Klimaforscher zur COP27: „Durchaus Gründe zur Hoffnung“
Teile der Ampel hätten die Dringlichkeit des Klimaschutzes nicht verstanden, so Stefan Rahmstorf. Die Emissionen müssten auf null. Klimafreundliche Technik sei bereits vorhanden.
taz: Herr Rahmstorf, was muss auf der Weltklimakonferenz in Scharm al-Scheich passieren, damit Sie sagen: Das war ein Erfolg?
Stefan Rahmstorf: Entscheidend ist, dass Selbstverpflichtungen abgegeben werden, die Emissionen deutlich schneller zu reduzieren. Gerade hat der „Emissions Gap Report“ der UN wieder deutlich gezeigt, dass wir den Klimaschutz beschleunigen müssen, um die Emissionen weltweit bis 2030 zu halbieren. Ich denke allerdings, dass in Scharm al-Scheich wieder vor allem um Geld diskutiert wird: Wer muss für die Klimaschäden bezahlen?
Ist das nicht genau das richtige Thema? Die Länder des globalen Südens brauchen dringend die Mittel, um klimafreundliche Strukturen aufzubauen. Es gibt dazu Initiativen, von der Graswurzelbewegung bis zum ehemaligen US-Finanzminister.
Ja, die Frage der Klimagerechtigkeit ist natürlich ein zentrales Thema. Denn gerade die Länder, die am wenigsten zu der globalen Erwärmung beigetragen haben, leiden am meisten unter den Klimafolgen. Die reichen Industriestaaten wiederum tragen die Hauptverantwortung für alle bisherigen Emissionen seit Beginn der Industrialisierung. Bei den historischen fossilen Emissionen ist Deutschland auf Rang vier aller Länder nach den USA, China und Russland. Wir sind hier also besonders gefragt, was die Finanzierung angeht.
ist Klimawissenschaftler. Er arbeitet seit Mitte der 1990er Jahre am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, seit dem Jahr 2000 ist er auch Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam.
Es gab seit der historischen Konferenz in Paris 2015 mit der Selbstverpflichtung auf das 1,5-Grad-Ziel wieder mehrere Klimakonferenzen ohne besondere Erfolge. Wäre in kleineren, weniger aufwendigeren Formaten mehr zu erreichen als auf solchen Riesenkonferenzen?
Dann macht man den Bock – sprich: die großen Industrieländer – doch zum Gärtner. Man braucht auch die vielen kleinen Länder, die wenig emittieren, die aber natürlich stark betroffen sind – wie die kleinen Inselstaaten oder die am wenigsten entwickelten Länder. Diese Gruppen haben bei diesen COPs eine wichtige Stimme, und das muss auch so sein.
In der Gemengelage aus Krisenstimmung, Ukraine-Krieg und Energiekrise ist gerade wieder stärker die Rede von technischen Lösungen für die Klimakrise. Sehen Sie welche?
Nein. Wir müssen die Emissionen einfach auf null kriegen. Und ich finde, da gibt es durchaus Gründe zur Hoffnung. Dazu müssen wir keine neuen Technologien erfinden, sondern wir haben die Technologien im Wesentlichen bereits. Wir wissen heute, dass wir die Welt auch mit 100 Prozent erneuerbarer Energie versorgen können. Laut World Energy Outlook wird der Höhepunkt der fossilen Energienutzung in spätestens fünf Jahren überschritten, die Stromerzeugung aus Erneuerbaren hat bereits die Atomkraft überholt und wird in zehn Jahren die Kohle überholen.
Wenn wir dieses Wachstum weiter aufrechterhalten, indem wir Hindernisse beseitigen, dann können wir es tatsächlich schaffen, dass wir in der Nähe von 1,5, vielleicht auch 1,6 Grad Erwärmung bleiben. Die Internationale Energieagentur IEA, die den World Energy Outlook erstellt, sagt auch, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine dieses Ende der fossilen Energien beschleunigen wird, weil die Preise der Fossilen steigen. Das macht die Erneuerbaren wirtschaftlicher.
Können wir uns also zurücklehnen – die Wirtschaft macht das schon?
Nein, um das Wachstum der Erneuerbaren weiter zu befeuern, müssen wir die Anstrengung hier noch einmal verdoppeln. Man muss nicht verzweifeln, wir können es schaffen. Aber wenn man sich zurücklehnt, schaffen wir es eben nicht.
Sehen Sie in der deutschen Politik den Willen, die Anstrengung zu verdoppeln?
Es gibt bei den Parteien Bremser des Klimaschutzes, die durch Debatten über Nebenschauplätze eine Art Ablenkungsmanöver bestreiten. Sie verweisen lieber auf irgendwelche Technologien in der Zukunft, statt sich um Emissionsreduktion jetzt zu kümmern. Etwa bei Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen, den „E-Fuels“, kann man aber schon ganz klar absehen, dass das höchstens ein Nischenmarkt wird und zum Beispiel für Autoantriebe einfach zu ineffizient ist.
Sie sprechen erkennbar von der FDP: Gehen Sie davon aus, dass die FDP den Klimaschutz anderen Themen unterordnet?
Ja, ich denke, die FDP hat die Dringlichkeit des Klimaschutzes einfach nicht verstanden.
Wer hat denn dann versagt, wenn eine ganze deutsche Partei noch nicht verstanden hat, dass die Sache mit dem Klimaschutz ernst ist? Die Medien, die Wissenschaft?
Naja, man kann natürlich Leute nicht von etwas überzeugen, das sie einfach nicht wissen wollen. Ausreichend Willen kann ich derzeit bestenfalls bei den Grünen verorten, aber nicht bei den anderen Koalitionspartnern.
Also auch bei der SPD nicht. Und der Kanzler?
Olaf Scholz kommt mir nicht wie ein wirklich flammender Klimaschützer vor, der sich hier voll ins Zeug legt, um eine Katastrophe in letzter Minute abzuwenden, die uns eben tatsächlich droht.
Was braucht es, um eine Öffentlichkeit herzustellen, die auch einen Kanzler zwänge, das Thema noch ernster zu nehmen?
Meine Erfahrung mit der Politik der letzten 25 Jahre ist, dass es letztlich doch mehr braucht als nur sachliche Argumente, sondern offensichtlich auch den öffentlichen Druck, die Angst, Wahlen zu verlieren. Unter dem Eindruck der Flut im Ahrtal konnte Scholz sich im Wahlkampf 2021 als Klimakanzler plakatieren lassen. Aber das war vielleicht doch nicht ganz so aus innerer Überzeugung.
Hilft Kartoffelbrei auf dem Schutzglas eines Gemäldes?
Ich kann nicht verstehen, warum solche Aktionen wie jüngst hier im Potsdamer Museum Barberini so eine riesige Diskussion auslösen. Es hat doch keinen Schaden verursacht. Es ist vielleicht auch keine sehr clevere Aktionsform – obwohl ich dann auch dachte, wenn das so eine Riesendiskussion auslöst, ist es vielleicht ja doch eine clevere Aktionsform. Aber ich kann nicht verstehen, warum wir über solche Nebensächlichkeiten eigentlich diskutieren – statt darüber, wie unsere Lebensgrundlagen, die Ökosysteme, kaputtgehen.
Wird durch die radikaleren Protestformen das Anliegen des Klimaschutzes eher beschädigt oder eher begünstigt?
Ich finde, der UN-Generalsekretär Guterres hat etwas sehr Gutes dazu gesagt: Radikal sind doch nicht die jungen Leute, die demonstrieren, sondern radikal sind die, die immer so weitermachen wie bisher und dabei unseren ganzen Planeten zerstören.
Die sozialen Medien, vielleicht vor allem Twitter, sind ein Forum, auf dem Protestbilder eine große Rolle spielen. Sie selbst sind auf Twitter auch erkennbar emotionaler unterwegs als in Ihren sonstigen eher nüchternen öffentlichen Auftritten. Ist Twittern nützlich?
Ich glaube natürlich, dass es was bringt, sonst würde ich es nicht machen. Obwohl es natürlich Zeit kostet. Twitter ist ein wichtiges Forum, weil hier viele Entscheider und Journalisten unterwegs sind und man hier auch ein internationales Publikum erreicht. Wenn ich irgendwo auf der Welt einen Vortrag halte, kommen hinterher Leute zu mir und sagen hey, ich folge Ihnen auf Twitter.
Twitter und Social Media stehen im Ruf, den öffentlichen Diskurs zu ruinieren: Durch Polarisierung, durch die Freisetzung von Häme und Hass. Gleichzeitig hat Twitter den Draht zwischen Journalismus und Wissenschaft verkürzt, Expertenwissen gelangt schneller ans Laienpublikum.
Ich merke das ja auch als Nutzer: Während der Corona-Pandemie habe ich sofort angefangen, einigen der wichtigsten Virologen zu folgen. Und dadurch habe ich mich über Twitter direkter und besser informiert gefühlt als durch die Medien. Ich denke, dieser ungefilterte Dialog zwischen normalen Bürgern und den Experten ist auch eine echte Bereicherung. Natürlich gibt es auch immer Trolle, die dann unter den Tweets gehässiges Zeug kommentieren. Aber das ist eigentlich bei Wissenschaftlern gar nicht so stark wie etwa bei Personen wie Greta Thunberg, oder wenn man mal guckt, was Luisa Neubauer für Kommentare abbekommt. Das ist noch deutlich krasser als das, was ich als Wissenschaftler erlebe.
Hat die Klimaforschung davon profitiert, dass die Wissenschaftskommunikation in Deutschland zuletzt besser geworden ist, die WissenschaftlerInnen die Öffentlichkeit nicht mehr so stark vermeiden?
Ja – die Zeiten haben sich enorm verändert. In den 90ern hat mich einmal ein Abteilungsleiter-Prof beiseite genommen und mir gesagt: Nur schlechte Wissenschaftler reden mit Journalisten. Meine erste Pressemitteilung habe ich heimlich selbst geschrieben und an zwei Journalisten geschickt. Als das Internet aufkam, haben die Professoren gesagt, wir brauchen doch keine Webseite, wozu denn auch?
Und doch muss man im Fall der Klimawissenschaften sagen: Es war nicht erfolgreich genug. Stattdessen macht sich eine gewisse Art Panik oder auch Verzweiflung darüber breit, dass Politik und Öffentlichkeit nicht hören wollen.
Wir müssen darüber reden, was passiert, wenn wir es nicht schaffen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das Fenster der Möglichkeit, das noch zu schaffen, schließt sich gerade, während wir sprechen. Wenn wir noch mal drei, vier Jahre warten, ist es einfach unmöglich. Denn es kommt auf die kumulativen Emissionen an. Man kann nicht wie bei anderen Umweltproblemen sagen, naja, wenn wir die Ziele dieses Jahr nicht erreichen, erreichen wir sie halt in zehn Jahren. Das ist bei den Klimazielen eben nicht möglich, sondern sie sind dann einfach nicht mehr erreichbar. Und deswegen sind Klimawissenschaftler zunehmend in extremer Sorge, dass wir die Ziele einfach nicht mehr schaffen, wenn wir nicht sehr, sehr schnell handeln.
Sie schildern die Situation selbst dramatisch. Was müsste passieren, dass Sie sich etwa der Gruppe Scientist Rebellion anschließen, die durch strafrechtlich relevante Aktionen auffällt?
Ich habe bei James Hansen, dem berühmten Nasa-Klimafoscher, in den 80er-Jahren erlebt, wie er vor der Erderwärmung warnte. Er hat sich im fortgeschrittenen Alter dann auch bei direkten Aktionen verhaften lassen. Ich glaube, er hat dadurch nicht mehr Einfluss auf die Politik erhalten, sondern seine Effektivität eher ein bisschen beschädigt. Im Moment denke ich, als Wissenschaftler, der einfach nur die Fakten erklärt, bin ich effektiver.
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