Kommentar BDS: Die Diskursverschiebung
Die Bundestagsfraktionen möchten mit einem Antrag gegen die Boykottbewegung BDS vorgehen. Doch damit verhindern sie eine wichtige Diskussion.
A uf den ersten Blick kann man voll und ganz zustimmen: In allen Formen müsse Antisemitismus verurteilt und bekämpft werden, heißt es in dem interfraktionellen Antrag, der noch diese Woche im Bundestag beschlossen werden soll. Doch der Text hat es in sich.
Erstens sollen der Boykottbewegung gegen Israel BDS („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“) in Deutschland Räumlichkeiten verweigert werden. Das Argument: BDS sei antisemitisch. Das verkennt die Heterogenität der Bewegung. Ohne Frage finden sich abscheuliche Antisemiten in ihren Reihen (etwa jene, die das SS-Logo verwendeten, um gegen den ESC Stimmung zu machen). Doch auch Menschenrechtler, Gewerkschaftler und Berufsverbände in Palästina und in Israel haben den BDS-Aufruf von 2005 unterschrieben oder unterstützen Teile des Forderungskatalogs.
Dass deutsche Politiker bereit sind, Boykottaufrufe pauschal zu ächten und die Meinungsfreiheit massiv einzuschränken, erschreckt. Nicht nur die EU, auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) stellte 2017 in einem Vermerk noch fest: „Die BDS-Bewegung ist aus Sicht der Bundesregierung nicht per se antisemitisch. Daher ist es aus Sicht der Bundesregierung von der Meinungsfreiheit gedeckt, sich für BDS auszusprechen.“
Zweitens fordern Union, SPD, FDP und Grüne in ihrem Antrag, dass keine öffentlichen Gelder an Boykottunterstützer fließen. Hier geht es um Gelder, die etwa über politische Stiftungen oder kirchliche Hilfswerke an Partnerorganisationen in Nahost gehen. Zwar ist nicht mehr, wie von der FDP gewollt, pauschal von „Organisationen“ die Rede, sondern nur noch von „Projekten“. Doch der Trend ist klar.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in den besetzten palästinensischen Gebieten stellt das vor erhebliche Probleme. Selbst die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung arbeitet mit den Menschenrechtlern von RCHRS zusammen, die Verbindungen zu BDS haben.
Der Antrag ist Ausdruck und Motor einer Diskursverschiebung. Er verhindert eine Diskussion über Menschenrechte in Israel und Palästina; den dringend notwendigen Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland bringt er nicht voran.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch