Klimaprotest in Lützerath: Polizei meldet Ende der Räumung
Bis auf die beiden in einem Tunnel ausharrenden Personen sei die Räumung von Lützerath abgeschlossen. Aktivisten erheben schwere Vorwürfe gegen die Polizei.
Polizei: Räumung von Lützerath bis auf Tunnel abgeschlossen
Die Räumung des Protestdorfes Lützerath am rheinischen Braunkohletagebau ist nach Angaben der Polizei bis auf die beiden in einem Tunnel ausharrenden Aktivisten abgeschlossen. „Es befinden sich keine weiteren Aktivisten in der Ortslage Lützerath“, teilte die Polizei am Sonntag mit.
Bereits bis Freitag seien die Gebäude geräumt worden, nunmehr auch die insgesamt 35 „Baumstrukturen“ sowie knapp 30 Holzkonstruktionen. Knapp 300 Personen seien aus Lützerath weggebracht worden, wobei es zu vier Widerstandshandlungen gekommen sei. Seit Beginn der Räumung seien 154 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
Demosanitäterin berichtet von zahlreichen Schwerverletzten, Polizei davon nichts bekannt
Der Polizei ist nach eigenen Angaben nichts davon bekannt, dass bei der Anti-Kohle-Demonstration am Samstag in der Nähe von Lützerath mehrere Teilnehmer lebensgefährlich verletzt worden sein sollen. Die Veranstalter der Demo hatten diesen Vorwurf am Sonntag bei einer Pressekonferenz in Keyenberg, einem Nachbarort des Protestdorfes Lützerath am Rande des rheinischen Braunkohletagebaus, erhoben.
Ein Demonstrationsteilnehmer sei am Samstag bewusstlos geworden, sagte ein Sprecher der Polizei. Diese Person sei sofort versorgt und dann in einem Rettungswagen abtransportiert worden. Schon in dem Wagen habe sich herausgestellt, dass keine Lebensgefahr bestehe. Insgesamt wisse die Polizei von zehn Fahrten von Rettungswagen im Zusammenhang mit verletzten Demonstranten. Die Polizei könne auch nicht bestätigen, dass es einen Rettungshubschrauber-Einsatz gegeben habe.
Eine Sprecherin des Sanitätsdienstes der Demonstranten hatte gesagt, bei der Demo am Samstag sei eine „hohe zweistellige bis dreistellige Zahl“ von Teilnehmern verletzt worden. Darunter seien viele schwerverletzte und einige lebensgefährlich verletzte Personen gewesen. Die Verletzungen seien teils durch Pfeffersprays, Schlagstock- und Faustangriffe der Polizisten zustande gekommen. (dpa)
Polizei: Alle Aktivisten von Bäumen heruntergeholt
Die Polizei hat am Sonntag nach eigenen Angaben in Lützerath alle noch verbliebenen Aktivisten aus Baumhäusern und von Bäumen heruntergeholt. „Es sind jetzt nur noch die beiden im Tunnel übrig“, sagte ein Polizeisprecher. (dpa)
Lützerath: Journalistengewerkschaft zieht negative Bilanz
Die Journalistengewerkschaft dju in ver.di NRW zieht zum Ende der am vergangenen Mittwoch begonnenen Räumung von Lützerath und der Großkundgebung am Samstag im rheinischen Braunkohlerevier eine überwiegend negative Bilanz der Pressefreiheit. Zwar sei es trotz zahlreicher Konflikte gelungen, immer im Dialog mit den Verantwortlichen des Energiekonzerns RWE und der Polizei zu bleiben, erklärte die Gewerkschaft am Sonntag in Düsseldorf. Dennoch habe die dju, die nach eigenen Angaben mit einem Beobachter und Unterstützer vor Ort war, Übergriffe auf Medienvertreter durch von RWE beauftragte Security-Firmen, die Polizei und Demonstrierende dokumentiert. Vor Ort waren demnach mindestens 800 Medienvertreter von nationalen und internationalen Medien.
