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Kommentar Asylpolitik in EuropaDie Internationale der Nationalisten

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Während Merkel und Italiens Regierungschef Harmonie zur Schau stellen, schaffen ihre Innenminister Fakten. Sie eint das Ideal eines flüchtlingsfreien Europas.

Gewillt, die Abschottungslogik weiter zu radikalisieren: Horst Seehofer und sein Amtskollege Matteo Salvini Foto: dpa

E ndlich mal einer, mit dem man vernünftig reden kann! Das wohl muss Angela Merkel sich gedacht haben, als sie am Montagabend Giuseppe Conte gegenüber saß. Jenem Giuseppe Conte immerhin, der seit zwei Wochen Chef der Regierung der „Populisten“ ist, die in einer Koalition aus Fünf Sternen und Lega seit gut zwei Wochen die Geschicke Italiens lenkt.

Der Ton gelassen, die Stimmung harmonisch, die Sprachregelungen einvernehmlich: Was Merkel mit Seehofer seit Tagen nicht gelingen will, schaffte sie mit Conte binnen einer halben Stunde. Die Sicherung der Außengrenzen stärken, Hotspots zur Prüfung von Asylbegehren am besten schon auf der anderen Seite des Mittelmeers einrichten, die Aufnahme der (derzeit vor allem in Italien) ankommenden Flüchtlinge als gemeinsame europäische Aufgabe behandeln: Auf diese Punkte konnten sich die Kanzlerin und der italienische Ministerpräsident schnell einigen.

Viel wert ist diese Einigung allerdings nicht. Zwei andere nämlich saßen nicht mit am Tisch, obwohl ihnen als Innenminister die Themen Flucht und Migration obliegen: Horst Seehofer und Matteo Salvini. Auch sie verstehen einander prächtig, wie sie bei einem Telefonat vor einigen Tagen herausfanden: Beide sind eisern gewillt, die europäische Abschottungslogik weiter zu radikalisieren.

Da wäre zunächst Seehofer: Ihm und seiner CSU sitzt die AfD im Nacken – und er sucht die Rechtspopulisten auszubremsen, indem er deren Politik gleich selber macht. Dafür ist ihm die direkte Abweisung von einreisenden Flüchtlingen an der Grenze eingefallen. Das kann man Symbolpolitik nennen, schließlich geht es am Ende vermutlich nur um ein paar tausend Menschen. Doch Seehofer dürfte dieser Vorwurf egal sein. Ihm geht es einzig darum, den Flüchtlingsdiskurs zu dramatisieren, um dann geltend zu machen, er stehe auf der „richtigen“ Seite und nehme die Sorgen der Bürger – die er selbst kräftig anheizt – ernst.

So will Seehofer die AfD verhindern – eine AfD, die in Italien schon regiert. Dort heißt sie Lega. Und während Ministerpräsident Conte in Berlin mit Merkel „europäische Lösungen“ auslotet, hat auch Lega-Chef und Innenminister Salvini seine ganz eigenen Lösungen schon parat. Er erklärt den im Mittelmeer tätigen NGOs den Krieg, zwingt das Rettungsschiff Aquarius mit 630 Flüchtlingen an Bord zu einer tagelangen Fahrt Richtung Valencia und erklärt diese Manahme zum Präzedenzfall.

Salvini ist auf Hetze aus

Auch ihm könnte man vorhalten, er bekämpfe einen Notstand, der gar keiner ist, – schließlich kamen von Januar bis Ende Mai gerade einmal 13.000 Flüchtlinge übers Meer nach Italien, und schließlich werden die von Handels- oder Marineschiffen aus dem Meer gefischten Menschen weiter in Italien aufgenommen. Doch auch bei ihm trifft dies den Punkt nicht. Salvini ist auf Hetze aus: auf die Durchsetzung des Standpunkts, dass eigentlich gar kein Flüchtling mehr italienischen Boden betreten solle, getreu dem Lega-Motto „Prima gli italiani!“, „Italiener zuerst!“

In Europa lässt sich gegenwärtig die Entstehung einer Internationale der Nationalisten beobachten, einem Club von Nationalisten, der natürlich mit dem einen oder anderen Widerspruch zu kämpfen hat. So wäre Italien das erste Opfer der Seehoferschen Linie, anderswo bereits registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen. Und so wäre der von Salvini bewunderte, immer wieder als Vorbild zitierte Ungar Viktor Orbán der letzte, der – wie von Rom gefordert – bei einer solidarischen Aufnahmepolitik mitwirken würde.

