„Kanzlerkandidatin“ der AfD: Propagandashow für Weidel
Die extrem rechte AfD bringt sich für den Wahlkampf in Stellung: Die „Kanzlerkandidatin“ Alice Weidel steht für Rassismus und Marktradikalismus.
![Die Spitzenkandidatin der AfD, Alice Weidel, bei einer Pressekonferenz in der AfD-Geschäftsstelle Die Spitzenkandidatin der AfD, Alice Weidel, bei einer Pressekonferenz in der AfD-Geschäftsstelle](https://taz.de/picture/7401182/14/Alice-Weidel-Kanzlerkandidatin-AfD-Bundestagswahl-2025-Wahlkampf-Kandidatin-1.jpeg)
Die Partei sei angesichts ihrer Planungen von Umsturz und Massendeportationen eine Gefahr für alle, besonders aber für Menschen mit Migrationsgeschichte. Die Partei und allen voran Weidel hetzten gegen Minderheiten und stempelten sie zu Sündenböcken für soziale Missstände ab, ruft sie: „Und wenn Alice Weidel noch so oft versucht, die AfD zu entdämonisieren und ihr ein bürgerliches Deckmäntelchen umzulegen – die AfD bleibt eine im Kern faschistische Partei!“ Am Ende ihrer Rede skandiert die ganze Demo: „Alle zusammen gegen den Faschismus!“
Kurz darauf sieht drinnen in der Parteizentrale tatsächlich viel nach Propagandashow aus: Die AfD hat aufgrund ihrer Radikalität keine Chance, Regierungsverantwortung zu übernehmen, keine andere Partei will mit ihr koalieren. Dennoch hat sie am Samstag mit Alice Weidel erstmals einen „Kanzlerkandidaten“ aufgestellt – nicht gegendert, versteht sich.
Spitzenkandidatin Weidel ließ sich grinsend im Presseraum der Geschäftsstelle vorstellen und von ihrem Co-Chef Tino Chrupalla lobpreisen – unter dem demonstrativen Applaus der anwesenden AfD-Landessprecher*innen. Weidel sagte: „Heute ist ein großer Tag für die Partei und ein großer Tag für Deutschland“. Sie freue sich, dass sie einstimmig vom Bundesvorstand und den Landesvorsitzenden nominiert wurde und stellte dann den Slogan für die Bundestagswahl vor: Der soll „Zeit für Deutschland“ lauten. Anleihen an die verbotene NS-Parole „Alles für Deutschland“ sind vermutlich intendiert. Der Kopf der völkischen Parteiströmung, Björn Höcke, wurde für die Verwendung des SA-Leitspruchs bisher zweimal verurteilt – in der radikalen Anhängerschaft und der Parteijugend ist seither auch der Slogan „Alice für Deutschland“ durchaus gebräuchlich.
Perlenkette und Reichsbürgersprech
Für die radikalen Strippenzieher in der Partei ist die in der AfD-Anhängerschaft sehr beliebte Weidel so etwas wie das bürgerlich aussehende Aushängeschild – mit Hosenanzug, Perlenkette und Doktortitel in Volkswirtschaftslehre. Tatsächlich stimmte Weidel 2017 noch für den Parteiausschluss von Björn Höcke, als es im Bundesvorstand noch eine Mehrheit dafür gab. Diese Zeiten sind allerdings vorbei: Heute applaudiert Höcke als Claqueur auf ihrer Nominierungs-Pressekonferenz.
Vor allem aber stützt Weidel sich auf das mittlerweile dominante Netzwerk um den Vize-Fraktionssprecher im Bundestag, Sebastian Münzenmaier, einen wegen Körperverletzung verurteilten ehemaligen Hooligan. Weidel ist jede Unterstützung recht -innerparteilich gilt sie vor allem als Opportunistin, die vor allem eines will: Ganz vorne stehen.
Allerdings findet sich auch bei Weidel bei näherem Hinschauen ideologisch wenig Bürgerliches: Wie Weidel politisch tickt, hat sie 2013 in einer später geleakten E-Mail in Reinform ausformuliert: Darin schrieb Weidel, dass Deutschland „von kulturfremden Völkern wie Arabern, Sinti und Roma etc. überschwemmt“ würde und „von Verfassungsfeinden“ regiert werde – „diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte des 2. Weltkriegs“, schrieb sie da im Reichsbürgersprech. Unterschrieben war die Mail mit lieben Grüßen von „Lille“, ihrem Spitznamen. Zuerst stritt Weidel ab, dass sie die Mail verfasst habe, später aufgrund der erdrückenden Beweislage nicht mehr. Heute will sie über die Mail gar nicht mehr sprechen.
Mehr Milei wagen?
Mittlerweile ist Weidel aber eher bekannt für spitze Reden mit rassistischen Tiraden gegen „Messermänner“ und „Kopftuchmädchen“, aber auch für düstere Untergangsszenarien, die sie vom Abstieg Deutschlands zeichnet.
Ihre Antwort auf den angeblichen Untergang ist: Mehr Milei wagen. So jedenfalls hört es sich am Samstag an, wenn sie – ganz die Marktradikale mit Vergangenheit in einer Investmentbank und Zweitwohnsitz in der Schweiz – von einem „freiheitlichen Programm“ spricht und sagt, Klimaregulierungen seien eingeführt worden „von einem gefräßigen Steuerstaat, der sich wie eine Raupe Nimmersatt durch Unternehmen, durch die Arbeitnehmerschaft durchfräst und ihnen alles wegnimmt, was sie sauer verdient haben.“
Natürlich durfte auch Rassismus nicht fehlen: Deutschlands ist eines der wohlhabendsten und sichersten Länder der Welt – Weidel aber behauptete trotzdem, dass die deutsche Bevölkerung „Freiwild“ sei für „marodierende, ausufernde Migrantengewalt“. Migration sei die „Ursache allen Übels“, behauptete Weidel. Der Applaus ihrer AfD-Länderchefs war ihr dafür sicher.
