arroganz der Macht und die Schmutzkampagnen gegen seine politischen Gegner.
Doch sie schätzen ihn als einen Regierungschef, der ihnen ein halbwegs sicheres Leben ermöglicht. Und sie haben nicht vergessen, dass Netanjahu vor dem Abzug aus dem Gazastreifen, aus dem heute so viele Raketen fliegen, gewarnt hatte. Wen kümmern da schon die Korruptionsvorwürfe?
„Land gegen Frieden“
Auch der Herausforderer Benny Gantz setzt als ehemaliger Armeechef auf das Thema Sicherheit. Doch General zu sein, das reicht inzwischen nicht mehr. Schließlich hat Ehud Barak, ebenfalls ehemaliger Generalstabschef, seinerzeit als Premierminister gerade in der Sicherheitsfrage völlig versagt; unter seiner Führung brach die Zweite Intifada aus.
Kurzum: Derzeit haben die politischen Kräfte jenseits des rechten Lagers keine Chance. Und, so paradox es klingen mag, nur die arabische Seite kann daran etwas ändern. Da wären zum einen die Palästinenser mit israelischem Pass, die sogenannten israelischen Araber. Sie haben wegen geringer Wahlbeteiligung nur 10 von 120 Sitzen gewonnen.
Ohne Boykottaufrufe, mit hoher Wahlbeteiligung könnten sie ihre Mandate nahezu verdoppeln und den Abstand, mit dem das rechte Lager vorne liegt, dahinschmelzen lassen. Zum anderen müssten sich die politischen Verhältnisse im Gazastreifen ändern. Es brodelt dort schon lange, die Proteste gegen die islamistische Hamasregierung nehmen zu.
Würden aus dem Gazastreifen nicht länger Raketen abgefeuert, „Feuerdrachen“ zwecks Brandstiftung nach Israel losgeschickt und die Grenze gestürmt, mischten sich die Karten neu. Die Verhandlungsformel „Land gegen Frieden“, die für das linksliberale Lager bis hin zur politischen Mitte immer von zentraler Bedeutung war, bekäme wieder Sinn. Utopisch ist das nicht. Auf beiden Seiten erinnern sich noch viele, nicht selten mit Wehmut, an die Zeiten, als die Israelis am Sabbat mal eben zum Humusessen nach Gaza fuhren und die Palästinenser ihr Auskommen in Israel fanden.
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