Widersprüche im Detail stören den Club der Ultranationalisten aber nicht weiter – es wäre fatal, darauf zu hoffen, sie könnten das Einvernehmen sprengen. Denn alle miteinander eint das Ideal eines völlig flüchtlingsfreien Europa, in dem auch kein Streit mehr über Flüchtlingsquoten ausbrechen kann. Da nützt es Merkel und Conte wenig, wenn sie Harmonie zur Schau stellen. Denn Salvini und Seehofer reklamieren schon jetzt, am jeweiligen Regierungschef vorbei, die Deutungshoheit bei der Flüchtlingspolitik – und wenigstens dies haben sie schon erreicht: „Flüchtling“ ist heute weniger eine Kategorie des universellen Menschenrechts denn ein Schimpfwort.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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26 Kommentare

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  • Der Artikel ist sehr präzise zusammengefasst. Exakt so ist es...

  • Die Internationale der Nationalisten will ein völlig flüchtlingsfreies Europa

     

    Der Autor musste wahrscheinlich schmunzeln, als er das geschrieben hat.

     

    Wer will ein völlig flüchtlingsfreies Europa.?

  • Zum einen stimmt es bis zu einem Grad, dass der AFD versucht wird, dass Wasser abzugraben, in dem deren Positionen übernommen/ebenfalls vertreten werden. Dabei entsteht allerdings der Eindruck, die Politik geschehe nur auf Druck von rechts. Die CSU ist jedoch von sich aus rassistisch und nationalistisch.

    • @Uranus:

      Nationalistisch vlt.

      Rassistisch nein

      • @Nobodys Hero:

        ? Antimuslimischer Rassismus. In der Unterdrückung des globalen Südens spiegelt sich Rassismus wider wie auch in der Politik, den freien Warenverkehr zu befürworten, Migration jedoch zu verweigern...

        Siehe sonst noch da:

        "Rechtsextreme Dumpfbacke oder CSU-Politiker, wer hat's gesagt?"

        //http://www.bento.de/politik/quiz-wer-hats-gesagt-rechtsextreme-dumpfbacke-oder-csu-politiker-31018/

  • "..und nehme die Sorgen der Bürger – die er selbst kräftig anheizt – ernst."

     

    Warum begreifen so Viele dieses banale Prinzip nicht?

  • In Europa lässt sich gegenwärtig die Entstehung einer Internationale der Nationalisten beobachten. Ein Gegenpart der zur Zeit noch einflussreichenInternationale der Internationalsozialisten.

  • 9G
    96551 (Profil gelöscht)

    Seehofer und Salvini schon rein bildlich auf eine Stufe zu stellen, finde ich absolut bodenlos - und ich bin wahrlich kein Seehofer-Fan.

    Diese unreflektierten Zuspitzungen bringen uns nicht weiter - ganz im Gegenteil, sie haben uns an diesen Punkt gebracht.

    • @96551 (Profil gelöscht):

      Dass Herr Seehofer nur an die bayerische Landtagwahl denkt, während Conte ein echt überzeugter Fremdenfresser fachistischer Überlieferung ist macht am Ende wenig Unterschied für die Opfer.

    • @96551 (Profil gelöscht):

      Können Sie mir bitte erklären, wo ganz genau Sie eine „unreflektierte Zuspitzung“ zu erkennen meinen?

