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Kanzler Scholz im KoalitionsausschussDer getarnte Verlierer

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Grünen sind die Verlierer des Koalitionsausschusses. Allerdings gibt es einen weiteren – der sich in puncto Klima nun hinter der FDP versteckt.

Bräuchte einen umgekehrten Agenda-2010-Moment: Bundeskanzler Olaf Scholz Foto: Kay Nietfeld/dpa

D ie Kompromissbildungsschmiede der Ampel hat bislang eher gut funktioniert. Die SPD bekam 12 Euro Mindestlohn, die FDP mehr Minijobs. SPD und Grüne bekamen 60 Milliarden ursprünglich für die Coronakrise geplantes Geld für den Klimafonds, die Liberalen keine Steuererhöhungen. Das war zwar immer weniger als das, was für den sozial-ökologischen Umbau nötig ist. Und Fortschrittskoalition war eine forsche Selbstüberhöhung. Aber für eine Regierung mit Finanzminister Christian Lindner war es solides politisches Handwerk. Und Olaf Scholz gab den ausgleichenden Moderator.

Das ist seit dem 30-Stunden-Ampel-Marathon vorbei. Die Kompromissmaschine läuft nicht mehr rund. SPD und FDP haben die Grünen in deren Kernbereich Klima gemeinsam an die Wand gedrückt. Dass der Kanzler, der nicht zum Überschwang neigt, diesen Notkompromiss fern von hanseatischem Understatement als „sehr, sehr, sehr gut“ feierte, zeigte, dass hier etwas nicht stimmt. Was die Ampel beschlossen hat, hilft weder dem globalen Klima noch dem Binnenklima im Kabinett. Die FDP wird nach diesem Sieg nicht weniger nervös auftreten. Im Gegenteil: Diese Demütigung der Grünen schmeckt nach Wiederholung.

Neben dem Grünen gibt es noch einen Verlierer. Er ist schwer zu erkennen, weil gut getarnt: der Kanzler. Scholz sieht sich als Macher. Merkel mit Plan, so hat ihn der Stern vor Jahren mal genannt. Also pragmatisch, aber mit Blick für das große Ganze. Das aber hat Scholz komplett aus den Augen verloren. Ein amputiertes Klimaschutzgesetz für mehr Klimaschutz – diese Gleichung geht in keiner noch so raffinierten Dialektik auf. Die klimapolitische Wende der SPD war offenbar nur eine Fassade, die beim ersten zarten Windstoß umgefallen ist.

Die SPD ist keine sozial homogene Milieupartei der urbanen Mittelschicht wie die Grünen. Sie muss an Geringverdiener und Dieselfahrer in der Provinz denken. Sie ist eine Volkspartei in der Abenddämmerung und muss mehr Mi­lieus einbinden.

Klimapolitik zum Kulturkampf

Die Aussicht, demnächst keine Gas- und Ölheizungen mehr einbauen zu dürfen, sorgt für Verunsicherung. Es gibt in der SPD-Politik durchaus einen rationalen Kern. Wenn Klimapolitik zum Kulturkampf zwischen liberalen Zentren und frustrierter Provinz wird, verlieren alle (außer der AfD). So weit, so richtig. Aber Angst vor deutschen Gelbwesten zu haben und mit zittrigen Fingern auf den gescheiterten Klimavolksentscheid in Berlin zu zeigen, ist noch keine Politik. Vorsorgliche Anpassung an das, was zu befürchten ist, macht nichts besser.

Was fehlt, ist die klare Ansage, wer bei den Heizungen mit welcher Hilfe rechnen kann. Stattdessen blinkt die Ampel konfuse Signale. Statt Ängste einzuhegen, sorgt die Regierung für zusätzliche Verunsicherung. Es fehlt jene Führung, die Scholz gern für sich reklamiert. Der Job der SPD ist es, Klimaschutz mit sozialen Ausgleich zu verkoppeln. Das ließe sich prima über das Klimageld machen, für das sich Hubertus Heil zu Recht engagiert hat.

Ärmere, die viel weniger CO2 emittieren, profitieren davon. Reiche mit großen Wohnungen und großen Autos müssen zahlen. Doch dieses Geld soll jetzt offenbar für den Heizungsumbau benutzt werden. Das ist keine gute Idee, denn damit verschwindet die sozialdemokratische Gravur der Klimapolitik. Dass sich die SPD beim Klimaschutz mit der FDP verbündet hat, ist unschön. Dass sie dabei ihre eigene Ideen zu vergessen scheint, ist unverzeihlich.

Technik löst nicht alle Probleme

Scholz scheitert zudem an einer Illusion. Er ist überzeugt, dass man den klimaneutralen Umbau als rein technisches Projekt managen und als Win-win-Situation für alle verkaufen kann. So ist es nicht. Eigentlich wissen sehr viele, dass immer mehr immer billigeres Fleisch essen, billig um die Welt jetten und mit immer größeren SUVs die Innenstädte zuparken nicht die Zukunft sein wird.

