Jüdinnen und Juden in den USA: Die zerrissene Diaspora
Immer mehr junge Menschen solidarisieren sich mit den Palästinensern. Die einen lehnen den Staat Israel ab, andere haben weniger radikale Ansichten.
U m den Union Square in New York City ist es an diesem Spätnachmittag des 7. Oktober geschäftig wie immer. New Yorker auf dem Weg in den Feierabend, fotoschießende Touristen, hupende Autos. Doch am südlichen Ende des Platzes herrscht andächtige Stille, obwohl sich eine große Gruppe Menschen hier versammelt hat. Einige der Anwesenden tragen Kippas, andere Kufiyas, manche auch beides in Kombination. Ein Frau hat sich einen Pin in Form einer gelben Schleife an die Jacke gesteckt, er soll an die von der Hamas entführten Geiseln in Gaza erinnern.
Seit dem Überfall der Hamas auf Israel ist ein Jahr vergangen. Die jüdisch-progressive Organisation IfNotNow hat deshalb zu Gedenkveranstaltungen geladen, in New York und parallel in fünf anderen amerikanischen Städten. Gemeinsam mit anderen linken jüdischen Gruppen wollen die Aktivisten der getöteten Zivilisten in Israel und den nach Gaza entführten Geiseln gedenken, aber auch jener Menschen, die in dem dann folgenden Krieg bei israelischen Angriffen in Gaza, im Westjordanland oder im Libanon ums Leben kamen. Eine Sprecherin verliest die Forderungen von IfNotNow: ein Stopp der US-Waffenlieferungen an Israel und ein Deal, der die Waffen zum Schweigen und die verbliebenen Geiseln nach Hause bringen soll. Die Lösung: „Free them all“.
Die jüdische Gemeinschaft in New York ist überdurchschnittlich progressiv und links geprägt. Doch hier verdichtet sich dieser Tage, was sich auch in anderen Landesteilen beobachten lässt: Besonders jüngere Jüdinnen und Juden – wie jene, die sich bei IfNotNow engagieren – fordern das liberal-konservative Establishment ihrer Elterngeneration heraus und dessen traditionelle Unterstützung für den Staat Israel. Während sich die Älteren noch an das hart umkämpfte Israel erinnern, das sich als Heimstätte verfolgter Juden gegen seine arabischen Nachbarstaaten behaupten musste, hat die jüngere Generation ein anderes Bild: das eines hochentwickelten Israels, in dem die extreme Rechte Auftrieb hat und das seine Grenzen auf Kosten der Palästinenser ausdehnt.
Eine Umfrage unter amerikanischen Jüdinnen und Juden ergab 2021, dass fast 40 Prozent der Befragten unter 40 Jahren der Aussage zustimmen, Israel sei ein Apartheid-Staat. 30 Prozent der jüngeren Befragten sagten schon damals, Israel begehe einen Völkermord an den Palästinensern. Auch ändert sich die Meinung zu Israel je nach Parteizugehörigkeit. Im März vergangenen Jahres ergab eine Umfrage des Gallup-Instituts erstmals, dass Demokraten eher mit den Palästinensern als mit den Israelis sympathisieren (49 zu 38 Prozent).
Das Motto der Gedenkveranstaltung „Jedes Leben, ein Universum“ ist angelehnt an eine Stelle in der Mischna, einer Sammlung jüdischer Gesetze. Dort heißt es: „Wer auch nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.“ Diesen Gedanken greift ein anderer Redner auf dem Union Square auf: „Unsere Tränen sind reichlich und unsere Herzen weit genug, um jedes erloschene Leben zu betrauern, um jedes zerstörte Universum.“
Nach einem gemeinsam gesungenen Lied beginnt eine Reihe von Redner:innen die Namen der Getöteten vorzulesen. Ein paar hundert Anwesende hören die Namen von Palästinesern, Israelis, Libanesen, abwechselnd, nicht als ewige Feinde, sondern als Opfer, die alle im gleichen tödlichen Mahlstrom des Kriegs gefangen sind. Mehr als 1.200 Menschen starben in Israel, in Gaza sind es über 40.000 Tote. Während der Lesung treten einige der Anwesenden vor und legen im Gedenken an die Toten eine Kerze oder – nach der jüdischen Tradition – einen Stein nieder.
Aus dem Lautsprecher ertönen die Worte eines Schriftstellers aus Gaza: „Ich bin keine Nummer und ich akzeptiere nicht, dass mein Tod eine kurzweilige Meldung sein soll. Sagt es auch weiter, dass ich das Leben liebe, Glück, Freiheit, Kinderlachen, das Meer, Kaffee, das Schreiben, Fairouz und alles, was Freude bringt – obwohl all diese Dinge von einem Moment auf den anderen verschwinden.“ Noor Aldeen Hajjaj schrieb diese Worte Anfang November. Doch nicht er selbst verliest sie, sondern eine Aktivistin. Einen Monat später starb Hajjaj bei einem israelischen Angriff auf Schujaiya in Gaza, im Alter von 27 Jahren.
Einer der Organisatoren der Kundgebung ist Jesse Myerson. Der 38-jährige sitzt nach der Veranstaltung auf den Treppenstufen am Union Square und spricht über das Selbstverständnis von IfNotNow. Die jüdische Gruppe will für das Wohlergehen von Palästinensern und Israelis gleichermaßen eintreten. Dabei beziehe IfNotNow keine Position zum Zionismus – ein Begriff, der vieles bedeuten kann, hier aber wohl schlicht den Staat Israel meint. „Wir wollen, dass sich Leute mit dem Zionismus auseinandersetzen“, sagt Myerson. So sei IfNotNow zugänglicher für Leute, „die sich im jüdischen Mainstream befinden, die Netanjahu vielleicht verachten, die hassen, was in Gaza passiert, aber nicht darauf vertrauen, dass die US-Linke sich um jüdisches Leben sorgt.“
Myerson trägt einen schwarzen Hoodie, lila-weiße Kippa und dichten Vollbart. Er drückt sich gewählt aus, bringt die Dinge schnell auf den Punkt. Seit einigen Monaten arbeitet er als Kommunikationsdirektor bei IfNotNow. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter:innen kommt er aus einer marxistisch-atheistischen Familie, auch seine Eltern waren lange Teil der Bewegung für Palästina. Er selbst habe sich erst im letzten Jahrzehnt vermehrt mit dem Judentum befasst und darüber auch zur Religion gefunden. „Ich ging monatelang freitagabends in die Synagoge, bevor ich meinen Eltern eine E-Mail schrieb, in der ich ihnen davon berichtete. Ich habe mich meinen jüdischen Eltern gegenüber quasi als Jude geoutet.“
Wie war das, als er vor einem Jahr zum ersten Mal von dem Hamas-Angriff in Israel hörte? „Die ersten Bilder, die ich sah, waren von Palästinensern, die jene Zäune einrissen, die sie in ein Freiluftgefängnis gesperrt hatten. Ich lächelte sofort, weil ich die Palästinenser in Gaza und unterdrückte Menschen in Gettos überall als Juden sehe.“ Doch dieses Lächeln sei bald „vergiftet“ worden, als er herausfand, dass die Hamas in Israel Zivilisten abschlachtete, etwa die Besucher:innen des Nova-Festivals. „Unter diesen Leuten auf dem Festival hätte ich sein können. Ich war auch schon mit Freunden auf Festivals auf gestohlenem Land“, sagt Myerson und meint damit das Land der Vereinigten Staaten.
Auf der Veranstaltung wird zwischen den Namen der Getöteten ein weiterer Text verlesen, verfasst von dem Aktivisten Erez Bleicher und der Journalistin Maya Rosen. Darin gedenken sie ihres Freundes, Khalil Abu Yahiya, der an der mittlerweile zerstörten Islamischen Universität in Gaza forschte und lehrte und im Oktober bei einem israelischen Luftangriff ums Leben kam.
Erschienen ist der Text Anfang November in Jewish Currents. Die linke Zeitschrift hat sich in den vergangenen Jahren einen besonderen Platz in der jüdischen Medienlandschaft der USA geschaffen, sie legt sich ähnlich wie IfNotNow mit dem jüdisch-amerikanischen Establishment an und streitet vehement für die Gleichberechtigung der Palästinenser. Das Magazin gibt es seit den 1950er Jahren, anfangs war es mit der Kommunistischen Partei der USA verbunden. 1956 löste es sich von der Partei und dümpelte danach vor sich hin. Bis der ehemalige Herausgeber 2018 die komplette Redaktion austauschte und anstelle der in die Jahre gekommenen Redakteure ein Team von Millennials anstellte.
Chefredakteurin wurde die heute 39-jährige Arielle Angel. Zum Treffen mit der taz ein paar Tage vor der Gedenkveranstaltung schlägt Angel ein Café im südlichen Stadtteil Brooklyn vor, sie lebt hier in der Nähe mit ihrem Mann. Sie arbeite heute nicht, sagt sie, denn es ist Rosch Haschanah, die Feiertage, die nach dem jüdischen Kalender das neue Jahr 5785 einläuten. Nach einer anderen Zeitrechnung ist heute Tag 363 nach dem 7. Oktober. Und die Wut über den Krieg und die Zerstörung in Gaza sind Angel anzumerken. Während sie spricht, spielt sie an ihrer Kette herum, wippt nervös mit den Beinen. „Mir geht es nicht gut“, sagt sie.
Die 39-jährige ist zierlich, ihre Haare sind braun gelockt. Väterlicherseits stammt sie von sephardischen Juden aus Griechenland ab, fast die ganze Familie der Großeltern wurde von den Nazis in Auschwitz ermordet. Sie selbst ist in Miami in einem konservativen Umfeld aufgewachsen, sagt Angel, in Florida lebe die mitunter konservativste jüdische Community in den USA. „Meine Mutter war eine ziemlich überzeugte Zionistin“.
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Angel ist eine konfrontative Gesprächspartnerin, antwortet schnell und bestimmt. Das Separée vor dem Café, in dem sie in ihrer bunten Batik-Sportjacke sitzt, umschließt eine Plastikplane. Darin hängt ein leichter Verwesungsgeruch – vielleicht ist in dem Hohlraum unter dem Holzboden eine der vielen New Yorker Ratten verendet. Auf eine makabre Art passt die Geruchskulisse zu den Gesprächsthemen: Krieg, Gewalt und Tod.
Während sie lange ein gutes Bild von Israel gehabt habe, sei diese Welt 2014 mit den israelischen Angriffen auf Gaza zusammengefallen, erzählt Angel. Sie sah Bilder von Israelis, die auf einem Hügel auf einer Couch saßen und zusahen, wie die Bomben auf Gaza fielen; sie sah Bilder von getöteten Kindern am Strand. Doch die alten Überzeugungen aufzugeben sei ihr schwer gefallen, erzählt sie.
Einmal sei sie zu einem Protest für Gaza gegangen, was sich „wie ein Verrat anfühlte an allem, was ich je gekannt oder geliebt hatte“, hat sie in einem Essay geschrieben. „Ich blieb noch 30 Minuten, huschte in den Central Park, wo ich schluchzend auf einer Bank zusammenbrach. Ich hatte mich nie so allein gefühlt.“
Angel hat in New York Kunstgeschichte studiert, arbeitete sieben Jahre an einem unveröffentlichten Roman über einen jugendlichen Drogendealer, der sich der orthodoxen Chabad-Bewegung anschließt. Und sie begann, sich in der Frühphase bei IfNotNow zu engagieren, die Gruppe wurde 2014 in Reaktion auf den Gaza-Krieg gegründet. Als sie Chefredakteurin von Jewish Currents wurde, verabschiedete sie sich vom Aktivismus. „Das war kurz nach den Neonazi-Kundgebungen in Charlottesville“, erinnert sie sich in dem Brooklyner Café. 2017 waren in der Stadt in Virginia weiße Nationalisten mit Hakenkreuzflaggen aufmarschiert und hatten gerufen: „Juden werden uns nicht ersetzen.“ Gleichzeitig hatte die rechte Bewegung in Israel Auftrieb. „Es gab viele Leute, die sich zum ersten Mal politisch jüdisch fühlten und die sich einem jüdischen Projekt anschließen wollten. Es gab also einen Bedarf an anderen jüdischen Stimmen.“
„Not in our name“
Auf seiner Webseite veröffentlicht Jewish Currents Recherchen zur israelischen Rechten, etwa zu der Bewegung, die den Libanon besiedeln will, oder zu ihren amerikanischen Unterstützern. Es sind oft hintergründige Essays und Reportagen, mal nachdenklich, mal wütend. In der Vergangenheit habe es auch mehr Raum für Rezensionen zu jüdischer Kultur und Kunst gegeben, sagt Angel, das Magazin wollte die Identität in der Diaspora stärken, überlegen, was Jüdischsein in den USA heute bedeutet. Doch seit der „lawinenartigen Katastrophe“ des 7. Oktober richtet Jewish Currents seinen Blick vor allem auf den Nahen Osten.
Angel sagt, sie identifiziere sich mittlerweile als Antizionistin, obwohl sie dafür lange gebraucht habe. „Ich glaube, was mich wirklich dazu bewogen hat, war die Einsicht, dass selbst wenn es zwei Staaten Seite an Seite geben würde, Israel ein Staat wäre, der auf Vorherrschaft gegründet wäre“, sagt sie in einem Podcast von Jewish Currents. Angel will keine Staatsidee unterstützten, die auf der demografischen Mehrheit einer Volksgruppe gründet. Nun ist Israel damit unter den Nationalstaaten keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Doch was viele linke Jüdinnen und Juden in ihrer Opposition antreibt, ist die Vorstellung, dass Israel als selbsterklärter „Nationalstaat des jüdischen Volkes“ auch in ihrem Namen handelt. Sie haben sich deshalb im letzten Jahr den Schlachtruf „Not in our name“ („Nicht in unserem Namen“) zu eigen gemacht.
Dass sich von den rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden in den USA hier in New York so viele Linke sammeln, hat Tradition. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde die Stadt zur wichtigen Anlaufstelle für Juden aus Osteuropa, die vor der antisemitischen Politik und den Pogromen im Zarenreich flohen. Viele sprachen Jiddisch und waren arm, brachten die Ideen des Sozialismus aus Europa mit oder entdeckten diese in der neuen Heimat. Während einige jiddische Sozialisten auch für die Errichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina eintraten, sahen sich viele als Universalisten, die ihre Befreiung nicht durch eine Nationalstaatsbewegung, sondern durch die Befreiung der Arbeiterklasse erreichen wollten. Bis heute pflegen viele Juden in den USA eine selbstbewusste Diasporaidentität.
Am 7. Oktober vergangenen Jahres war Angel im nördlichen Teil New Yorks, dem upstate. Sie feierte dort eine Hochzeit mit einer Gruppe von Aktivisten der linken Organisation Jewish Voice for Peace. Als sie morgens aufwachte, habe sie „tausend Nachrichten“ gehabt, ihr Handy habe durchgehend vibriert. „Wir machten den Fernseher in unserem AirBnB an. Ich war hysterisch. Mein erster Gedanke war, das gibt einen Genozid“, sagt Angel mit Blick auf den antizipierten israelischen Gegenschlag in Gaza – eine Befürchtung, die sich in ihren Augen auch bewahrheitet hat. „Ich war entsetzt über die Gräueltaten, die passiert waren. Aber ich muss zugeben, dass ich in dem Moment weiter in die Zukunft gedachte habe“, erinnert sie sich.
Arielle Angel, Chefredakteurin „Jewish Currents“
Der letzte Gazakrieg vor dem jetzigen war im Jahr 2021. Damals wurde Jewish Currents mit Vorwürfen konfrontiert, sich in seiner Berichterstattung nicht genug um das Leben israelischer Zivilist:innen zu sorgen. Angel antwortete darauf mit einem persönlichen Essay. Erst nach dem Waffenstillstand habe sie gemerkt, dass sie während all der Überstunden auch ihre persönlichen Kontakte nach Israel vernachlässigt hatte. „Ich hatte mich nicht darum gekümmert, wie meine Großtante und mein Großonkel, die Mitte 90 und nicht mehr sehr beweglich waren, es mitten in der Nacht in den Luftschutzkeller schafften. Auch hatte ich nicht einmal eine SMS an meine Cousins, meine Freunde und sogar meine Genossen innerhalb der Grünen Linie geschickt“, welche die international anerkannten Grenzen Israels markiert. „Die fehlende Sorge um Israelis im öffentlichen Auftritt von Jewish Currents spiegelte sich auch in meinem Privatleben.“
Nach dem 7. Oktober war das anders, sagt Angel. Als etwa der Iran Israel vor ein paar Wochen mit Raketen beschoss, habe sie sich natürlich nach dem Wohlbefinden ihrer Freunde und Verwandten erkundigt. Dann kommt sie auf den Iron Dome zu sprechen, das Raketenabwehrsystem, das Israel vor Raketenangriffen wie diesem schützt. „Auf einer Ebene bin ich froh, dass es das gibt. Ich will nicht, dass meine Familie und meine Freunde sterben“, sagt Angel. „Auf einer anderen Ebene aber gibt es keine Kosten, wenn Israel derart eskaliert. Im Libanon etwa sind in den ersten fünf Tagen tausend Menschen gestorben.“ Weil Israel militärisch überlegen und gut geschützt ist, gebe es keine Notwendigkeit für eine politische Lösung.
Angel berichtet von Gesprächen mit Bekannten und Familienmitgliedern in Israel, die gebildete liberale Menschen seien, aber „keinen verdammten Schimmer haben, was einen Kilometer entfernt von ihnen passiert“, in den palästinensischen Gebieten. In ihrer Stimme liegt Empörung, gar Verachtung. Vielleicht reagiert Angel gerade so heftig, weil es im weiteren Sinne ein Familienzwist ist, weil sie es persönlich nimmt. „Wenn man Leute dazu bekommen will zu sehen, was Israel in Wirklichkeit ist und tut, das ist so eng verbunden mit Fragen von Identität und Sicherheit. Es ist existenziell“, sagt sie.
Auch im liberalen Spektrum jüdisch-amerikanischer Organisationen gibt es solche, die sich für die Rechte der Palästinenser aussprechen, sich im Gegensatz zu IfNotNow oder zur Redaktion von Jewish Currents aber als dezidiert proisraelisch beschreiben. Eine dieser Organisationen ist JStreet, die in Washington DC sitzt. Jennifer Abrahamson arbeitet dort als Vize-Kommunikationsdirektorin. Sie verweist im Telefongespräch mit der taz auf die Reflexionen von Mitgliedern und Partnern, die die Organisation zum Jahrestag des 7. Oktober veröffentlicht hat. Viele von ihnen erinnern ebenfalls an den Schmerz von Israelis und Palästinensern. JStreet setzt sich für ein Ende des Krieges und einen Geiseldeal ein, fordert aber nicht explizit ein Ende der US-Waffenlieferungen an Israel.
„Wir wollen weiterhin mit Israelis zusammenarbeiten, die sich für Frieden einsetzen“, sagt Abrahamson, etwa mit Familien der Geiseln, die sich gegen den Krieg aussprechen. „Wir müssen unterscheiden zwischen den Menschen in Israel und der Regierung von Benjamin Netanjahu.“ Hier liegt wohl ein Hauptunterschied in der Frage, wie man den israelischen Staat und die Gesellschaft bewertet. JStreet klammert sich nach wie vor an die progressiven Kräfte, obwohl diese immer weniger werden und das Land weit nach rechts rückt. Das Bild, das Angel dagegen von Israel malt, ist Schwarz auf schwarzem Grund.
Auf dem Union Square ist es mittlerweile dunkel geworden, Jesse Myerson von IfNotNow spaziert über den Platz. Er will zumindest auf die jüdischen Institutionen in den USA zugehen. Er würde gerne mit den Menschen in Synagogen, Gemeinschaftszentren oder Sommercamps ins Gespräch zu kommen, weil er glaubt, dass viele jüdische Amerikaner:innen die Werte von IfNotNow teilen. „Ich würde gerne zuhören und mich mit Ihnen über unsere Grundwerte austauschen, um Menschen zu ermutigen, sich für die Menschenrechte der Palästinenser einzusetzen.“
Die Gedenkveranstaltung endet mit einer Rabbinerin, die das jüdische Trauergebet vorspricht, das Kaddisch. Davor liest eine Rednerin noch ein Gedicht vor. Verfasst hat es der israelische Dichter Amiram Cooper, der aus seinem Kibbuz Nir Oz von der Hamas entführt wurde und im Alter von 84 Jahren in Gaza starb. Die zweite Strophe seines Gedichts „Liebeslied“ scheint passend für die Stimmung seit dem 7. Oktober: „Wo ist das Lied, das Liebeslied, versteckt im Herbstgrau. Warum verblasst das Grün der Zweige, die ihre Blätter abwerfen. Durch die windigen Straßen, wo die Bäume sich beugen. Es geht in Trauer, und wartet, dass der Frühling blüht.“
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