       

      Fakt ist: Wer Kompetenzen verteilt, der muss anschließend auch mit den Ergebnissen leben. Giuseppe Conte und Angela Merkel haben mehr gemeinsam als einen gelassenen Ton und eine einvernehmliche Sprachregelung. Sie teilen die Verantwortung für die Bildung einer Regierung, von der sie sich nun öffentlich vorführen lassen müssen.

       

      „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.“ So steht es in Artikel 65 der deutschen Verfassung. Bundesminister leiten ihren Geschäftsbereich nur „innerhalb dieser Richtlinien [...] selbständig und unter eigener Verantwortung“. Horst Seehofer ist das ganz offensichtlich völlig wurscht. Im Grunde wäre der Mann ein Fall für den Verfassungsschutz. Nur wird der Schwanz vermutlich nicht mit seinem Hund wedeln.

       

      Dass einzelne Bundesminister die Verfassung nicht ernst nehmen, weil sie sich im Landeswahlkampf zu profilieren wünschen, haben die Eltern des Grundgesetzes offensichtlich nicht vorhergesehen. Die Verfassung schweigt sich jedenfalls zur Frage aus, was ganz genau passieren soll, wenn ein Horst Seehofer den Aufstand probt. Es verweist lediglich auf die „von der Bundesregierung beschlossene[] und vom Bundespräsidenten genehmigte[] Geschäftsordnung“, an welche sich der/die/das Bundeskanzler*in bei der Leitung der Regierungsgeschäfte zu halten hat. Was da drin steht? Ich habe keinen blassen Schimmer! Aber dass ein gewisser Hotte S. darin Erwähnung findet, kann ich mir nicht so richtig vorstellen.

       

      Im Übrigen steht in Art. 65 GG: „Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung.“ Meinungsverschiedenheiten zwischen der Chefin und einem von ihr selbst eingesetzten Minister sieht die Verfassung nicht ausdrücklich vor. Waren halt andere Zeiten damals vor 1968.

    • @96551 (Profil gelöscht):

      Wen finden sie ungerecht betitelt, Seehofer oder Salvini?

  • Die Genfer Flüchtlingskonvention setzt als Pflicht für die Staaten ein:

     

    - Schutz vor Diskriminierung wegen Rasse, Religion oder Herkunftsland (Art. 3)

    - Religionsfreiheit

    - freien Zugang zu den Gerichten (Art. 16)

    - Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge (Art. 28)

    - Straffreiheit der illegalen Einreise, sofern der Flüchtling sich umgehend bei den Behörden meldet und er unmittelbar aus dem Fluchtland kam (Art. 31 Abs. 1)

    - Schutz vor Ausweisung (Art. 33, Non-Refoulement-Prinzip – Grundsatz der Nichtzurückweisung)

     

    Höchste Zeit, dass die völkische Regierungen formal aus diseer Bürdekonvention austreten. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist schon ziemlich peinlich.

     

    Die UNHCR Deutschland sammelt Unterschrift:

     

    "UNHCR ist davon überzeugt, dass alle Flüchtlinge ein Leben in Sicherheit verdienen.

     

    Unterzeichnen Sie noch heute die #WithRefugees Petition.

     

    Senden wir eine klare Botschaft an die Regierungen der Welt, dass sie solidarisch handeln und gemeinsam Verantwortung übernehmen müssen".

     

    utschndahttp://www.unhcr.org/dach/de/

     

    Unterzeichnen Sie unsere #WithRefugees Petition

    • @Eulenspiegel:

      Beachten Sie die relativ enge Auslegung des Wortes Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 1). Wirtschaftsflüchtlinge sind demnach keine Flüchtlinge im Sinne der Konvention und von dieser nicht geschützt.

       

      Nur ein geringer Teil der jetzt über das Mittelmeer ankommenden sind Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Keiner dieser Flüchtlinge reist unmittelbar aus dem Fluchtland nach Europa ein.

    • @Eulenspiegel:

      Glauben Sie wirklich, dass mit dieser Petition auch nur einem einzigen Geflüchteten zu helfen ist? Ich meine: Noch leben wir ja nicht in einer Basis-Demokratie. Und ehrlich gesagt denke ich auch, dass das (noch) gut ist so.

       

      Aber klar: Für die Petitionsverfasser ist es natürlich schön zu sehen, wie viele "likes" sie fürs Freundlichsein noch immer kriegen können hier und heute. Nur: Was haben Geflüchtete von den guten Gefühlen, die andere haben?

      • @mowgli:

        Mit Petionen, wie mit Demonstrationen macht man klar, das WIR das Volk sind, und dass Fremdenfresser in der Öffentlichkeiten nicht allein sind. Das nicht-Verwerfen ist eine moralische Unterstützung für die Menschen, die dem Hass ausgesetzt sind, indem ander Menschen für sie und nicht durch sie besorgt sind.

    • @Eulenspiegel:

      Die vom UNHCR geführten Lager in der dritten Welt sollten deutlich besser ausgestattet werden (Schulen, etc.). Dafür ist ein im Vergleich zur Flüchtlingsversorgung in Deutschland auch deutlich geringerer Betrag aufzuwenden, d.h. der Effekt jedes eingesetzten Euros ist 30-100 mal höher. Die Migranten nach Europa zu holen/lassen, ist jedoch Wahnsinn, sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich.

      • @Minga:

        Aber Waren, Ressourcen, Nahrungsmittel wollen Sie aus anderen Ländern zu günstigen Preisen dennoch haben, ja?

      • @Minga:

        Mein Zitat wichtiger Texte aus dem Völkerechte betrifft nicht "Migranten", wie Sie schreiben, sonderne Flüchtlinge. Völkerrecht verlangt Pflicht, sobald ein Mensch als Fluchtling anerkannt wird. Jenseits ihrer angeblichen "wirtschaftlichen" und "gesellschaftlichen" eingebildeten Gründe. Sonst haben Rechtpflichtungen keinen Sinn und mann kann anzufangen, Schussbefehl auf der Grenzwall zu geben.

         

        Wie man wirtschftlich und gesellschaftlich mit anderen Menschen handelt, die nicht als Fluchtlinge anerkannt werden, ist eine andere Frage, die übrigens weder wirtschaftlich nocht gesellschaftlich nicht vereinfacht werden sollte, und von der Menschlichkeit und von anderen rechtlichen Erwägungen nicht befreit (Trennung der Familien, ohne Veruteilung einsperren usw).

      • 9G
        98589 (Profil gelöscht)
        @Minga:

        Das sehe ich auch so.

    • @Eulenspiegel:

      das ist richtig und nicht das problem .

      entscheidend ist , ob temporär oder permanent geholfen wird und wie wir den gegensatz , 0,8 % annerkennung von asyl , jedoch de facto 98 % bleiben , auflösen . letzteres will die überwiegende mehrheit der bevölkerung nicht , die nichtbeachtung droht zu schweren verwerfungen zu führen .

      • @oliver pasch:

        Nennen Sie bitte absolute Zahlen und Quellen für Ihre Angaben, sonst ist das nicht nachvollziehbar.

         

        "überwiegende mehrheit der bevölkerung" - Das "Volk"? ;)

      • @oliver pasch:

        "die überwiegende Mehrheit der Bevöllkerung" hat letztes mal NICHT für fremdefeindliche Parteien gestimmt. Das ist Fakt, keine Umfrage, keine blosse Behauptung die dazu neigt, aus Opfern Täter zu machen.

  • Merkel ist in Europa isoliert. Nur die Linksregierungen in Spanien und Griechenland spielen noch mit, wobei ja beides eindeutig Transitländer sind.

    • @El-ahrairah:

      Wenn es keine Transitländer wären, dann wären dort auch schon die Rechten an der Macht.

    • @El-ahrairah:

      Wären sie es nicht, dann wären dort auch schon die Rechten an der Macht.

    • @El-ahrairah:

      Habe nochmal bei Google Map "Spanien" angegeben und es zeigt mir nur das Land im Südwesten Europas an.

      Von welcher Linksregierung sprechen Sie?