Und dass die Transformation viele Gewinner und viele Verlierer produzieren wird. Die Kluft zwischen dieser Ahnung und Scholz’ Versprechen, dass alles so bleibt, wie es ist, nur mit E-Motor oder E-Fuels, ist groß. Und wird immer größer. Deshalb klingt Scholz' „Macht euch keine Sorgen“ nicht beruhigend, sondern ziemlich alarmierend.

Der Kanzler bräuchte jetzt einen umgekehrten Agenda-2010-Moment. Schröder ist damals mit der Agenda 2010 energiegeladen in die komplett falsche Richtung gestürmt. Er hat die Armen an die Kandare genommen und die Reichen geschont. Aber die Agenda 2010 hat gezeigt, dass das immobile deutsche System in Bewegung gebracht werden kann, wenn man es wirklich will.

Kann Scholz das? Begreift er, dass der Klimawandel die wahre Zeitenwende ist? Wenn nicht, bleibt nur leerer Pragmatismus.

Der Kanzler bräuchte jetzt einen umgekehrten Agenda-2010-Moment.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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20 Kommentare

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  • "Also pragmatisch, aber mit Blick für das große Ganze. Das aber hat Scholz komplett aus den Augen verloren"

    ... man kann schlecht aus den Augen verlieren, was man nie im Blick hatte"

    Der Vergleich mit Merkel ist gut.



    Bei Scholz muss ich immer gleich an Merkel denken ... nur etwas flegmatischer und deutlich weniger Charisma.

    " leerer Pragmatismus." jepp das sind die passenden Adjektive beim Scholz.

    Ich muss ganz ehrlich sagen, bissher macht Scholz, die Politik, die ich von Ihm erwarten werden konnte.

    Besser wäre er hätte uns überrascht.

  • Ich sehe eher nur Gewinner. Ein guter Kompromiss.

    • @Taxi fahrer:

      Hä??

  • Offenbar unterschätzt die SPD und vielleicht auch Olaf Scholz, dass die SPD-Wählerschaft auf eine gute Klimapolitik angewiesen ist. Denn sie hat in der Mehrzahl wohl nicht die finanziellen Mittel, die nötig sind, sich vor den schlimmsten Folgen der Klimaerwärmung zu schützen. Vermögende könne höhere Preise zahlen, sich Klimaanlagen leisten und sie können sich vor allem den Rückzug in die verbleibenden klimatisch erträglicheren Gebiete leisten. Das kann die Mehrzahl der SPD-Wählerschaft eben nicht.

    Aber auch aus Sicht der Arbeitnehmer:innen ist Klimaschutz überlebenswichtig. Je heißer es wird, um so gesundheitsbelastender wird körperliche Arbeit. Gewerkschaften sollten darum eigentlich wissen. In großer Hitze anstrengende und schweißtreibende körperliche Arbeit erledigen zu müssen, ist eine eneorme körperliche Belastung.

    Auch auch dieser Perspektive handelt die SPD, handelt Bundeskanzler Olaf Scholz gegen die Interessen der eigenen Wählerschaft.

  • Eine auf Windstrom basierende Energiepolitik ist m.E. nicht für ein wirtschaftlich prosperierendes Land tragfähig. Da müssen noch andere Konzepte her. Da ist die Ampel also noch nicht zukunftsfähig. Und ich glaube Scholz hat das erkannt und arbeitet daran.

    • @Gerdi Franke:

      Diese Einschätzung hätte ich nun aber gerne von dir begründet!

  • Scholz ist ein sehr, sehr, sehr undurchsichtiger Zeitgenosse. Nur eins scheint durch: Opportunismus. Seine Anbiederung an die FDP, sein Ausbremsen jeglichen wirksamen (!) klimapolitischen Fortschritts - das alles deutet in diese Richtung. Die SPD ist inzwischen so abgenutzt und vergilbt, von da kommt keine Korrektur. Die hätten mal einen richtigen Doppel-Wumms nötig!

  • Sie haben einen Verlierer vergessen. Die Bevölkerung die das alles bezahlen muss.

    • @Stoffel:

      Uns das werden nicht die reichen/Eliten sein. Deswegen fliegt der SPD/FDP das auch bald um die Ohren!

      • @KielerSprotte:

        zu hoffen wäre es, aber es wird nicht geschehen; denn der Dummdeutsche wählt ja stets die, die den Reichen noch mehr Reichtum verschaffen - immer in der Hoffnung, wenn die immer reicher werden, wird irgendwann auch was für alle anderen abfallen.



        Oder gibt es eine andere Erklärung dafür, dass immer wieder so viele CDU und FDP wählen? Und die SPD möchte von diesem Durchschnittsdummen eben auch gewählt werden…

  • Die SPD wird wie immer den Weg des geringsten Widerstandes gehen und Wähler und Basis verraten. Den Sound der Agenda 2010 hat Scholz schon angestimmt.

    Seit man im Vollzug der Agenda 2010 die obszönen Luxus-SUVs immer fetter werden sehen konnte und die Familienkutschen der Durchschnittbürger immer älter, habe ich meinen Schluss ein für alle mal gezogen: Nie wieder SPD.



    Die SPD hat mich seither darin stets bestätigt.

