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Klimaklage in StraßburgKlimaklagen und Klimakleben

Kommentar von Tabea Kirchner

Sechs Jugendliche schaffen es, 30 Staaten vor Gericht zu zitieren. Man muss sich nicht auf die Straße kleben, um die Öffentlichkeit zu erreichen.

Die KlägerInnen am 27. September vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Foto: Jean-Francois Badias/ap

D ie Klage von sechs jungen Por­tu­gie­s:in­nen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zwingt Verursacher der Erderhitzung, sich öffentlich zu verteidigen. Die Verursacher – das sind insbesondere die Industriestaaten. Über 30 davon wurden vor Gericht zitiert. Weltweit laufen nach UN-Angaben inzwischen über 2.000 Klagen gegen Regierungen und Unternehmen, mit dem Ziel, die Klimakrise aufzuhalten.

Solche Klagen können durchaus erfolgreich sein. Erst im August gewannen 16 junge US-amerikanische Klä­ge­r:in­nen einen Prozess gegen den Bundesstaat Montana. Eine Richterin urteilte, der Bundesstaat verletze das verfassungsmäßige Recht der 16 jungen Klägerinnen und Kläger auf eine „saubere und gesunde Umwelt“. Auch in Deutschland gab es bereits im Jahr 2021 den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), woraufhin die Große Koalition das Klimaschutzgesetz nachbessern musste.

Während die sechs jungen Por­tu­gie­s:in­nen vor Gericht zogen, kündigten die Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation großspurig an, Berlin lahmlegen zu wollen, um ihre Forderungen für effektive Klimaschutzpolitik voranzutreiben. Damit provozierten sie schon im Vorfeld der Aktion, aus der am Ende wenig wurde, breiten Widerstand.

Abgesehen von den Farbaktionen auf das Brandenburger Tor und den Berlin-Marathon wurden zwar auch einige Straßen blockiert, aber „lahmgelegt“ war die Hauptstadt nicht. Stattdessen wird öffentlich weiter hauptsächlich über die Methode diskutiert und nicht über die Forderungen. Sind Klimaklagen am Ende vielleicht die effektivere Protestform?

Die Ver­tre­te­r:in­nen von über 30 Staaten vor Gericht zu bringen, ist für eine Gruppe Minderjähriger sicher kein kleiner Erfolg. Dennoch führten vielen der 2.000 Klagen am Ende zu nichts. Dagegen erzwang die Letzte Generation im vergangenen März immerhin Gespräche mit den Oberbürgermeistern zahlreicher Städte. Das eine schließt das andere nicht aus. Ob auf der Straße oder vor Gericht – was es braucht, ist eine Vielfalt der Proteste.

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19 Kommentare

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  • taz: "Weltweit laufen nach UN-Angaben inzwischen über 2.000 Klagen gegen Regierungen und Unternehmen, mit dem Ziel, die Klimakrise aufzuhalten."

    Jetzt müssen die jungen Leute ihre Zukunft also schon einklagen, weil es anders wohl nicht mehr geht. Die Zukunft der nachfolgenden Generationen (im Grunde ja die Zukunft der gesamten Menschheit) wird von dem herannahenden Klimawandel bedroht, aber Regierungen und Konzerne wollen das klimaschädliche Monopolyspiel dennoch weiterspielen. Begreifen Politiker und Wirtschaftsbosse (und das weltweit) eigentlich nicht, dass sie auch auf der 'Titanic' sind, die in voller Fahrt Richtung 'Eisberg' ist?

    • @Ricky-13:

      Es scheint tatsächlich, als gäbe es da einen Plan B, wie man das Spielchen (Wachstum, Wachstum, Taschen vollstopfen) einfach fortführen kann. Und damit "davonkommen", - selbst ohne "Planet B". Erstaunlich.

  • Es gibt verschiedene Studien, die besagen, dass nur ein Sechstel der Bevölkerung die Konsequenzen des Klimawandels richtig verstanden hat (ZON).

    Insofern ist das von den Kindern und Jugendlichen angestrengte Verfahren ein guter Anlass, dies zu ändern. Denn wie hier im Artikel postuliert, braucht es "eine Vielfalt der Proteste". Aber mehr noch braucht es eine Verbindung der unterschiedlichen Aspekte.

    Denn momentan erleben wir (noch) eine Spaltung in: INHALT und ERNSTHAFTIGKEIT.

    Soll heißen, zwar gibt es immer bessere Prognosen, welch katastrophale Folgen uns erwarten, wenn sich die Klimadynamik weiter wie bisher fortsetzt - diese werden aber nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit in politisches- und gesellschaftliches Handeln umgesetzt...



    ....und es gibt den Widerstand der Klimaaktivisten, der auf eindrucksvolle Weise demonstriert wie ERNST es den (meist jungen) Menschen ist, allerdings sind deren Forderungen (INHALTE) eher schwach und bleiben weit hinter den Anforderungen zurück, die aus den wissenschaftlichen Erkenntnisen folgen müssen.

    Mit der Initiative der Kläger*innen wird aber einmal mehr deutlich wie ERNST es ihnen ist. Und ein Prozess der naturgemäß auch in die INHALTE der Klimadynamik würdigen muss, stellt somit eine Chance dar, die noch fehlende Verbindung her zu stellen.

    Allerdings wird sich der notwendige gesellschaftliche Wandel nur dann einstellen, wenn der juristische Prozess auch zu einem gesellschaftlichen Prozess wird...was aber nur gelingen kann, wenn die Öffentlichkeit dies mit dem gleichen Eifer verfolgt, wie die provokativen Aktionen der LG.

    In diesem Sinne wäre es also wünschenswert, dieses Internationale Gerichtsverfahren kleinteilig und mit einer gewissen Zuspitzung in die Öffentlichkeit zu tragen...damit die staunende Mehrheit versteht..was uns ganz real bevor steht, wenn wir nicht endlich den Ernst der Lage erkennen und die Bereitschaft entwickeln mit den richtigen Massnahmen (Inhalten) auf die katastrophale Lage zu antworten..

  • Bewunderung und Anerkennung für solch ein Engagement, auch wenn ich befürchte, dass die Klage wenig Aussicht auf Veränderung hat. Was wäre sonst die Antwort auf das (vermutlich) nicht mehr erreichbare, aber auch optionale 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens oder gar auf das verpflichtende 2 Grad Ziel? Eine einvernehmliche Verpflichtung zur Änderung unserer Lebensweise? Zwar logisch, aber auch zugleich auch unvorstellbar.

  • @JIM HAWKINS

    Jetzt lassen sie mal den (oder die?) Kleber in Ruhe.

    Es braucht beides.

    Und ja, coole Sache.

  • Letztlich rettet man mit klagen genauso wenig das Klima wie mit kleben. Es macht keinen Sinn, nur auf das Thema aufmerksam machen zu wollen, es weiß eh jeder, dass wir auf eine Klimakatastrophe zusteuern. Es reicht nicht zu sagen, wir müssen was tun, oder gar, die Regierung muss was tun. Es reicht nicht, mit irgendwas mit Klima in die Medien zu kommen, um sich delbst das Gefühl zu geben, man hat etwas getan, egal ob msn damit in Wirklichkeit nur ein paar Pendler geärgert hat oder die Judtiz beschöftigt hat.

    Wir beschäftigen uns viel zu viel mit Aktivismus und zu wenig mit Lösungen. Es ist witzlos, "eine effektive Klimapolitik vorantreiben" zu wollen, wenn man nicht genau sagt, wie die aussehen soll (oder wenn die Berichterstattung darüber - wie dieser Kommentar- das jedenfalls nicht weiterträgt).

    Protest und Klagen mögen da helfen, wo ganz konkret Politik gegen den Klimaschutz gemacht wird. Aber da hört man sehr wenig. Wo waren zum Beispiel die Proteste und die Klagen, als kürzlich de fakto die Schnellbahntrasse Hamburg Hannover und der Deutschlandtakt aufgegeben wurde?

  • Coole Sache und ganz ohne Kleber.

  • Klasse Handlung. Konkret und zielgerichtet. Nur bleibt es wage, ob sich nach einem positiven Richterspruch und nach einer Gesetzesänderung etwas ändern wird. Das beste Beispiel ist die Entscheidung des Verfassungsgerichtes in unserem Lande. Trotz gesetzlicher Nachbesserung, erfolgt direkt danach eine Aufweichung auf dem Verordnungswege. Siehe das politische Handel von FDP und SPD bei Strompreisreduktion, klimazielbilanzierung über alle Ministerien, etc. Was hat der Richterspruch also gebracht? Wo kein Kläger, da kein Richter. Die politischen Akteure sind geübt genug, Gesetzesformulierung so zu gestalten, dass es auf den ersten Blick aussieht als würde die Legislative der Aufforderung der Judikative nachkommen. Keinen Millimeter sind wir weitergekommen. Das Gegenteil tritt gerade ein, aus Angst vor schlechten Wahlergebnissen. Wahlstimmen zählen, nicht das Gesetzesblatt.

  • "Dennoch führten vielen der 2.000 Klagen am Ende zu nichts. Dagegen erzwang die Letzte Generation im vergangenen März immerhin Gespräche mit den Oberbürgermeistern zahlreicher Städte."



    Den zweiten Satz müsste man noch ergänzen um "...was im Endeffekt auch zu nichts geführt hat."

  • Man muss nur Jahre an Arbeit und tausende € Anwaltskosten investieren. Und fast immer gehe. Diese Klagen ins leere (vgl. Die letzte Klage vor dem Verfassungsgericht)

    Studien haben gezeigt, dass die Aktionen der LG nur bei einem verschwindend kleinen Anteil Widerstand gegen Klimaschutzmaßnahmen auslöst. Was wirklich passiert ist, dass durch die Art der Berichtserstattung in den Mainstreammedien Menschen, die von Anfang an dagegen waren ermutigt werden das laut zu sagen.

    Normalerweise mag ich die Taz aber manchmal gibt es echt journalistisch schlechte und unreflektierte Artikel ohne einen erkennbaren Nutzen wie diesen hier.

    Mensch kann von der LG und deren Aktionsformen halten was Mensch will aber diese beiden Aktionsformen zu vergleichen und dabei nur die Vorteile auf der einen Seite und nur die Nachteile auf der anderen Seite hervorzuheben ist journalistisch unter aller Sau. Solche Berichterstattung ist der Grund warum wir in Klimaschutz, Polizeiproblem und Rechtsruck da sind, wo wir gerade sind. (Natürlich einfach nur die Art, dieser Artikel ist nicht ganz so schlimm)

  • Man kann eine Stadt nicht lahmlegen, indem man ein paar Straßen sperrt. Auf den anderen läuft der Verkehr umso flüssiger, weil die ausgesperrten fehlen. Und ist die Sperre weg, fahren die gesperrten gemütlich und flott heim, weil die anderen schon weg sind.

    Autos legen sich normalerweise von alleine lahm. Man könnte höchstens mit nem Radlerstreik - und entsprechend mehr Verkehr - ein größeres Verkehrschaos erreichen.

  • Es wäre spannend zu sehen, ob die Zustimmung für den Klageweg anhielte, wenn

    die Klagen vor Gericht Erfolg hätten,

    die verklagten Staaten ihre Gesetze dementsprechend ändern

    und rigoros für eine Durchsetzung im Alltag sorgen würden,

    was vermutlich zu Einschränkungen auch der Bevölkerung führen würde.

  • Diese 6 Jugendlichen haben jetzt schon viel mehr erreicht als die LG mit allen Aktionen zusammen. Denken und gezielt handeln bringt halt doch mehr als nur Denkmäler zu verschandeln und auf selbstgerecht zu machen.

    • @Rudi Hamm:

      ...finde die Klagen auch sehr angebracht und auf Dauer vielleicht sogar effektiv.



      Unser Protest sollte aber ruhig möglichst vielfältig ausfallen...

    • @Rudi Hamm:

      Was haben sie denn erreicht? Das klimagesetz wird geschwächt, die Firmen investieren mehr in fossile Infrastruktur. Sie lügen sich gerade in die eigene Tasche, die letzte Generation zeigt den Menschen ihre Verantwortung und nicht nur den Firmen.

      • @Ramelow Cathrin:

        "die Firmen investieren mehr in fossile Infrastruktur"



        Die Grünen investieren mehr in fossile Infrastruktur, siehe Kohlestrom und Fracking-Gas Importe.

      • @Ramelow Cathrin:

        "[...]die letzte Generation zeigt den Menschen ihre Verantwortung und nicht nur den Firmen."

        Schade nur, dass "die Menschen" das gar nicht bemerken.

        Achja, wenn Sie schreiben "nicht nur den Firmen", sollte man annehmen, dass LG mit ihrem Protest auch Firmen



        adressiert. Echt jetzt? Ein paar Beispiele wären nett.

  • Bravo! Weiter so und mehr davon!