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Kolumne MithulogieFeministische Selbstverteidigung

Seit dem 1. Februar muss der Staat für Prävention vor Gewalt gegen Frauen sorgen. Also: feministische Selbstbehauptung an alle Schulen!

Selbstverteidigung beginnt im Kopf: Eine Krav-Maga Trainerin trainiert mit einer Frau die Abwehr eines Angriffs Foto: dpa

Kennst du das?“, fragte mich letztens eine Freundin. „Wenn dein Gegenüber im Zug dich so lange anstarrt, bis du aufstehst und dich in den Gang stellst?“ Ich musste nachdenken. Zwar versuchen Menschen auch mit mir durch Penetranz Kontakt aufzunehmen, doch würde mir nicht einfallen, dafür einen Sitzplatz in Fahrtrichtung aufzugeben. Ich frage die Starrer stattdessen, ob etwas ist. Nein? Prima, dann hören Sie auf. Und bisher haben noch alle danach peinlich berührt aus dem Fenster geschaut.

Und warum kann ich das so fröhlich und bestimmt tun? Weil ich vor 25 Jahren einen Wendo-Kurs gemacht habe. Meine erste Wendo-Trainerin gab mir den Schlüssel zu einer Welt, in der ich nicht nur Nein sagen, sondern mich dabei auch wohlfühlen kann. Und in der ich mit der bloßen Hand ein Brett durchschlagen kann. Wenn eine Wendo-Trainerin daneben steht.

Deshalb war ich so froh, als ich vor Kurzem zur Jahreshauptversammlung des Bundesfachverbands für feministische Selbstbehauptung eingeladen wurde. Und so geschockt, als ich erfuhr, dass Wendo-Trainerinnen durchaus auch von feministischer Seite Misstrauen entgegenschlägt. Nach dem Motto: Ist feministische Selbstverteidigung nicht Victim Blaming? Schließlich lautet das feministische Credo: Bringt nicht Frauen bei, sich nicht vergewaltigen zu lassen, bringt Männern bei, nicht zu vergewaltigen. Ist Schreibenlernen dann Victim Blaming von Kindern? Hättet ihr das mal im Mutterleib gelernt, dann müsstet ihr nicht darauf warten, bis euch jemand vorliest.

Selbstverteidigung beginnt im Kopf

Aber natürlich können Selbstverteidigungskurse Victim Creating sein. Als ich zur Schule ging, kam ein netter Herr von der Polizei vorbei und klärte uns auf: Wenn ihr vergewaltigt werdet, schreit nicht Hilfe, schreit: Feuer. Weil die Feuerwehr netter ist als die Polizei? Und: Wehrt euch bloß nicht, sonst tut er euch nur noch mehr weh. Um uns danach ein paar Schläge beizubringen, die keine von uns jemals in einer Gefahrensituation angewendet hätte, weil der erste Schritt zur Selbstverteidigung im Kopf passiert und nicht in den Muskeln.

Und genau da setzt Wendo an. Es geht darum, sich selbst das Recht auf den eigenen Raum oder Körper zu geben. Es geht um mehr Wahlmöglichkeiten. Und wenn alle Stricke reißen, gibt es auch noch Schläge, die ich im Gegensatz zu den Polizei(rat)schlägen wirklich schon angewendet habe. Damit wird die Welt nicht nur sicherer, sondern auch schöner.

Durch Artikel 12 der Istanbul-Konvention sind Präventionsmaßnahmen jetzt verpflichtend. Und am wirksamsten ist Wendo, laut einer Studie von Liz Kelly und Nicola Sharp-Jeffs, die vom Europäische Parlament in Auftrag gegeben wurde. Das ist doch mal fürs Leben Lernen. Aber bitte an allen Schulen!

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Mithu Sanyal
Autorin
Dr. Mithu M. Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Autorin Themen: Sex, Gender, Macht, (Post)Kolonialismus, Rassismus, Wissen schreibt eine regelmäßige Kolumne für die taz "Mithulogie" Bücher u.a. "Vulva" (Wagenbach), "Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens" (Nautilus.)
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6 Kommentare

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  • Es wäre schön, wenn die Autorin wenigstens recherchiert hätte, warum empfohlen wird, Feuer statt Hilfe zu rufen und warum dies für alle gilt.

  • Kampftechniken zu erlernen bei denen es vor allem um das eigene Körpererleben und die Erfahrung mit einem Gegenüber geht, tut allen Menschen gut und sollte teil unseres Alltags werden. Dadurch werden Impulse gesetzt, die in der Tagesgestaltung, im Umgang mit Anderen, in der Begegnung mit sich selbst und in dem „Sich-Selbst-Spüren-Lernen“ bei Menschen mit schwachem Selbswertgefühl das Selbsbewusstsein stärken oder aggressiven Menschen die Möglichkeit geben ihre Aggression zu kanalisieren.

     

    Dies nur Zwecks feministischer Selbshauptung zu fordern, missachtet die Bedürfnisse und Erfordernisse gegenüber dem männlichen Teil unserer Gesellschaft.

    • @Adele Walter:

      Dem würde ich zustimmen, wenn sich feministische Selbstverteidigung nur an Frauen und Mädchen richten würde. "Feministisch" ist in diesem Fall ein Qualitätssiegel, dass die Trainerinnen nach bestimmten Standarts ausgebildet wurden. Es gibt auch Kurse für Jungen udn andere Geschlechter. Obwohl dieser Bereich durchaus noch ausbaufähig wäre.

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  • Solche Kurse wären eigentlich etwas für alle Schüler. Denn auch wenn die meisten Täter oder übergriffigen Personen Männer sind, sind ebenso die Mehrheit der Männer eher Opfer, im Sinne von Aggression ausweichend. Ganz besonders Jungen in der Schule müssen zum Teil eine Menge über sich ergehen lassen, wenn die Klassenchefs meinen anderen zeigen zu müssen, das sie stärker sind (physisch aber auch psychisch).

    Das schmälert nicht die Notwendigkeit für solch ein Training bei Mädchen, aber es ist allgemein wichtig Kindern beizubringen, wie sie sich wehren können.

    • @nutzer:

      Wendo für alle! Die Notwendigkeit andere zu erniedrigen und zu unterdrücken entspringt ja auch nicht selten mangelndem Selbstbewußtsein. Chef haut den Papa, Papa haut die Mama, Mama haut das Kind, Kind haut die Katze. Gesellschaft mit Selbstbehauptung wär vielleicht viel spaßiger.