Jugendliche klagen wegen Klimawandel: Staaten vor Gericht
Sechs portugiesische Jugendliche haben mehr als 30 Staaten verklagt. Der Vorwurf: zu wenig Klimaschutz. Das verletze die Menschenrechte.
Berlin taz | Schon die Anwaltsbank zeigt das Kräfteverhältnis: sechs gegen mehr als achtzig. Die kleine Gruppe an Jurist:innen vertritt sechs portugiesische Jugendliche. Die große steht für die mehr als dreißig Regierungen, die sie mangels Klimaschutz verklagen. Auch Deutschland ist darunter. Am Mittwoch wurde der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verhandelt.
„Wenn nicht sofort gehandelt wird und die Emissionen sinken, wird der Ort, an dem ich lebe, bald zu einem unerträglichen Heizkessel“, sagte der 20-jährige Kläger Martim Duarte Agostinho. Wie mehrere seiner 12- bis 24-jährigen Mitstreiter:innen, unter anderem seine Schwestern Cláudia und Mariana, kommt er aus der Region Leiria.
Dort hatte es im Jahr 2017 extreme Waldbrände gegeben, die durch heißeres und trockeneres Wetter begünstigt werden – der Erwachungsmoment für die Jugendlichen. „Unsere Botschaft an die Richter ist ganz einfach: Bitte bringen Sie diese Regierungen dazu, das Nötige zu tun, damit wir eine lebenswerte Zukunft haben“, so Agostinho.
Deutschlands Rolle doppelt vor Gericht
Der Fall zieht sich schon über einige Jahre. Im September 2020 reichten die Portugies:innen die Klage ein. Betroffen sind die 27 EU-Staaten sowie Norwegen, Russland, Türkei, Schweiz und Großbritannien. Seither hatten auch die Regierungen Zeit, Stellung zu dem Vorwurf zu nehmen. Der wiegt schwer: Das Handeln der Staaten verletze durch die Klimakrise die Menschenrechte der Kläger:innen. Ein finales Urteil wird erst im kommenden Jahr erwartet. Bei einem Erfolg der Klage würden die Richter:innen die verklagten Staaten auffordern, strengere Klimaziele zu beschließen und einzuhalten.
Deutschlands Rolle in der Klimakrise wird damit gleich doppelt vor dem Straßburger Gericht verhandelt. Neben den Portugies:innen haben dort auch neun deutsche Jugendliche die Bundesregierung verklagt. Zuerst hatten sie das vor dem Bundesverfassungsgericht versucht, nachdem dieses die Regierung schon vor zwei Jahren einmal zum Nachbessern beim Klimaschutzgesetz gezwungen hatte. Diesmal wiesen die Richter:innen in Karlsruhe die Klage allerdings ohne Begründung ab.
Leser*innenkommentare
tomás zerolo
@FILOU
Die Autos blockieren sich doch selber. Dumm wie Auto, halt.
tomás zerolo
@FILOU
Dann kleben sich die Jungen Leute auf die Strasse. Und @FILOU meckert [1]
[1] taz.de/Umfrage-zu-...bb_message_4567000
Filou
@tomás zerolo Ne, die blockieren jetzt mit Autos. Haben die diese Autos eigentlich zur Blockade geschoben ?
shantivanille
Warum nicht die Staaten mit der höchsten Pro-Kopf-Co2-Ausstoß?
Palau 60,17 Tonnen
Saudi-Arabien16,6 Tonnen
Kanada 14,9 Tonnen
Australien 14,3 Tonnen
USA 14,2 Tonnen
Russische Föderation13,5 Tonnen
Republik Korea 12,1 Tonnen
Luxemburg 13,8 Tonnen
China 8,7 Tonnen
Japan 8,6 Tonnen
Außer Bhutan sind es wohl nur wenige Länder, die man nicht verklagen kann.
Filou
Was geschieht eigentlich wenn die Kläger Recht bekommen und die verklagten Staaten trotzdem Nichts zusätzlich tun ?
Ajuga
@Filou Was passiert, wenn ich neben einem Kinderspielplatz einen Brunnenschacht grabe, und die Baustelle nicht absichere, und irgendwelche Eltern klagen, und das Gericht verurteilt mich dazu, die Baustelle abzusichern?
Und ich mache es nicht, und ein Kind fällt in den Schacht und verletzt sich?
Einfache Antwort: das wird teuer. Aber so richtig.
Im Fall des Fehlverhaltens von Regierungen zahlt natürlich das gesamte Volk.
Es sei denn, das Volk beschließt, dass die betreffenden Politiker mit ihrem Handeln ihr Eigentum und ihre bürgerlichen Ehrenrechte verwirkt haben, oder wählt direkt die "libysche Lösung" (necessitas non habet leges, sed plumba).
Tom Tailor
@Ajuga Also bevor "das" Volk (das es ja ohnehin als homogene Masse nicht gibt) die Politiker zum Teufel jagt, wird die Hölle zufrieren :D
Martin Sauer
@Filou Egal ob Europäischer Gerichtshof oder zb. Bundesverfasungsgericht. In Deutschland Zb. sin die Abgeordneten des Bundestags, Bundesrats und Landtage für Gesetzesänderungen oder neue Gesetze verantwortlich. Kein Gericht kann darüber bestimen das Gesetzesänderungen oder neue Gesetze von mindestens 50 % der Abgeordneten zugestimmt werden. Das ist auch gut so, unsere Abgeordneten sins unabhängig, und Gerichte sind keine Ersatzgesetzgeber
Fritz Lang
@Martin Sauer Es geht nicht um Gesetzesänderungen sondern um die Nicht-Einhaltung geltender Gesetze, also um Rechtsbruch. Und auch Regierungen und Abgeordnete stehen nicht über dem Gesetz.
Tom Tailor
@Fritz Lang Nein, aber sie sind halt mehreren Zielen verpflichtet, von denen eines der Klimaschutz ist.
Budzylein
@Fritz Lang Nach dem Artikel ist die Klage aber darauf gerichtet, dass die verklagten Staaten "strengere Klimaziele" beschließen. Und wenn das Gericht sie dazu verpflichtet, dann ist das nichts anderes als eine Verpflichtung, neue Gesetze oder Gesetzesänderungen zu erlassen. Und wenn Richter dem Gesetzgeber alles Wesentliche vorgeben, gefährdet das die Demokratie, weil die gewählten Parlamente entmachtet werden.
Das Klima kümmert sich übrigens nicht darum, wenn ein paar europäische Staaten irgendwelche "Klimaziele" beschließen und ihre CO2-intensiven Industrien deswegen in Staaten verlegt werden, denen die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schnurzegal sind.
Felis
@Filou Dasselbe wie bisher: nichts.