Jens Spahn und die Masken: Was tun, wenn's brennt
Wer Jens Spahn für sein Coronamanagement kritisiert, sollte das nicht ohne eine Zeitreise machen: Ins ratlose Frühjahr 2020.
E s klingt schon ein wenig irre. 2,3 Milliarden Euro könnte der Bund nachzahlen müssen, weil Jens Spahn (CDU) im Frühjahr 2020 allen Maskenlieferanten Mondpreise versprochen hat. Für Masken wohlgemerkt, die am Ende nicht einmal verwendet wurden. Kein Wunder, dass die heutigen Ampelkoalitionäre heftig auf dem damaligen Gesundheitsminister rumtrampeln. Und doch ist das nichts anderes als billiger Populismus. Denn tatsächlich gebührt Jens Spahn erst mal großer Dank für sein schnelles Handeln.
Man stelle sich nur einmal vor, ein großes Haus stünde in Flammen, die willigen Retter aber verharrten ratlos davor. Und dann käme jemand auf die Idee, dass Schläuche gut wären, weil man damit Wasser in die Flammen spritzen könne, dass Schläuche aber Mangelware seien, weil es bisher noch nie gebrannt hat, jedenfalls nicht so heftig wie jetzt, und dann würde der oberste Einsatzleiter sagen, klar, besorgt Schläuche, so viel es irgend geht, koste es, was es wolle. Alle wären voll des Lobes.
Genau das aber hat Jens Spahn damals getan, am 27. März 2020, als er das sogenannte Open-House-Verfahren einleitete, nach dem jeder, der massig Masken liefern könne, 4,50 Euro pro Stück bekommen sollte. Aus heutiger Sicht, wo FFP2-Masken für ein paar Cent an den Supermarktkassen verstauben, erscheint das wahnsinnig. Aber Ende März 2020 war die Lage anders. Sehr anders.
Corona war damals noch absolutes Neuland. Dieses Virus aus China, das nun auch Europa erreicht hatte: Binnen drei Wochen war die Zahl der registrierten Infizierten in Deutschland um das 150-Fache gestiegen – von 260 auf über 42.000. Gerade war der 250. Coronatote registriert worden, 55 davon allein am Tag zuvor.
Und es war klar, dass die Zahlen weiter rasant steigen würden – wahrscheinlich so wie zu der Zeit in Italien, wo täglich bereits 500 Tote gezählt werden mussten. Vor allem rund um die Stadt Bergamo, wo noch mal drei Wochen später die ikonisch gewordenen Fotos mit den Militärlastern entstanden, die Leichen abtransportierten.
Kliniken kamen schnell an den Rand ihrer Kapazitätsgrenzen. „Den Glücklichen, die auf der Intensivstation sein dürfen, wird nichts anderes als Sauerstoff verabreicht – und ab einem bestimmten Moment Morphium“, hieß es damals in einer taz-Reportage aus Bergamo.
Wenigstens minimaler Schutz
Von wirksamen Maßnahmen gegen die Pandemie konnte man damals allenfalls träumen. Impfungen wurden erst ein Jahr später möglich. Was blieb, war ein Lockdown. Und eben Masken. Die Normalsterblichen nähten sich damals selber welche, weil es Besseres nirgendwo gab.
Und Jens Spahn versuchte, mehr FFP2-Masken aufzutreiben, die anders als der gemeinhin genutzte Stofffetzen vorm Gesicht tatsächlich Nutzen versprachen. So viel es eben geht. Damit wenigstens all die, die trotz Pandemie vor die Tür mussten, um zum Beispiel in den Kliniken den Betrieb aufrechtzuhalten, minimalen Schutz bekamen. Koste es, was es wolle. Das kann und sollte Jens Spahn niemand vorwerfen. Auch aus heutiger Sicht nicht, wo man vieles besser weiß.
Ja, in seinem Ministerium wurden damals Fehler gemacht. Der Preis pro Maske kann kritisiert werden. Die Verträge waren offenbar mit heißer Nadel gestrickt, was heute zu den teuren Nachforderungen führt. Aber wenn es brennt, darf nur eins zählen: dass möglichst schnell geeignetes Gerät zum Löschen da ist.
Der aktuelle Streit über Spahns Maskendeal zeigt aber auch, wie schwierig und gleichzeitig wie überfällig eine Aufarbeitung der Pandemiejahre ist. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat kürzlich angeregt, dafür Bürgerräte zu installieren. Das ist sicher nicht falsch. Es würde ermöglichen, dass viele, die sich in der Debatte nicht gehört fühlten, zu Wort kommen können. Diejenigen, die unter dem Lockdown und unter Diskussionen über eine mögliche Impfpflicht gelitten haben, genauso wie diejenigen, die bis heute unter schwersten Post-Covid-Syndromen leiden.
Ohne das Faktenwissen von Expert:innen, auch das zeigt die aktuelle Diskussion, droht der Rückblick aber auch in gefühliger Empörung steckenzubleiben.
Beim Blick auf die Fakten würde auch schnell klar, was Jens Spahn tatsächlich vorzuwerfen ist. In seinen letzten Monaten als Gesundheitsminister, im schon von Coronaskeptiker:innen geprägten Wahlkampf vor der Bundestagswahl 2021, tat Spahn viel dafür, den absehbar wieder steigenden Fallzahlen die Dramatik zu nehmen – indem er auf neue Indikatoren setzte. Und von einer nationalen Notlage wollte er monatelang nichts mehr wissen.
In der Folge starben im Dezember 2021 nochmals 10.000 Menschen in Deutschland an Corona. Dieses traurige Weihnachten bleibt unverzeihlich.
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