Kommentar Kanzlerinmehrheit: Merkels Härte

Für Merkel war der Griechenland-Gipfel ein voller Erfolg. Auch im Bundestag wird es nicht genug Stimmen geben, die ihr den Sieg nehmen könnten.

Bundeskanzlerin Merkel vor den Portraits von Kiesinger und Erhardt

Angela Merkel mit den Altkanzlern Georg Kiesinger und Ludwig Erhard im Rücken. Foto: dpa

Für Angela Merkel ist das Ergebnis des Griechenland-Gipfels ein großer Erfolg. Wie groß, wird erst zu erkennen sein, wenn sich der Pulverdampf der Krisentage verzogen hat. Alles läuft darauf hinaus, dass die Griechen neue Milliardenhilfen bekommen. Athen bleibt im Euro, ein Grexit, den die Bild-Zeitung und viele Kritiker in Merkels Union herbeigesehnt haben, findet nicht statt. Für diese strategische Grundsatzentscheidung verdient Merkel Respekt. Die mächtigste Frau Europas hat es vermieden, als Kanzlerin in die Geschichtsbücher einzugehen, in deren Ära die Eurozone zerfällt.

So viel zum Lob. Inhaltlich ist der Kompromiss, den Merkel aushandelte, so brutal, dass er diesen Namen eigentlich nicht verdient. Griechenlands Regierung steckt in Zukunft in einem neoliberalen Zwangskorsett, das sie innenpolitisch entmachtet. Alexis Tsipras wurde zum Erfüllungsgehilfen der EU-Institutionen degradiert.

Diese Entdemokratisierung hat Merkel nicht nur gutgeheißen, sondern aktiv gefördert, indem sie das erpresserische Gebaren ihres Finanzministers unterstützte. Die Kanzlerin nimmt außerdem in Kauf, dass die Not der griechischen Bevölkerung größer wird. Mehrwertsteuererhöhungen treffen vor allem arme Menschen, weil sie ihr ganzes Geld in den Konsum stecken müssen.

So absurd es klingt: Von dieser kalten Härte profitiert Merkel. Ihr Deal ist geeignet, um an ein verbreitetes Vorurteil der Deutschen anzuknüpfen. Viele BürgerInnen haben eine Erzählung verinnerlicht, die längst nicht nur Bild in die Köpfe hämmert: „Diese faulen Luxusgriechen haben unsere Steuermilliarden eigentlich nicht verdient!“

Merkel kontert das Klischee, indem sie Athen mit brutalem Druck den deutschen Weg aufzwingt – eine Agenda 2020 als volkswirtschaftliches Allheilmittel. Man muss kein großer Prophet sein, um vorherzusehen, dass diese sehr deutsche Methode eine breite Mehrheit im Bundestag finden wird.

Mitleid für die SPD

Die SPD kann einem fast leidtun, so hilflos wirkt sie angesichts von Merkels Agenda. Sigmar Gabriel hat versucht, mit markiger Rhetorik die Wut des kleinen Mannes zu bedienen. Bisher ist diese Strategie gescheitert, die SPD liegt in Umfragen wie betoniert bei 25 Prozent. Am schlimmsten aber muss für den SPD-Chef sein, dass ihn Merkel und Wolfgang Schäuble bei der wichtigsten Operation des Krisengipfels ignorierten.

Eine solche Ironie kann man sich ja wirklich nicht ausdenken. Noch am Wochenende glaubten nervöse Sozialdemokraten, ihr Chef unterstütze neuerdings einen befristeten Grexit. Gabriel hatte auf Facebook kundgetan, ihm sei ein entsprechender Vorschlag von Schäuble „natürlich bekannt“. Sie glaubten das auch deshalb, weil ein Grexit durchaus zu Gabriels scharfen Wortmeldungen in der Vergangenheit gepasst hätte. Wenig später ließ er seine Sprecherin mitteilen, mit ihm sei nicht abgestimmt gewesen, dass Schäuble den Grexit beim Krisengipfel offiziell als Option vorschlagen wollte.

Vizekanzler Gabriel wird wie Luft behandelt.

Einfach gesagt: Merkel und Schäuble behandeln den Vizekanzler wie Luft, wenn es um die wirklich wichtigen Dinge geht. Was dies für die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung bedeutet, sei dahingestellt – das wäre ein anderes Thema. Gabriel steht jedenfalls in der Griechenland-Frage wie ein machtloser Maulheld da. Dieses unwürdige Schauspiel wird mit der Pointe enden, dass die SPD-Fraktion Merkels Deal im Bundestag mit großer Mehrheit mittragen wird.

Auch die Grünen werden „Ja“ sagen

Und die Grünen? Ihr Spitzenpersonal verurteilte Schäubles Grexit-Drohung zwar scharf, die Rede war gar von einem „historischen Fehler“. Allerdings spricht viel dafür, dass sich die Ökopartei auf solche Stilkritik beschränkt – und Merkels Gipfelergebnis am Ende stützt. Eine Ablehnung werde man den Abgeordneten keinesfalls empfehlen, heißt es bereits in der Fraktionsspitze. Ein kritisch verbrämtes Ja wäre auch nur konsequent, schließlich haben die Grünen in den vergangenen Jahren alle europapolitischen Sparrunden mitgetragen.

Über all dem schwebt natürlich längst die Koalitionsfrage. Viele grüne Spitzenleute hoffen darauf, ab 2017 an Merkels Seite zu regieren. Und der erwartbare Vorwurf der Konservativen, die Grünen seien europapolitisch unzuverlässig, würde da nur stören. So bleibt nur die Linke übrig, die auch dieses Mal gegen Merkels Kurs stimmen wird. Vielleicht ist dies das Erschütterndste an dem deutschen Europa-Diskurs. Merkel dominiert ihn so sehr, dass sich kaum noch jemand traut, ernsthaft zu widersprechen.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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