„Trotz der guten Arbeitsbedingungen im Innern des Dorfes Lützerath ziehen wir eine negative Bilanz in Sachen Pressefreiheit“, erklärte Jörg Reichel von ver.di. Die Grundrechtseingriffe in die Pressefreiheit durch den zeitweisen Zwang zur polizeilichen Akkreditierung, der auch zur intransparenten Datenbankabfrage genutzt wurde, die Körperverletzungen durch RWE Security und die Polizei sowie das teilweise schikanöse Verhalten der Einsatzkräfte seien wesentliche Einschränkungen der Pressefreiheit.
Zeitweise habe es für Pressevertreter während laufender polizeilicher Maßnahmen in den vergangenen Tagen keinen Zugang zu den Hallen und einer Scheune im Dorf selbst gegeben, erklärte die dju. Dort soll es „nach den vorliegenden Informationen im Rahmen der Räumung mutmaßlich zu Körperverletzungen im Amt und gefährlichem Verhalten durch die Polizei gegenüber Protestierenden“ gekommen sein. Doch habe hierüber aufgrund von fehlender Transparenz nicht unabhängig berichtet werden können.
Die Gewerkschaft listet mindestens fünf körperliche Angriffe auf Journalisten durch die Polizei beziehungsweise durch die von RWE beauftragte Security auf. Mindestens zwei Journalisten sei nachträglich und unbefristet die Akkreditierung durch die Polizei entzogen worden. Zu den Vorwürfen der dju zählen auch „schikanöse Anweisungen der Polizei, nicht die Straße oder den Erdwall begehen zu dürfen, sondern nur die schlammigen Felder der Bauern“.
Im Rahmen der großen Demonstration am Samstag hat nach dju-Angaben eine Gruppe von Teilnehmern ein Kamerateam des rechten niederländischen Senders PowNed körperlich angegriffen. Zudem habe die Polizei mindestens zwei Pressefotografen körperlich angegangen, teilweise umgestoßen. Mindestens drei Journalisten erlitten den Angaben nach Atemwegsreizungen durch Pfefferspray. (epd)
Veranstalter der Großdemo wollen weitermachen
Die Organisatoren und Aktivisten der Großkundgebung am Samstag bei Lützerath haben weitere Proteste gegen die Abbaggerung des Weilers und die Braunkohleverstromung angekündigt. Auf einer Pressekonferenz würdigten die Vertreter von „Ende Gelände“, „Alle Dörfer bleiben“ und „Fridays for Future“ am Sonntag die Teilnahme von Zehntausenden Menschen an dem Protest rund um Lützerath als Zeichen der Hoffnung für den Klimaschatz in Deutschland und weltweit. In der kommenden Woche sollen weitere friedliche Aktionen „mit der ganzen Bandbreite des zivilen Ungehorsams“ folgen, unter anderem ein Aktionstag am 17. Januar.
Darya Sotoodeh von „Fridays for Future“, Christopher Laumanns von „Alle Dörfer bleiben“ und Charly Dietz von „Ende Gelände“ äußerten scharfe Kritik an der schwarz-grünen NRW-Landesregierung. Diese müsse die Räumung stoppen. „Die Regierung steht alleine da“, sagte Laumanns. Die Mehrheit der Bevölkerung wolle keinen weiteren Braunkohleabbau. Die Zerstörung von Lützerath sei eine „Blamage für Deutschland“, vor allem für die Grünen. Dietz forderte, die Grünen sollten die Räumung stoppen und sich bei den Menschen für das verursachte Leid entschuldigen. Laumanns verwies auf die Forderung von 500 Wissenschaftlern nach einem Moratorium, da die Erkenntnislage eindeutig sei: „Die Braunkohle wird nicht gebraucht.“
Die Organisatoren nannten die Großkundgebung und die Aktionen zuvor rund um Lützerath eine Zäsur. Es habe sich gezeigt, dass die Menschen die „alten Verträge“ mit der Politik nicht mehr wollten, den Ausstieg aus fossilen Energiegewinnung forderten und keine weiteren Räumungen oder Abbaggerungen akzeptieren. Egal, wie es mit dem geräumten und weitgehend abgerissenen Ort Lützerath selbst weitergehe, werde der Widerstand fortgesetzt, kündigten sie an.
