Klimaproteste von Ende Gelände: Wiedereröffnung der letzten Kneipe
Ende Gelände hat im vom Braunkohletagbeau bedrohten Dorf Keyenberg ein Haus besetzt. Anwohner*innen sind froh über die Proteste.
Vom „Hauptfeind“ möchte Yvonne Kremers nicht sprechen, wenn es um RWE geht. Aber Strom von dem Energiekonzern beziehe hier niemand. Das Unternehmen, das im Rheinland zahlreiche Kraftwerke und mehrere Kohlegruben betreibt, darunter mit Garzweiler das größte Loch Europas, will das Dorf weghaben. Obwohl der Kohleausstieg beschlossene Sache ist, soll der Tagebau wachsen, die Dörfer am Grubenrand sollen dafür weichen. Rund ein Drittel der Bewohner*innenschaft Keyenbergs ist schon gegangen. Von denen, die geblieben sind, engangieren sich viele, wie auch Kremers, bei dem Zusammenschluss „Alle Dörfer bleiben.“
„Wegziehen kommt für mich nicht infrage“, sagt Kremers, die eine Reitschule im Ort betreibt. An ihrem Mantel trägt sie einen Button von „Alle Dörfer bleiben“. „Aber dass RWE hier nach und nach alle Häuser und Geschäfte kauft, macht das Dorfleben sehr traurig.“ Wenn man entlang der Backsteinhäuser durch die schmalen Straßen Keyenbergs geht, bestätigt sich dieser Eindruck. Die meisten Rollläden sind halb oder ganz runter gelassen, es sieht aus, als stünden die meisten Gebäude leer. Auf dem einen oder anderen Fensterbrett stehen aber noch Blumentöpfe mit gelben Stiefmütterchen oder gelben Chrysanthemen. Gelb ist die Farbe des Widerstands der Dörfer. Und den haben sie hier noch nicht aufgegeben.
Ein symbolischer Gasthof
„Wiedereröffnung“ steht in schwarzer Schrift auf einem rot-weiß-gepunkteten Transparent, das aus den Fenstern der letzten Kneipe des Ortes hängt. Der „Keyenberger Hof“ steht seit Ende 2019 leer, seit RWE das Gebäude erworben und den Ausschank eingestellt hat. Aktivist*innen von Ende Gelände haben es soeben besetzt. „RWE versucht gezielt, soziale Orte zu vernichten und die Dorfgemeinschaft zu spalten“, erklärt die Ende-Gelände-Sprecherin Ronja Weil. „Der Gasthof steht symbolisch dafür, wie hier das ganze Leben zerstört werden soll.“ Deshalb habe man ihn wiederbelebt.
Keine hundert Meter vom besetzten Gasthof entfernt steht eine Gruppe von Ende-Gelände-Aktivist*innen eingekesselt zwischen Polizist*innen und einer Reiterstaffel auf einem Feldweg. Der orangene Finger hatte das Camp Lützerath verlassen und wurde in Keyenberg gestoppt, „weil die Teilnehmer sich nicht an die Vorgaben gehalten haben“, wie ein Polizist in der Polizeikette sagt. „Die wollten immer wieder in den Tagebau.“
RWE-Mitarbeiter gehen gegen Aktivist*innen vor
Das haben viele der Aktivist*innen bereits im Morgengrauen geschafft. Drei Demofinger, die vor Sonnenaufgang aufgebrochen waren, erreichten die Kohlegruben Garzweiler, das Kohlekraftwerk Weisweiler und das Gaskraftwerk Lausward. „Die Bagger stehen still“, meldete Ende Gelände am Vormittag. Ein RWE-Sprecher sagte am Nachmittag, der Betrieb der Kraftwerke sei nicht beeinträchtigt und die Bagger liefen wieder.
Für Aktivist*innen und Pressevertreter*innen war es am Morgen zu einer gewaltvollen Begegnung mit rund 30 Security-Mitarbeitern des Energiekonzerns gekommen. Sie wurden von den Werkschutzleuten bedrängt, ein Fotograf geriet in den Schwitzkasten. Kollegen von ihm wurde unter Androhung von Gewalt versucht, die Kameras wegzunehmen. RWE begründete diese Einschränkung der Pressefreiheit mit seinem Hausrecht und „der Sicherheit.“ Die Polizei ging vereinzelt deeskalierend dazwischen.
Scheuendes Pferd und Dauergottesdienst
Am Feldweg, wo der organgefarbene Finger am Nachmittag noch immer im Polizeikessel steht, werden zwei Journalist*innen verletzt. Die Polizist*innen der Reiter*innenstaffel sprühen vom Pferderücken aus Pfefferspray in die Menge der Demonstrierenden. Ein Pferd bekommt das Spray ab und scheut. Ein Fotograf und eine Reporterin landen auf der Wiese, wenige Zentimeter neben den Hufen des Pferdes. Der Fotograf trägt Schnittwunden von einem Stacheldrahtzaun am Oberarm davon, die Reporterin ist mit doppeltem Rippenbruch im Krankenhaus, heißt es auf Twitter.
Am frühen Abend weht eine goldene Fahne auf dem Dach des „Keyendorfer Hofs“, an den Fenstern tauchen immer wieder Aktivist*innen in weißen Maleranzügen auf. Ein Dauergottesdienst blockiert friedlich die Tür, zehn christliche Anwohner*innen mit einem großen gelben Holzkreuz singen Kirchenlieder und lesen Predigten vor. Mehrere Polizeihundertschaften stehen auf der Straße vor dem Haus und lassen niemanden auf das Grundstück, ein Hubschrauber kreist über dem Dach. Bis Redaktionsschluss ist die Kneipe nicht geräumt.
Etwas haben die Klimaaktivist*innen zumindest erreicht: Sie haben Keyenberg für ein Wochenende wieder belebt. „Wir sind froh, dass Ende Gelände da ist“, sagt Yvonne Kremers. Auf anderem Weg sei es ja nicht möglich, Aufmerksamkeit für das Thema der vom Kohletagebau bedrohten Dörfer zu generieren. Die Landesregierung fühle sich leider wohl nur berufen, „den Profit der Konzerne zu sichern.“
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