Jeff Bezos und die Pressefreiheit: Für eine Zwangsabgabe an Qualitätszeitungen!
Amazon-Gründer Jeff Bezos hat der Washington Post verboten, ihre traditionelle Wahlempfehlung abzugeben. Mit Unabhängigkeit hat das nichts zu tun.
E in amerikanischer Verleger greift in die Freiheit seiner Redaktion ein – ich hätte nicht gedacht, dass diese Meldung auf deutschen Nachrichtenseiten in die meistgelesenen Artikel aufsteigt. Als Journalist neigt man dazu, Meldungen aus der eigenen Branche als Gossip abzutun, über den man auf dem Raucherbalkon oder im Aufzug reden kann, wenn man mit dem Thema Wetter durch ist und einem sonst nichts einfällt.
Aber offensichtlich interessieren sich auch viele normale Menschen für Nachrichten aus der Medienwelt. Der Amazon-Gründer und Eigentümer der Washington Post, Jeff Bezos, hat entschieden, dass seine Zeitung vor der US-Wahl nicht den traditionellen Text veröffentlicht, in dem sie eine Kandidatin empfiehlt. Die Empörung ist groß, jede zehnte Abonnentin hat seitdem gekündigt.
Bezos begründet seine Entscheidung in der Zeitung damit, dass traditionelle Medien das Vertrauen großer Teile der Öffentlichkeit verloren hätten. Deshalb sei es nötig, die Zeitung politisch unabhängig zu positionieren. Viele halten das für vorgeschoben und glauben, dass Bezos es sich nicht mit dem möglicherweise kommenden US-Präsidenten verscherzen will.
Aber selbst wenn man sein Argument ernst nimmt, liegt Jeff Bezos falsch: Wer glaubt, in Zeiten des Rechtsrucks mit Texten in Zeitungen die gesamte Gesellschaft zu erreichen, ist entweder Journalist oder hat nicht verstanden, wie fragmentiert die Öffentlichkeit ist.
Zeitung als Produkt der liberalen Elite?
Zeitung, das ist heute ein Produkt für eine liberale Elite, und die steht einer demokratischen Kandidatin zwangsläufig näher als einem Rechtsradikalen. Wer versucht, Zeitungen attraktiver zu machen für Menschen, die lieber verschwörungstheoretische Youtube-Videos anschauen als für Qualitätsmedien zu zahlen, erreicht keine neuen Leser, aber vergrault Abonnentinnen.
Doch mich stört an der Geschichte nicht nur der eigenmächtige Verleger, sondern auch die rebellische Geste der Abokündigung. Denn die schadet nicht dem zweitreichsten Mann der Welt, sondern der womöglich zweitwichtigsten Redaktion der USA und damit der Aufklärung über die Verfehlungen des oder der nächsten Präsidentin. Wer seinen Protest gegen die Macht von Jeff Bezos ausdrücken will, könnte auch sein Amazon-Abo kündigen und die Weihnachtsgeschenke woanders bestellen.
Warum ist das überhaupt erlaubt – sein Zeitungsabo zu kündigen? Pressefreiheit steht in der Verfassung; ich kann ja auch nicht meine Steuern kündigen, weil die Bundesregierung wieder mal unwürdig daherkommt. Ein geschätzter Kollege würde jetzt sagen: Kersten, nicht alles, was schief ist, ist auch ein Vergleich.
Aber in der ohnehin überdrehten Debatte um eine Reform des Rundfunkbeitrags fordere ich eine Zwangsabgabe an Qualitätszeitungen. Das Geld würde die Abhängigkeit von Verlegern und Lesern reduzieren und ist allemal besser angelegt als in großen Teilen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und wer seichte Unterhaltung vermissen sollte, dafür sorgen wir auch (ich verrate nicht, wo).
Vorbild Frankfurter Allgemeine
Solange meine Forderung nicht mehrheitsfähig ist, würde ich es gern handhaben wie die FAZ in den Achtzigerjahren. Die drehte den Spieß um und kündigte ihrerseits einem Abonnenten, mit den Worten: „Ihr selbstgerechter und auch unhöflicher Brief missfällt uns, zumal er jeglichen Respekt vermissen lässt, auf den wir Anspruch haben. Über die Frankfurter Allgemeine Zeitung sollen Sie sich nicht mehr ärgern.“ Vermutlich hilft es, eine Stiftung als Eigentümer zu haben statt einen Verleger, um sich diesen Schritt zu trauen.
Wie schön, ebenfalls für eine Zeitung zu arbeiten, die keinem Milliardär gehört. Und für Leserinnen, die nicht nur stets klug, sondern meistens auch freundlich sind.
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