Kommentar Kopftuchdebatte: Mit Kopftuch und High Heels
Wer Kritik am Kopftuch formuliert, wird schnell der Beförderung rassistischer Stereotype bezichtigt. Rational nachvollziehbar ist das nicht.
V or einem Jahr hat Terre des Femmes ein Positionspapier zum „Kinderkopftuch“ verabschiedet. Darin forderte die Frauenrechtsorganisation, das Tragen des Kopftuchs solle „im öffentlichen Raum vor allem in Ausbildungssituationen“ für minderjährige Mädchen verboten werden. Eine Gruppe von Frauen kritisierte dies prompt.
Eine solche Forderung schüre antimuslimischen Rassismus und die gesellschaftliche Ausgrenzung der betroffenen Mädchen. Anderswo wurde geschrieben, „die Bereitschaft, ethnische und religiös definierte Gruppen mit ihren Symbolen zu markieren“, spiele jenen in die Hände, die diskriminierenden Umgang mit Muslimen pflegten.
Diese Reaktionen waren absehbar. Der Automat, der den Vorwurf der Beförderung von Rassismus produziert, springt immer an, wenn Feministinnen das Kopftuch als Symbol und Instrument der patriarchalischen Unterdrückung von Frauen kritisieren. Sie werden auch schon mal kurzerhand als Anhängerinnen eines „toxischen Feminismus“ diffamiert.
Suggeriert wird in diesem Zusammenhang auch gern, nur traditionalistische Muslime seien authentische Muslime. Wer türkische, arabische, kurdische oder iranische Vorfahren hat und laizistisch argumentiert, gilt den Verfechtern der neuen Identitätspolitik komischerweise nicht mehr als Betroffene. Deren Recht auf Hörbarkeit wird sonst doch so vehement eingefordert.
Es lohnt sich, diese Denkfiguren logisch nachzuvollziehen. Dann zeigt sich, wie unhaltbar sie sind: Nicht das Kopftuch als solches markiert demnach seine Trägerin als gläubig, demütig, im gebärfähigen Alter befindlich oder „rein“, sondern die Kritik, dass nicht alle Frauen, Mädchen, Kinder freiwillig das Tuch tragen. Nicht der diskriminierende Umgang mancher Familien mit ihren Mädchen ist demnach ein Problem. Vielmehr schafft, wer den familiären Druck auf Frauen und Mädchen benennt, angeblich einen Anlass für Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft.
Keine Debatte ohne Widersprüche
Klar, dass diese Behauptungen konservativen Islamverbänden und Stellvertreterorganisationen von klerikal-autoritären Regimen wie dem Iran zupasskommen, die per Strafandrohung Frauen dazu zwingen, Kopftuch zu tragen. Dass aber Feministinnen und sich selbst als progressiv, links oder liberal verstehende Menschen sie sich zu eigen machen, ist erstaunlich.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen prüft derzeit ein Kopftuchverbot für Kinder in Grundschulen. Die taz druckte in der vergangenen Woche ein Interview mit Sonja Fatma Bläser, die sich einer Zwangsheirat widersetzt hat, zwei Mordanschläge überlebte und sich für ein Verbot des Kopftuchs für Grundschulkinder einsetzt. In der Unterzeile, die das Gespräch ankündigt, war zu lesen: „Dass ihr deswegen Rechtspopulisten applaudieren, nimmt sie in Kauf.“ Sind die Argumente Bläsers deswegen weniger nachvollziehbar?
Es gibt Feministinnen, die gute Gründe dafür nennen, warum sie gegen das Tragen von Kopftüchern sind. Und es gibt Feministinnen (mit und ohne Kopftuch), die zu Recht darauf bestehen, dass es nicht im Sinne einer liberalen Gesellschaft ist, Frauen vorzuschreiben, wie sie sich (nicht) anziehen sollen. Und es gibt junge Frauen, die sich selbst darstellen, indem sie sich aus dem Kleiderfundus eine Identität basteln, die sich den Ansprüchen von Eltern wie der Mehrheitsgesellschaft gleichermaßen entzieht. Sie performen auf der Bühne der Öffentlichkeit , indem sie das islamische Kopftuch mit grellem Lippenstift, engen Jeans und High Heels kombinieren. Hier zeigen sich die Widersprüche des Kopftuchdiskurses am lebenden Subjekt.
Wer diesen Diskurs rational führen will, muss solche Widersprüche aushalten. Wer auf Kritik am Kopftuch aber mit der Rassismuskeule antwortet, formuliert keine Argumente, sondern bekundet bloß sein Desinteresse, welche auszutauschen.
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