Iza Hoffmann vom Sanitäter-Team der Demonstrationsorganisatoren sprach mit Blick auf die Großkundgebung vom Samstag von einer hohen Zahl verletzter Demonstranten im „zwei- bis dreistelligen“ Bereich und kritisierte unnötige Gewalt durch die Polizei. Sie sprach von Knochenbrüchen, Kopfverletzungen und warf der Polizei systematische Kopfschläge vor. Detaillierte Angaben wolle sie nicht machen, um eine Rückverfolgung mit Blick auf Strafanzeigen durch die Polizei zu verhindern, sagte sie.
Die Veranstalter der Demo betonten, dass sie als Aktionskonsens einen friedlichen und vielfältigen Protest befürworten. Mit Blick auf die Menschen, die sich am Samstag eigenständig abseits der genehmigten Demonstration zur Abrisskante begeben hatten, sagte Laumanns von der Initiative „Alle Dörfer bleiben“, das sei „eine beeindruckende und notwendige Aktion“ gewesen. Er habe dafür „vollstes Verständnis“. Die Sprecherin von „Ende Gelände“ sagt, es gebe eine sehr weite Bandbreite des zivilen Ungehorsams – der Konsens beinhalte Gewaltfreiheit. Einzelne würden „aus Wut“ aber zu anderen Mitteln greifen. An der Abbruchkante war es zu Konfrontationen mit der Polizei gekommen. (epd)
„Lützerath lebt“ beklagt „unglaubliches Maß an Polizeigewalt“
Eine Sprecherin der Aktivistengruppe „Lützerath lebt“ erhob am Sonntag schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Bei der Demo am Samstag habe es „ein unglaubliches Maß an Polizeigewalt“ gegeben, sagte sie. Eine Person aus den Reihen der Demonstranten sei in lebensbedrohlichem Zustand ins Krankenhaus gebracht worden. Das Vorgehen bei der Räumung von Lützerath selbst sei rabiat und rücksichtslos. „Es ist ein Wunder, dass es hier noch keine Toten gegeben hat“, sagte die Sprecherin. Die Polizei weist diesen Vorwurf zurück und versichert, mit äußerster Vorsicht vorzugehen. (dpa)
Polizei meldet 70 verletzte Beamte
Im Zuge der seit Mittwoch andauernden Räumung des Dorfes Lützerath hat es nach Angaben der Polizei vom Sonntag insgesamt mehr als 70 verletzte Polizisten gegeben. Die Verletzungen gingen nur zum Teil auf Gewalt durch Demonstranten zurück. Teilweise seien die Beamten zum Beispiel auch im schlammigen Boden umgeknickt. Auch Demonstranten seien verletzt worden. Wie viele es seien, wisse man nicht. Die meisten Beamten seien weiterhin dienstfähig. Seit Beginn der Räumung von Lützerath am Mittwoch seien etwa 150 Strafverfahren etwa wegen Widerstands gegen Polizeibeamte, Körperverletzung und Landfriedensbruchs eingeleitet worden. (dpa)
Lützerather Aktivisten harren weiter in Tunnel aus
Auch vier Tage nach Beginn der Räumung von Lützerath harren zwei Klimaaktivisten noch in einem unterirdischen Tunnel aus. Wie lange es dauern werde, sie dort rauszuholen, sei völlig unklar, sagte am Sonntag ein Sprecher des Energiekonzerns RWE, dessen Betriebsfeuerwehr die als „Rettung“ bezeichnete Aktion übernommen hat. Die Feuerwehr kontrolliere an dem Schacht regelmäßig ein Belüftungsgerät. Eine Sprecherin der Aktivistengruppe „Lützerath lebt“ sagte am Sonntag, der Zustand der beiden Aktivisten sei stabil.
Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach war am Freitag selbst in den Schacht hineingestiegen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. „Es ist ein Kellergewölbe, aus dem ein Schacht von vier Metern geht, dann eine Konstruktion in der Waagerechten“, sagte er anschließend. Er sei aber nicht ganz unten im Schacht gewesen, sondern nur oben, wo es noch halbwegs gefahrlos möglich sei. „Die Konstruktion ist nicht sicher“, war sein Eindruck. „Das, was wir gesehen haben für Zug- und Abluft, ist nicht geeignet, dort dauerhaft Sauerstoffversorgung zu gewährleisten, dass der CO2-Gehalt nicht zu sehr ansteigt.“ Die Feuerwehr übernehme aber ständig Messungen.
Am Donnerstag hatte ein auf der Plattform Youtube eingestelltes Video zweier vermummter Männer Aufsehen erregt. „Pinky“ und „Brain“ geben darin an, sich in dem Tunnel unter Lützerath aufzuhalten. (dpa)
Räumung soll am Sonntag fortgesetzt werden
Die Polizei will am Sonntag die Räumung des Dorfes Lützerath am Rande des Braunkohletagebaus Garzweiler fortsetzen. Auf dem seit Mittwoch abgeriegelten Dorfgelände halten sich nach Polizeiangaben weiterhin Klimaaktivisten auf, etwa in Baumhäusern. Zwei Aktivisten harrten außerdem in einem Tunnel unter einem Gebäude aus. Wie viele Kohlegegner noch auf dem Gelände sind, ist nicht bekannt.
Der Energiekonzern RWE hatte am Samstag von Vorbereitungen gesprochen, um die beiden Aktivisten aus dem Tunnel zu holen. „Es wird an einem Rettungskonzept gearbeitet“, sagte ein Unternehmenssprecher. Man sei dabei auch mit externen Experten und dem Technischen Hilfswerk in Kontakt. „Die beiden, die da unten sitzen, sind nach eigenen Angaben wohlauf.“ Sie hätten etwa keine Probleme mit Frischluft.
Das Dorf Lützerath, ein Ortsteil von Erkelenz westlich von Köln, ist seit Tagen von der Polizei abgeriegelt und mit einem doppelten Zaun umgeben. Die wenigen Gebäude der Siedlung werden abgerissen, um es dem Energiekonzern RWE zu ermöglichen, die darunter liegende Braunkohle abzubaggern. Dagegen hatten am Samstag viele Tausend Menschen im benachbarten Ortsteil Keyenberg demonstriert. Die Polizei sprach von 15.000 Teilnehmern, die Veranstalter schätzten die Zahl auf 35.000.
Am Rand der Demonstration kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Nach Polizeiangaben wurden dabei auf beiden Seiten Menschen verletzt. Die genaue Anzahl der Verletzten und die näheren Umstände, die zu den Verletzungen führten, wurden zunächst nicht bekannt. Laut Polizei hatten rund 1.000 größtenteils vermummte „Störer“ versucht, auf das abgesperrte Dorfgelände zu gelangen. Um sie abzuwehren, setzte die Polizei Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Ob es Festnahmen gab, wurde zunächst nicht mitgeteilt.
Nach Polizeiangaben attackierten einzelne Demonstranten auch Einsatzwagen der Polizei und warfen Pyrotechnik in Richtung der Beamten. Ein Sprecher erklärte, Reifen seien zerstochen und Außenspiegel abgetreten worden.
Der Energiekonzern RWE teilte am Abend mit, man sei „entsetzt über die Aggressionen und die Gewalt, die von Teilen der Aktivisten ausgingen“. Dies habe mit der ansonsten friedlichen Demonstration nichts mehr zu tun. „Wer völlig enthemmt Steine und Feuerwerkskörper auf Polizisten wirft und versucht Absperrungen zu durchbrechen, kritisiert nicht die Energiepolitik, sondern attackiert das gesellschaftliche Fundament unseres Rechtsstaats.“
Hauptrednerin bei der Kundgebung war die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg. „Lützerath ist noch da, und solange die Kohle noch in der Erde ist, ist dieser Kampf nicht zu Ende“, sagte die 20-Jährige unter dem Jubel der Zuhörer. (dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland