Kanzler Scholz im Koalitionsausschuss: Der getarnte Verlierer
Die Grünen sind die Verlierer des Koalitionsausschusses. Allerdings gibt es einen weiteren – der sich in puncto Klima nun hinter der FDP versteckt.
D ie Kompromissbildungsschmiede der Ampel hat bislang eher gut funktioniert. Die SPD bekam 12 Euro Mindestlohn, die FDP mehr Minijobs. SPD und Grüne bekamen 60 Milliarden ursprünglich für die Coronakrise geplantes Geld für den Klimafonds, die Liberalen keine Steuererhöhungen. Das war zwar immer weniger als das, was für den sozial-ökologischen Umbau nötig ist. Und Fortschrittskoalition war eine forsche Selbstüberhöhung. Aber für eine Regierung mit Finanzminister Christian Lindner war es solides politisches Handwerk. Und Olaf Scholz gab den ausgleichenden Moderator.
Das ist seit dem 30-Stunden-Ampel-Marathon vorbei. Die Kompromissmaschine läuft nicht mehr rund. SPD und FDP haben die Grünen in deren Kernbereich Klima gemeinsam an die Wand gedrückt. Dass der Kanzler, der nicht zum Überschwang neigt, diesen Notkompromiss fern von hanseatischem Understatement als „sehr, sehr, sehr gut“ feierte, zeigte, dass hier etwas nicht stimmt. Was die Ampel beschlossen hat, hilft weder dem globalen Klima noch dem Binnenklima im Kabinett. Die FDP wird nach diesem Sieg nicht weniger nervös auftreten. Im Gegenteil: Diese Demütigung der Grünen schmeckt nach Wiederholung.
Neben dem Grünen gibt es noch einen Verlierer. Er ist schwer zu erkennen, weil gut getarnt: der Kanzler. Scholz sieht sich als Macher. Merkel mit Plan, so hat ihn der Stern vor Jahren mal genannt. Also pragmatisch, aber mit Blick für das große Ganze. Das aber hat Scholz komplett aus den Augen verloren. Ein amputiertes Klimaschutzgesetz für mehr Klimaschutz – diese Gleichung geht in keiner noch so raffinierten Dialektik auf. Die klimapolitische Wende der SPD war offenbar nur eine Fassade, die beim ersten zarten Windstoß umgefallen ist.
Die SPD ist keine sozial homogene Milieupartei der urbanen Mittelschicht wie die Grünen. Sie muss an Geringverdiener und Dieselfahrer in der Provinz denken. Sie ist eine Volkspartei in der Abenddämmerung und muss mehr Milieus einbinden.
Klimapolitik zum Kulturkampf
Die Aussicht, demnächst keine Gas- und Ölheizungen mehr einbauen zu dürfen, sorgt für Verunsicherung. Es gibt in der SPD-Politik durchaus einen rationalen Kern. Wenn Klimapolitik zum Kulturkampf zwischen liberalen Zentren und frustrierter Provinz wird, verlieren alle (außer der AfD). So weit, so richtig. Aber Angst vor deutschen Gelbwesten zu haben und mit zittrigen Fingern auf den gescheiterten Klimavolksentscheid in Berlin zu zeigen, ist noch keine Politik. Vorsorgliche Anpassung an das, was zu befürchten ist, macht nichts besser.
Was fehlt, ist die klare Ansage, wer bei den Heizungen mit welcher Hilfe rechnen kann. Stattdessen blinkt die Ampel konfuse Signale. Statt Ängste einzuhegen, sorgt die Regierung für zusätzliche Verunsicherung. Es fehlt jene Führung, die Scholz gern für sich reklamiert. Der Job der SPD ist es, Klimaschutz mit sozialen Ausgleich zu verkoppeln. Das ließe sich prima über das Klimageld machen, für das sich Hubertus Heil zu Recht engagiert hat.
Ärmere, die viel weniger CO2 emittieren, profitieren davon. Reiche mit großen Wohnungen und großen Autos müssen zahlen. Doch dieses Geld soll jetzt offenbar für den Heizungsumbau benutzt werden. Das ist keine gute Idee, denn damit verschwindet die sozialdemokratische Gravur der Klimapolitik. Dass sich die SPD beim Klimaschutz mit der FDP verbündet hat, ist unschön. Dass sie dabei ihre eigene Ideen zu vergessen scheint, ist unverzeihlich.
Technik löst nicht alle Probleme
Scholz scheitert zudem an einer Illusion. Er ist überzeugt, dass man den klimaneutralen Umbau als rein technisches Projekt managen und als Win-win-Situation für alle verkaufen kann. So ist es nicht. Eigentlich wissen sehr viele, dass immer mehr immer billigeres Fleisch essen, billig um die Welt jetten und mit immer größeren SUVs die Innenstädte zuparken nicht die Zukunft sein wird.
Und dass die Transformation viele Gewinner und viele Verlierer produzieren wird. Die Kluft zwischen dieser Ahnung und Scholz’ Versprechen, dass alles so bleibt, wie es ist, nur mit E-Motor oder E-Fuels, ist groß. Und wird immer größer. Deshalb klingt Scholz' „Macht euch keine Sorgen“ nicht beruhigend, sondern ziemlich alarmierend.
Der Kanzler bräuchte jetzt einen umgekehrten Agenda-2010-Moment. Schröder ist damals mit der Agenda 2010 energiegeladen in die komplett falsche Richtung gestürmt. Er hat die Armen an die Kandare genommen und die Reichen geschont. Aber die Agenda 2010 hat gezeigt, dass das immobile deutsche System in Bewegung gebracht werden kann, wenn man es wirklich will.
Kann Scholz das? Begreift er, dass der Klimawandel die wahre Zeitenwende ist? Wenn nicht, bleibt nur leerer Pragmatismus.
Der Kanzler bräuchte jetzt einen umgekehrten Agenda-2010-Moment.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe