Kolonialverbrechen im südlichen Afrika: Der weiße Terror
Vor nicht einmal fünfzig Jahren wehrten sich Weiße im südlichen Afrika brutal gegen das Ende ihrer Herrschaft. Aufgearbeitet ist das bis heute nicht.
![Ein Warnschild "No Go Area: War Veterans Ahead" auf einem überwucherten Feld Ein Warnschild "No Go Area: War Veterans Ahead" auf einem überwucherten Feld](https://taz.de/picture/7308101/14/1751446-1-2-1.jpeg)
F ür Menschen und Nutztiere gilt Ausgangssperre ab Sonnenuntergang bis 12 Uhr mittags. Jeglicher Verkehr ist verboten, auch mit dem Fahrrad. Wer eine Anhöhe besteigt, wird erschossen. Hunde bleiben ganztägig angebunden oder sie werden erschossen. Kinder verlassen den Hüttenkreis nicht oder sie werden erschossen. Schulen und Geschäfte bleiben zu.
Diese Regeln erließ das weiße Siedlerregime von Rhodesien für Reservate der Schwarzen zum Höhepunkt des schwarzen Unabhängigkeitskrieges im Jahr 1978. In Rhodesien, das Ende des 19. Jahrhunderts als britische Siedlerkolonie gegründet wurde, herrschten damals 400.000 Weiße über 6,5 Millionen Schwarze.
Als Großbritannien seine Afrika-Kolonien in die Unabhängigkeit unter schwarzer Führung entließ und 1963/64 Nordrhodesien und Nyasaland als Sambia und Malawi frei wurden, konterten die Weißen in Südrhodesien mit einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung. Sie riefen 1965 einen eigenen Staat aus, der die weiße Herrschaft für tausend Jahre festigen sollte.
Scharfe Sanktionen aus London folgten. Im Bündnis mit Apartheid-Südafrika fühlten sich die „Rhodies“, wie sie sich nannten, zunächst sicher. Nachdem aber Freiheitskämpfer im benachbarten Mosambik 1975 die Unabhängigkeit von Portugal erkämpft hatten, hielt sich das weiße Rhodesien nur noch mit nacktem Terror. 1979 übernahm London wieder und organisierte freie Wahlen. 1980 entstand das unabhängige Simbabwe unter dem schwarzen Guerillaführer Robert Mugabe.
Aufarbeitung von Sklaverei und Kolonialismus ist heutzutage angesagt. Aber der weiße Terror, der sich vergeblich gegen den Untergang der Siedlerkolonien stemmte – Franzosen in Algerien, Briten in Kenia, Portugiesen in Angola und Mosambik, die Weißen in Südafrika, Südwestafrika und Rhodesien, wie die Länder damals hießen – wird meist ausgeblendet, vor allem im südlichen Afrika. Dabei ist das weniger als fünfzig Jahre her, und ohne dieses Kapitel der Geschichte des 20. Jahrhunderts versteht man die Gegenwart nicht.
Überlegenheitsgefühl und Paranoia
Im „weißen Afrika“ waren die Schwarzen entweder Wildtieren gleichgesetzt, die man fernhält und jagt, oder Nutztieren, die man zähmt, ausbeutet und bei nachlassender Produktivität entsorgt. Die Weißen lebten in Gewissheit ihrer Überlegenheit und zugleich in ständiger Paranoia, „wie weiße Mäuse im Laufrad“, wie es Doris Lessing 1957 in ihrem Reisebuch „Going Home“ ausdrückte. Sie beschreibt ihren Flug von London nach Johannesburg. Ab dem Zwischenstopp Nairobi übernimmt das weiße Südafrika; Sitze, auf denen Schwarze gesessen haben, werden desinfiziert.
In den 1960er Jahren griffen schwarze Befreiungsbewegungen zu den Waffen. Das weiße Afrika flüchtete sich in blutige Selbstverteidigung. Auf jeden Anschlag oder Sabotageakt folgten brutale Strafexpeditionen gegen die Zivilbevölkerung: Massenverhaftungen, Umsiedlungen, Tötung von Vieh, Zerstörung von Ernten, Brunnenvergiftung, Massaker. Der weiße Mosambikaner Mia Couto schildert in seinem Roman „Der Kartograf des Vergessens“ aus dem Jahr 2020 über die Suche nach einem verschwundenen Kolonialsoldaten, wie portugiesische Truppen 1973 auf einem mosambikanischen Dorfplatz über einen Haufen Leichen wachen, „alle nackt und voller Straßenstaub“, daneben ein Schild mit der Aufschrift: „Das geschieht mit jedem, der den Terroristen hilft“.
Die Rhodesierin Alexandra Fuller, Autorin scharfsinniger Erinnerungsbücher, beschreibt in ihrem Reisebuch „Scribbling the Cat“ aus dem Jahr 2005 versprengte Soldaten der Rhodesian Light Infantry, einer berüchtigten weißen Spezialeinheit. Einer erzählt darin, wie er einst ein Dorf erspäht, wo Frauen Essen kochen, aber keine Männer zu sehen sind – er vermutet, es seien Familien von Guerillakämpfern draußen im Busch. Er terrorisiert mit seiner Einheit das Dorf, einem Mädchen gießt er kochenden Maisbrei in die Scheide, bis ihre Mutter die Männer verrät. Nach zwei qualvollen Wochen stirbt die Tochter.
Europa geriert sich als Terrorgegner
Die weiße Selbstverteidigung war vergeblich, überall siegten die Befreier. Wer heute in diesen Ländern an der Macht ist, wurde in diese Kriege hineingeboren und ist davon geprägt, in der Lebenserfahrung und in der Sicht auf die Welt. In den 1970er und 1980er Jahren unterstützte Moskau Afrikas Befreiungsbewegungen, der „freie Westen“ dagegen die Weißen. Wen wundert also das Misstrauen dieser Länder, wenn heute wieder Massaker an Zivilisten mit „Selbstverteidigung“ gegen „Terroristen“ gerechtfertigt werden?
Vor nicht einmal 50 Jahren stand das weiße Europa im schwarzen Afrika für Terror. Aber noch nie hat ein europäisches Land einen seiner Bürger vor Gericht gestellt wegen Verbrechen, die er in einer Siedlerkolonie an den Einheimischen beging.
Eine vollständige Aufarbeitung jener Zeiten blieb aus. In Simbabwe spielen die Verbrechen Mugabes nach der Unabhängigkeit heute eine größere Rolle. Südafrikas Wahrheitskommission zog einen Schlussstrich unter die Apartheid, was vieles ungesagt ließ. Viele Archive der einstigen Siedlerregime sind unter Verschluss oder verschollen, viele Beteiligte leben noch und schweigen. Erinnerungen weißer Akteure finden kaum Beachtung. Dabei sind Tätergeschichten in Kriegen genauso wichtig wie Opfergeschichten. Nur zusammen ergeben sie ein Bild.
„Wahrscheinlich gibt es in Afrika Gegenden, wo jeder über zehn Jahre ein alter Soldat ist und in der Hand ein Sturmgewehr gehalten hat, dessen Rattern sich in Menschenfleisch frisst“, schreibt Fuller. „Viel schwerer ist es, alte Soldaten zu finden, die mit Fremden über ihre Kriege sprechen wollen. Warum sollten sie?“
Die Geschichte lebt im Verborgenen weiter – als Trauma in den Köpfen, als Dämonen der Nacht. „Der Krieg, der ist in uns drin, von unserer Geburt an“, schreibt Couto. „Die Kinder Gottes können nicht vergeben, nur vergessen. Aber genaugenommen vergessen sie auch nicht.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Krisentreffen nach Sicherheitskonferenz
Macron sortiert seine Truppen
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?