Kolumne Schlagloch: Mit dem Flugzeug in die Sündenfalle
Der Verzicht aufs Fliegen gilt als wichtiger Beitrag zur Schonung der Umwelt. Ist das aber wirklich so? Was kann, was darf der oder die Einzelne tun?
Vergangene Woche bin ich nach Ankara geflogen, und in manchen sozialen Kontexten kommt das fast einem Schuldeingeständnis gleich. Mit dem Flugzeug etwa? Schließlich gilt, neben dem Veganismus und dem Fahrradfahren, der Verzicht aufs Fliegen als der wohl wichtigste Beitrag der Einzelnen zur Schonung der Umwelt. Hier fängt die erste Streiterei schon an: Ist es überhaupt sinnvoll, wenn wir als Einzelne versuchen, gegen den Klimawandel anzukämpfen, oder ist dies nicht Aufgabe der Politik?
Ein zweiter Streit dagegen kocht noch auf kleiner Flamme. Er dreht sich darum, dass die derzeitige Diskussion übers Fliegen nur Urlaubs- und Geschäftsreisende im Blick hat, nicht aber Menschen mit Migrationshintergrund. „Jede privilegierte Person, die fliegt, ist eine zu viel“, schrieb Seyda Kurt kürzlich auf ze.tt. Sie dagegen bekannte offen: „Ich habe meinen Flug in meinen Italienurlaub schon vor einigen Wochen gebucht. Ich fliege regelmäßig, auch im Inland. Ganz ohne schlechtes Gewissen.“
Der Hinweis auf die Migration erfolgt vollkommen zu Recht. Bisher ist die Umweltbewegung sehr homogen, weiß und bürgerlich. Sie schafft es respektive bemüht sich bisher wenig, andere Milieus zu integrieren. Doch wer pauschal übers Fliegen als Luxusding redet, der redet an allen vorbei, deren Eltern aus süd- oder außereuropäischen Ländern stammen. Diese Menschen reisen nämlich, um Familienbande aufrechtzuerhalten und vielschichtige Heimatgefühle zu befriedigen. Gewiss, auch Flüge in die „alte Heimat“ belasten das Klima, aber das sind sozusagen Nebenkosten unseres kollektiven, globalisierten Lebenswandels. Menschliches Leben kostet immer Ressourcen, in einer globalisierten Welt noch mehr als früher. Dieses Dilemma ist nicht den Migranten allein anzulasten.
Umgekehrt folgt daraus allerdings nicht, dass jeder Migrationshintergründler eine Art Persilschein fürs Fliegen besitzt. Warum jemand, dessen Ahnen aus der Türkei stammen, ganz selbstverständlich auch nach Italien fliegt, ist mir nicht plausibel.
„Ich bin unterprivilegiert“
Ehrlicherweise muss man zugeben: Manche von uns Migrationshintergründlern jetten mit dem Flugzeug ins Land der Großeltern, als wäre es ein Omnibus. Diese Gewohnheiten müssen wir kritisch hinterfragen. Keine Hilfe dabei ist ein pauschales: „Ich bin unterprivilegiert.“
Selbst wenn es stimmen mag. Selbst wenn es gewaltige Unterschiede zwischen den Annehmlichkeiten im Leben einiger und den eher kargen Freuden anderer gibt. Selbst wenn einige mit vollen Händen Ressourcen zum Fenster rausschmeißen, während andere jeden Cent und jeden Flugkilometer zwei Mal rumdrehen. Das ist unglaublich ungerecht, aber es hilft nichts, mit dem Finger auf die Umweltverschwender zu zeigen und trotzig zu verlautbaren, bis „die“ sich nicht ändern, werde man selbst auch nichts ändern.
Immer wieder sollte man sich klarmachen, dass es hier nicht um individuelle Sünden oder um lobenswertes Benehmen geht. Dieser ganze Sündengedanke ist in der Klimaschutzdebatte fehl am Platz, obwohl er leider oft im Vordergrund steht. Dann hört oder liest man Versuche der „Rechtfertigung“ mit dem Tenor, man bemühe sich ja bereits um dieses oder jenes, daher habe man sozusagen andere „Sünden“ gut. Der eine zum Beispiel erzieht seine Kinder antirassistisch, andere essen kein Fleisch, wieder andere verzichten auf Plastik etc. Alles zusammen sei zu viel.
Sorry, aber das ist doch kein Ablasshandel! Gerade weil es sich nicht um ideelle Sünden und ideelle Rechtfertigungen, sondern um die ganz reale Gestaltung der ganz realen Welt von morgen dreht, reicht es nicht, wenn man bloß guten Willen zeigt und hofft, dass es aufs Handeln wohl nicht ankommt. Natürlich kann kein Mensch alles auf einmal tun. Aber darum müssen wir gemeinsam Prozesse finden, zwischen unseren sehr unterschiedlichen Bedürfnissen und Pflichten zu vermitteln. So wie eine gute Sozialpolitik und eine gute Bildungspolitik (idealerweise) auf die Individuen eingehen, so sollte auch unser Klimaschutzverhalten sowohl gemeinschaftlich orientiert als auch maßgeschneidert sein.
Wir oder die Politik
Womit wir bei jenem zweiten Thema sind, das ich eingangs erwähnt habe: Seit Jahren tobt ein Streit, ob wir als Individuen unser Verhalten ändern müssten oder „die Politik“ etwas regeln müsse. Dieses „Oder“ ist völlig unsinnig! Zum einen stehen individuelles Verhalten und Gesetzesänderungen in einem Wechselverhältnis; „der Staat“ darf nichts beschließen, was den Menschen völlig fremd ist. Umgekehrt orientiert sich der Einzelne an allgemeinen Rahmenvorgaben.
Zum Zweiten darf man „Politik“ nicht auf Parlamentsbeschlüsse und Gesetze reduzieren. Jüngst las ich in der Süddeutschen Zeitung einen Kommentar von Claudia Tieschky, die die Konsumenten warnen wollte, ihren Einfluss zu überschätzen: „Aber ein Bürger ist ein Bürger, ein Käufer dagegen bleibt ein Käufer.“ – Nein! Auch als Käufer sind wir Bürger. Schließlich leben wir nicht als Eremiten, sondern bewegen uns stets in sozialen Kontexten. Überspitzt gesagt: Auch als Konsumenten sind wir Demonstranten. Wir demonstrieren, was wir für gut und was wir für schlecht befinden.
Wenn ich zum Beispiel eine Tofuwurst auf den Grill schmeiße, geht es mir nicht nur um das Schwein, dessen Qual ich damit nicht subventioniere, sondern ich will zeigen: Man kann auch anderes essen! Wer nicht auf die Malediven fliegt, macht bewusst und sichtbar bei der Jagd auf Relax-Selfies vor türkisgrüner Kulisse nicht mit.
Menschen entwerfen die Richtlinien ihres Lebens und Handelns gemeinsam. Und auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Es geht nicht um Schuld und nicht um Ablass, sondern darum, neue Lebensweisen und neue Formen des Genießens zu finden, die mit der Zukunft der Erde kompatibel sind.
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