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Ketten wollen keine Mieten mehr zahlenKampf der Großkonzerne

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Adidas, H&M und Co wollen vorerst keine Miete mehr zahlen. Klassenkampf? Es geht darum, wer die Zinsen zahlt.

Wenn die Kunden nur maskiert vorbeihetzen: Turnschuhladen in Berlin Foto: Michele Tantussi/reuters

D ie Politik ist empört: Handelsketten wie Adidas, H&M oder die Schuhkette Deichmann wollen vorerst keine Miete mehr für ihre Läden zahlen, die im Zuge der Corona-Epidemie geschlossen wurden. Dies sei „unanständig“ und „nicht akzeptabel“, wetterte SPD-Justizministerin Christine Lambrecht. Und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ließ wissen, er sei „sehr enttäuscht“. Denn Mieten sollen nur gestundet werden, wenn sich die Mieter durch die Coronakrise in existenziellen Nöten befinden. Adidas hingegen verbuchte im vergangenen Jahr einen Milliardengewinn.

Das Verhalten der Premiummieter sieht zunächst wie ein Klassenkampf von oben aus, es wirkt, als bereicherten sich Großkonzerne erneut skrupellos. Doch so einfach ist es nicht. Zunächst einmal: Die Vermieter von Gewerbeimmobilien sind meist ebenfalls Großkonzerne. Dazu gehören Lebensversicherungen, Banken, Fonds und börsennotierte Immobilienkonzerne. Sie alle haben großflächig in Einkaufszentren und Ladenzeilen investiert. Etwas überspitzt formuliert: Adidas kämpft jetzt gegen die Allianz, wenn es um die Mietzahlungen geht.

Zudem sehen die Corona-Hilfsmaßnahmen vor, dass Mieten nur gestundet und später nachgezahlt werden. Adidas spart also gar kein Geld, sondern verschiebt seine Ausgaben nur in die Zukunft. Am Ende hat niemand einen Schaden.

Die Antwort heißt Liquidität

Trotzdem ist klar: Die Handelsketten verhalten sich eindeutig nicht im Sinne des neuen Rettungsgesetzes. Denn Adidas oder Deichmann sind nicht existenzbedroht. Bleibt also die Frage, warum sie trotzdem gesetzwidrig agieren. Die Antwort heißt „Liquidität“. Die Handelsketten wollen möglichst flüssig bleiben und viel Geld in ihren Kassen behalten.

Das ist rational. Momentan haben die Ketten keine Einnahmen, weil ihre Läden geschlossen sind, aber die fixen Kosten wie Mieten laufen weiter. Selbst einer profitablen Firma wie Adidas kann daher kurzfristig das Geld ausgehen, sodass man einen Notkredit bei der staatlichen Förderbank KfW aufnehmen müsste. Das wäre kein Problem, würde aber etwa 2 Prozent Zinsen kosten.

Genau diese Zinskosten wollen die Handelsketten aber sparen. Ihr Kalkül ist so schlicht wie beinhart: Sollen doch die Vermieter die Notkredite aufnehmen, bis die Wirtschaft wieder läuft und die Mieten nachgezahlt werden. Die nicht gezahlte Miete ist daher weniger ein Problem mangelnder Solidarität – sondern ein Machtkampf zwischen Großkonzernen darüber, wer die Zinslasten tragen muss, die für Corona-Kredite fällig werden. Klassenkampf sieht anders aus.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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13 Kommentare

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  • Dass Großkonzerne bzw. große Einzelhandelskonzerne in dieser Krise fast gleich behandelt werden wie kleine Einzelhändler, wundert mich nicht. Das ist die Logik des Systems, dass Große immer größer macht.

    Dabei müsste gerade bei derartigen Krisen Kapitalgesellschaften mit deutlich stärkeren Auflagen bedacht werden. Staatliche Hilfe nur gegen Gewinnbeteiligung.

  • Aber es gibt doch auch "kleine" Vermieter, denen gegenüber ist das Verhalten schändlich.

    • @dator:

      Wir sind hier im Bereich der Gewerbemieten, da gibt es kaum "kleine Vermieter"; schon gar nicht in den Lagen, in denen Adidas und H&M so mieten, sondern v.a. Immoblilienfonds. Aber auch bei "kleinen" Mietern und Vermietern darf die Belastung der Krise nicht einseitig verteilt werden.

    • @dator:

      wer eine Gewerbeimmobilie in Lagen, die für HuM oder adidas interessant sind, vermietet, ist eher nicht "klein".

  • Aber es geht doch noch um etwas anderes als einen "Kampf der Großkonzerne": Nämlich, stellvertretend für alle Einzelhändler, um Arbeitseinkommen vs. Kapitaleinkommen. Ein Einzelhändler bezahlt mit seinen Einnahmen im wesentlichen Löhne, direkt und indirekt (dass dabei im Fall von Adidas Näher*innen in Südostasien sicher mehr bekommen sollten, steht dabei außer Frage). Ein gewerblicher Vermieter dagegen erwirtschaftet im wesentlichen Zinsen auf sein eigenes oder Fremdkapital. Löhne spielen da, auch indirekt, kaum eine Rolle. Die aktuelle "Krisenpolitik" der GroKo nützt den Kapitaleigentümern und schadet den Arbeitenden. Gerechtigkeit a la Merkel.

  • Der Deichmann-Sprecher betonte wohl auch deshalb, das Unternehmen erwarte von den politisch Verantwortlichen, "dass die durch die Zwangsschließungen entstehenden Mietschäden für die beteiligten Vertragsparteien ersetzt werden". Für mich ,im Klartext, vom Steuerzahler!

  • man kann sich auch mal die Frage stellen warum ein Konzern wie Adidas überhaupt Liquidität sichern muss. Der überwiegende Teil der Umsätze, ca 23 Mrd Euro 2019, dürfte Cash gedeckt sein.

    Barbestand am Jahresende ca. 900 Mio Euro. Da wurde doch schon vor Corona gezielt auf niedrige Barbestände (Strafzinsen für zu hohe Guthaben?) hingearbeitet. das rächt sich dann.

  • Na, dann ist ja alles Bestens, wenn Unternehmen Gesetze nur einhalten müssen, wenn sie die Liquidität nicht gefährden, oder? Was ist das für ein absurdes Argument, dass nur Aktienkonzerne gegenseitig um den schlankesten Fuß kämpfen? Allgemeinwohl, Solidarität und Gesetzestreue passen nicht zum Aktienrecht. Der Schutz der Aktionäre steht über dem Gesetz.

    Am 10.3. habe ich unter dem Beitrag von Ingo Arzt "Alles klar machen für die Bankenrettung 2.0!" notiert. Nun werden global Unternehmen und Konzerne (das kapitalistische Wirtschaftssystem) durch die Einzelstaaten über Wasser gehalten. Was wohl sein muss, um Hungeraufstände und "kann mein Netflix-Abo nicht mehr bezahlen" Revolutionen abzuwehren. Die anfallenden Zinsen für die Billionen Dollar/Euro müssen künftig aber von jemandem bezahlt werden. Es geht um mehr als den Mietzins! Vom wem dürfte klar sein, da Unternehmenssteuererhöhungen nach der Krise, wie schon vor der Krise den Aufschwung gefährden würden, wie wohl auch Lohnerhöhungen.

    Wer die Gewinner und wer die Verlierer nach dieser Krise sein werden, steht heute schon fest. Rettungszahlungen des Staates an Aktienkonzern dürfen nicht länger ohne Gewinnbeteiligungen erfolgen. Wer Hilfe benötigt soll sie bekommen, aber nicht zum Nulltarif!

  • Ich wiederhole meinen Komentar aus dem anderen Artikel:



    Klar könnten "die Großen" das auch stemmen. Aber ich sehe darin eine solidarische Aktion mit all den kleinen Ladenbetreibern. Wenn diese anfingen, ihre Miete nicht zu bezahlen, würde das niemand mitbekommen. Jetzt ist es Debatte. Warum sollen nur die Betreiber dafür haften? Die Vermieter weiter die Kohle kassieren? Auch und gerade die Vermieter können und müssen mit Verantwortung übernehmen. Sie haben eine stabile Wertanlage, sie verlieren erstmal nichts. Und wenn, dann trifft es am ehesten jene Vermieter, die daraus ein knallhartes Geschäft gemacht haben, groß zu investieren. Wegen mir, passt scho.

  • Das neue Rettungsgesetz habe ich nicht gelesen, aber wenn darin die Möglichkeit, die Mietzahlungen unter Hinweis auf Corona einzustellen, nicht explizit erwähnt ist, dürften m. E. Adidas & Co. schlechte Karten vor Gericht haben.



    Darüber hinaus: Wieso regen sich vor allem Politiker*Innen links der Mitte auf? Die betreffenden Mieter und Vermieter gehören beide nicht zu deren Wählerklientel. Und den bei den Handelskonzernen Beschäftigten kann es egal sein, solange sie pünktlich und in voller Höhe ihren Lohn erhalten!

  • Naja, aber wenn sie nicht zahlen, müssen sie halt Verzugszinsen zahlen. Und das sind hier sogar 9 % (§ 288 Abs. 1 + 2 BGB). Das kann also wohl nicht die Motivation sein

    • @mjto93:

      Das mit den Verzugszinsen ist mir auch durch den Kopf gegangen. Ich habe mich auch gewundert, warum davon nichts im Artikel steht. Dass es 9% sind, wusste ich aber nicht.

      • @APO Pluto:

        Fast richtig, der Verzugszinssatz für Geschäfte zwischen Kaufleuten beträgt 9 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, welcher wiederum derzeit -0,88% beträgt, als Ergebnis bekommen wir also 8,12 Prozent.



        Da würde ich als Vermieter ganz entspannt einen Kredit zu 2% aufnehmen und dann Adidas verklagen.