Die Plakatkampagne der AfD orientiert sich am Hauptslogan „Zeit für Deutschland“ und beinhaltet neben dem offensichtlichen Nationalismus auch Geschichtsrevisionismus – etwa den Slogan „Zeit, wieder stolz zu sein“. Apropos Revisionismus: Zeitweise soll wohl sogar über den Slogan „Zeit für ein Comeback“ diskutiert worden sein. Ansonsten hat die autoritär-nationalradikale Partei für alle reaktionären Forderungen, die sie auch sonst auch so erhebt, ein Plakat: „Illegale“ raus, Grenzen dicht, Windräder stoppen.
Programm „jenseits der Koalitionsfähigkeit“
Auch das Wahlprogramm hat es in sich. Laut dem der taz vorliegendem Entwurf will die Partei den Dexit, also den EU-Austritt, ebenso soll die D-Mark zurück. Die Sanktionen gegen Russland will die AfD aufheben und die Ukraine für billiges russisches Gas opfern – sie verurteilt in dem Programm nicht einmal den russischen Angriffskrieg. Sie leugnet die menschengemachte Klimakrise, will das Recht auf Abtreibungen stark einschränken, lädt soziale Fragen rassistisch auf und will eine völkisch grundierte Familienpolitik, einschließlich Herdprämie für die Frauen. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder wertete vor allem die Dexit-Forderung als provokative, fundamentale Maximalposition „jenseits der Koalitionsfähigkeit“.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, sagte: „Die Forderungen der AfD nach einem Austritt aus der EU und aus dem Euro zeugen von einer bemerkenswerten Inkompetenz und von blankem Populismus, der die Menschen in diesem Land verhöhnt.“ Der Austritt aus dem Euro und aus der EU würde in Deutschland einen enormen wirtschaftlichen Schaden verursachen, so Fratzscher. Die Bundesrepublik profitiere vom Euro und der EU wie kaum ein anderes EU-Land.
Fratzscher wiederum zeichnete wie Weidel ein düsteres Bild von Deutschland – aber eben, wenn das AfD-Programm umgesetzt würde: „Das Resultat der von der AfD geforderten Politik wäre eine massive Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit und der Verlust von Wohlstand überall in der Republik.“ Die größten Opfer von AfD-Politik wären die Wähler*innen der AfD selbst – „denn vor allem die strukturschwächeren Regionen und jüngere und weniger mobile Menschen hätten keine Möglichkeit mehr, ihren Lebensstandard zu sichern“, so der Wirtschaftsexperte.
Spagat Russlandfrage
Besonders die Russlandfrage könnte für die AfD zum unbequemen Spagat werden: Während in Ostdeutschland das Kuscheln mit Putin besser ankommt, befremdet es eher im Westen – aber dort lebt nun einmal der Großteil der Wähler*innen. Wohl auch deswegen drückt sich die AfD um das Thema Wehrpflicht im Programm: Obwohl die Partei für Aufrüstung ist und im Grundsatzprogramm eine Wehrpflicht fordert, taucht das Wort im Wahlprogramm nicht einmal auf.
Das Hauptproblem für die Partei bleibt jedoch die Brandmauer. Denn trotz der hohen Zustimmungswerte zuletzt bleibt es natürlich Show, wenn Weidel sich „Kanzlerkandidat“ nennt – eine Aussicht zu regieren hat die Partei nicht. Sie liegt in den Umfragen zwischen 17 und 19 Prozent und ist damit momentan zweitstärkste Kraft hinter der CDU. Kein Wunder, dass sie im Wahlkampf deswegen vor allem die Union und die Brandmauer angreifen will.
Entsprechend freute sich der Bundesvorstand der AfD ganz gewaltig darüber, dass sich die Konkurrenz in den letzten Monaten mit Abschottungspolitik überboten hat, wie es in einem der taz vorliegenden Strategiepapier des Bundesvorstands heißt: „Als AfD begrüßen wir die durch die ‚Normalisierung‘ unserer Forderungen wachsende Anschlussfähigkeit von etablierten politischen Kräften und Bewegungen an die AfD.“ Um die „Koalitions- und Regierungsfähigkeit der AfD“ zu unterstreichen, wolle man nicht nur Alleinstellungsmerkmale herausstellen, sondern insbesondere „auch die Schnittmengen mit den Parteien, welche sich einer Zusammenarbeit bislang noch verweigern.“ Zuerst hatte der Deutschlandfunk über das Papier berichtet.
Die Rednerin vom Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ vor der Tür sagte es so: „Wer meint, AfD-Wähler*innen dadurch zurückholen zu können, dass man soziale Projekte zusammenstreicht, statt Reichtum zu besteuern oder selbst vor angeblich unkontrollierter Migration warnt, ist auf dem Holzweg.“ Sie kritisierte mit Blick auf die Normalisierung der AfD vor allem die politische Konkurrenz: „Wer selbst ankündigt, das Asylrecht noch weiter schleifen zu wollen und noch schneller abschieben zu müssen, gibt der AfD und ihren Nazi-Kumpan*innen letztlich recht und macht sich zu ihrem Steigbügelhalter.“
Die Aktivist*innen kündigten an, wie zuletzt in im Sommer beim Bundesparteitag in Essen, wo 70.000 gegen die AfD demonstrierten, mit einem breiten Bündnis auch gegen den anstehenden Parteitag in Riesa am 11. und 12. Januar in Riesa demonstrieren zu wollen. Dort soll Weidel vom Parteitag als „Kanzlerkandidat“ bestätigt werden.
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