    Dass sie mit Scholz wieder den Kanzler stellen kann, ist ein katastrophales Symptom der Dysfunktionalität unseres politischen Systems, indem sich wirtschaftliche Interessen die volle Kontrolle über Parteien (wie die SPD) und die Meinungsdominanz erkaufen konnten. Dank der Kohl- und Schröder-Kabinette.

    • @Bernd5667:

      Genau so, volle Zustimmung

  • Es wird Zeit, diese liberale Partei (genannt FDP) mit ihren politischen Ideen von vorvorgestern endlich in den Orkus der Geschichte zu befördern.



    Aber dieses Ampelkoalition platzen zu lassen und Neuwahlen anzustreben, käme für den deutschen Michel einer Revolution gleich, es entspräche nicht seinen Vorstellungen von Demokratie. Politischer Stillstand, Reformstau, Selbstblockade und Arbeitsverweigerung des politischen Personals gelten im Gegenteil noch als demokratische Tugend.



    Dabei ist es eine (typisch deutsche?) Hybris zu glauben, anderweitig, wo die Bürger*innen permanent zu den Urnen gerufen werden, würde Demokratie schlechter funktionieren als hierzulande.

    • @Abdurchdiemitte:

      Und was glaubst du, was bei der Wahl raus kommen wird? Entweder die Ampel Reloaded, dann wäre die ganze Neuwahl Sinnlos.



      Jamaika, wo dann ebenfalls die FDP im Boot wäre oder aber Groko, was man hätte ebenfalls 2021 haben können (wieder) aber nicht wollte.



      Es gibt schlichtweg keinen Grünen Wählerwillen! Und das Ergebnis bei einer Neuwahl dürfte für die Grünen wieder bei etwa 15% liegen.

  • Es geht nicht um ein Fußballspiel. Gewonnen hat hier keiner. Der Klima -und Naturschutz haben verloren. Die ilusion, es könne so weiter gehen, nur mit technischen Änderungen, wird weiter aufrecht erhalten. Mit Geld zugekleistert. Die Rechnung bekommen spätestens die Kinder von heute. Und die wird nicht mit Geld beglichen werden.

    • @Matt Gekachelt:

      Die Rechnung zahlen unsere Kinder mit Wertverlust und natürlich auch mit Geld und zum Teil mit Leben. Wir werden auch massiv an Wirtschaftskraft verlieren. Das derzeit gute Leben für Viele geht im wahrsten Sinne des Wortes "den Bach" runter. Das Ahrltal war nur der Anfang. Da wird dann auch kein Sondervermögen mehr nützlich sein.

  • Es ist nicht die Frage was Scholz begreift, sondern was er begreifen will. Inhalte passen ihm ja grundsätzlich nicht ins Konzept und so langsam lässt man ihn auch nicht mehr mit hohlen Phrasen durchkommen, deshalb wird er sich vor irgendeiner Agenda hüten und sich weiter auf seine Karriere als Beruhigungspille konzentrieren.

  • "Die Grünen sind die Verlierer des Koalitionsausschusses" ?wirklich?

    Die Grünen haben 1/3 der Zweitstimmen der Koalition erhalten. Daran gemessen wurde schon einiges erreicht, Ausbau der Erneuerbaren und auch die mit den Grünen nicht verhandelbare Abschaltung der AKWs. Im Gegenzug beharrt die FDP ideologisch darauf, dass es kein Tempolimit geben darf. Pragmatismus hätte hier dem Klima entscheidend geholfen. Das Offenlassen der Efuel Option ist da eher eine Kleinigkeit.

    Die Grünen haben etwas Entscheidendes erreicht: die Finanzierung der Bahnsanierung aus der LKW Maut. Dadurch werden viele Bahnsanierungsprojekte gesichert und der LKW-Transport teurer (ja, auch das spanische Gemüse), diese Kombination wird auf mittlere Sicht eine Hebelwirkung für den Klimaschutz entfalten.

    Der effizienste Klimaschutz ist eine Optimierungsaufgabe: Maximierung der eingesparten CO2-Emmissionen unter Berückschtigung der verfügbaren Geld- und Personalmittel und zwar die kumulierte Summe auf der Zeitachse. Darum kann die Aufgabe der Sektorenziele auch auf dieser Einsicht beruhen und nicht auf einem Einknicken der Grünen gegenüber der fdp.

    Bestmöglicher Klimaschutz besteht aus strategischem Progmatismus s.o. und nicht aus vielen klimabewegten Sofort-Verboten (Ausnahme Tempolimit) der Politik. Ach ja: und aus einer Verhaltensänderung der Bevölkerung, die auch auf Einsicht beruht.

  • Die Rente ist sicher!



    Wir schaffen das!



    Macht euch keine Sorgen!



    Hat je einer dieser Sätze die Wahrheit gespiegelt?

    • @Frau Flieder:

      Nein, aber interessiert es die Mehrheit der Bevölkerung? die glaub wohl daran, sonst würde sich schon lange fundamental etwas ändern. Die Zuwächse bei AfD ist ein Zeichen dafür, aber viele nehmen Abstand davon, da die Ziele den meisten auch nicht gefallen.