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Israel-Iran-KriegWer, wie, was Völkerrecht?

Die Sache mit der Selbstverteidigung ist kompliziert. Was das Völkerrecht regelt – und wie es in diesem Fall auszulegen ist.

Kann das Völkerrecht einpaken? Zwei UN-Mitarbeitende falten die Flagge der Vereinten Nationen zusammen Foto: Bianca Otero/imago

Was ist das Völkerrecht?

Im Prinzip benenne das Völkerrecht die Gesamtheit der Regeln, die zwischen Staaten bestehen, erklärt Nico Krisch, Professor für Internationales Recht am Geneva Graduate Institute. Daraus folgten Verpflichtungen und Rechte, die Staaten gegenüber einan­der haben. Wichtigste Grundlage ist die UN-Charta, die aus der Nachkriegsordnung 1945 erging und zu der sich heute 193 Staaten bekennen. Auf sie wird sich oft bezogen: Festgehalten ist darin etwa das Verbot der Gewaltanwendung gegenüber anderen Staaten – und die Ausnahmen davon. Dann gibt es das Humanitäre Völkerrecht, ein Spezifikum des Völkerrechts. Es beschreibt die in Sonderfällen geltenden Regeln zwischen Staaten, vor allem in bewaffneten Konflikten. Also: Spielregeln für den Krieg. Hauptzweck sei es, so Krisch, die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung einzuschränken. Es soll auch regeln, welche Waffen eingesetzt werden dürfen oder wie man gegnerische Soldaten behandelt.

Was passiert, wenn Staaten gegen das Völkerrecht verstoßen?

Ein Problem des Völkerrechts, sagt Chris Henderson, Professor für Völkerrecht an der Universität Sussex, ist seine Durchsetzbarkeit: „Wenn wir an Rechtssysteme denken, gehen wir von hierarchischen Strukturen aus: Eine souveräne Entität macht Gesetze, diese werden dann durchgesetzt. Im Völkerrecht sind die, die Vereinbarungen aufstellen, und die sie brechen, dieselben.“ Im Gegensatz zu nationalem Recht hängt die Durchsetzbarkeit des Völkerrechts deshalb stark von der Kooperation der Staaten ab. So werden bei völkerrechtswidrigem Verhalten von Staaten oft eher politische Mittel ergriffen, etwa Sanktionen.

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Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) kann etwa im Fall von Kriegsverbrechen ermitteln. Derzeit haben 125 Länder das Römische Statut ratifiziert, das die juristische Grundlage für den IStGH ist. Die USA, Russland, die Türkei, Iran oder Israel gehören nicht dazu. Die Durchsetzungsstärke des Strafgerichts hängt auch von der Kooperation der internationalen Gemeinschaft ab.

Wie sähe ein völkerrechtlich einwandfreier Krieg aus?

Die UN-Charta sehe zunächst eine Reihe von Stufen vor, internationale Streitigkeiten friedlich beizulegen, sagt Andreas Schüller vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Der Rückgriff auf Streitkräfte sei die Ultima Ratio: „Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen darf nach Artikel 42 der Charta beschließen, Streitkräfte zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens einzusetzen.“ Eine solche Einigung ist de facto derzeit kaum möglich: Im Sicherheitsrat sitzen die fünf ständigen Mitglieder Frankreich, Russland, USA, China und das Vereinigte Königreich. Je nach Thema legen meist entweder die USA oder Russland und China ihr Veto ein.

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Die Ausnahme: Wenn ein Staat einem bewaffneten Angriff ausgesetzt sei, müsse er nicht auf einen Beschluss des Sicherheitsrats warten, sondern dürfe sich selbst verteidigen, bis der Sicherheitsrat über Maßnahmen entschieden hat. Schüller betont: „Die Selbstverteidigung muss notwendig und verhältnismäßig sein, nur Maßnahmen zur Abwehr des Angriffs umfassen, aber nicht darüber hinaus­gehen“.

War der Angriff Israels auf Iran völkerrechtswidrig?

Die Meinungen gehen deutlich auseinander und berufen sich jeweils auf den Konfliktverlauf. Ja, sagt Schüller vom ECCHR. Weder habe ein UN-Mandat vorgelegen, noch ein vorangegangener bewaffneter Angriff Irans auf Israel. Es sei zwar erlaubt, einen unmittelbar bevorstehenden Angriff im Rahmen des Rechts auf Selbstverteidigung präventiv abzuwehren. Doch Israel habe bislang keine Beweise vorgebracht, dass ein solcher tatsächlich bevorstand. Selbst dann dürfe Militärgewalt nur angewendet werden, um einen solchen Angriff abzuwehren.

Manche Völkerrechtler, sagt Henderson, sähen das anders. Sie begründen dies so: Einerseits, dass der Angriff Israels auf Iran Teil des anhaltenden Konflikts zwischen den beiden Staaten sei. Das andere Argument: Iran habe eine unmittelbare Bedrohung für Israel dargestellt. „Die Frage ist dann: Was bedeutet ‚unmittelbar‘?“. Meist werde dabei an einen zeitlichen Zusammenhang gedacht. „Völkerrechtler, die diese Meinungen vertreten, argumentieren, dass Kriege heute nicht mehr so geführt werden“, sagt Henderson. „Es gibt nicht immer Armeen, die an Grenzen zusammengezogen werden. Also fragen sie: Was ist die Absicht des Gegners?“

Henderson meint, eine solche klare Absicht seitens Irans liege nicht vor. Selbst daran, ob Iran definitiv eine Atomwaffe entwickle, gebe es Zweifel. Wenngleich der Stand der Urananreicherung auf 60 Prozent – wie von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) dokumentiert – dies nahelegen. Schüller vom ECCHR hält die Argumentation vorheriger Angriffe nicht für schlüssig. Der Raketenbeschuss von Iran auf Israel im April 2024 liege zu lange zurück, um von einem fortlaufenden Konflikt auszugehen.

Weil Israels Angriff nach Mehrheitsmeinung völkerrechtswidrig war, können sich auch die USA nicht auf dieses Argument – und eine kollektive Selbstverteidigung – berufen. Die USA stiegen am 21. Juni mit Luftangriffen auf Atomanlagen in den Krieg ein. Kurz darauf verkündete US-Präsident Trump eine Waffenruhe.

Ein häufiges Argument ist, dass Iran andere Staaten über sein Netzwerk an Proxy-Milizen – also stellvertretende Angreifer – attackiert. Oder dass in Teheran eine Uhr die Jahre Israels bis zu seiner Vernichtung herabzählt. Was sagt das Völkerrecht dazu?

Der Umgang mit nicht staatlichen Akteuren sei tatsächlich schwierig im zwischen Nationalstaaten existierenden Völkerrecht, sagt Krisch. „Die klassische Ansicht ist: Staaten müssen gegen nicht staatliche Organisationen auf ihrem Territorium, die anderen feindlich gesinnt sind, vorgehen.“ Erfolge das nicht und griffen diese Gruppen ein anderes Land an, gebe es heute eine Tendenz unter Völkerrechtlern anzunehmen, dass sich der angegriffene Staat wehren darf – auch auf dem Ter­ritorium eines Drittlands. Für Schüller ist dieser Fall nicht abschließend geklärt.

Krisch betont zudem: Die Möglichkeit gegen einen Staat vorzugehen, der eine nicht staatliche Gruppe, also Terroreinheiten unterstützt, bestehe kaum. Es sei denn, die Gruppe würde nachweislich direkt von ihm kontrolliert. Eine Miliz zu unterstützen, sie gar mit Waffen zu beliefern, bedeute aber nicht, die Schwelle des Selbstverteidigungsrechts zu überschreiten. Ein Beispiel: Greifen die Huthis aus dem Jemen in Israel an, darf Israel nicht deshalb Iran angreifen, obwohl Waffenlieferungen der Islamischen Republik an die jemenitische Miliz hinreichend belegt sind.

Zum iranischen Uhrturm sagt Henderson: „Man muss das betrachten bezüglich Intention und Fähigkeit.“ Derartige „monströse Aussagen“ würden immer wieder von Staatsoberhäuptern getroffen. Doch können sie auch umgesetzt werden? Laut der IAEA sei Iran eben nicht so nah dran gewesen an einer funktionierenden Atombombe, dass dieser Fall gegeben sei. Klar ist aber auch, dass Iran die Vernichtung Israels als Staatsziel benennt.

Sind Iran, Israel und die USA in diesem Krieg im Einklang mit dem Humanitären Völkerrecht vorgegangen?

Laut Schüller von ECCHR müssten dazu die einzelnen Angriffe genauer untersucht werden. Nach dem Humanitären Völkerrecht sei es erlaubt, militärische Ziele anzugreifen. Bei Atomanlagen müsste festgestellt werden, dass diese dem Militär dienten.

Folgt man dieser Argumentation, dann haben sich die USA eher an das Humanitäre Völkerrecht gehalten als Israel. Denn Israel griff auch Wohnungen sowie führende Köpfe des Nu­klear­pro­gramms an. Schüller sagt: Bei Gebäuden komme es darauf an, wer darin lebe – und selbst dann müsse das Verhältnis des erwarteten militärischen Vorteils gegenüber möglichen Schäden an Zivilisten abgewogen werden. Letztere seien „nach weitverbreiteter Ansicht“, selbst wenn sie in der Waffenproduktion tätig seien, Zivilpersonen. Auch in Israel haben iranische Raketen Zivilisten getötet und zivile Gebäude sowie Infrastruktur beschädigt. Henderson sagt dazu: Wenn diese direkt getroffen würden, liege ein Verstoß gegen das Humanitäre Völkerrecht vor. Würde ein Militärziel angegriffen, gelte dasselbe wie in Iran: Eventuell könne das als Kollateralschaden bewertet werden.

Eines sei aber deutlich, sagt er: der Unterschied zwischen Israels Vorgehen in Iran und im Gazastreifen. Die Angriffe auf Menschen, die vor den Hilfeverteilungszentren in Gaza anstehen, seien „in keiner Weise“ zu rechtfertigen.

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2 Kommentare

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  • Was welcher Experte dazu sagt, hängt von seiner politischen Richtung ab.

    Tatsächlich ist es eine reine Wette wann Chamenei das "Go!" gibt.

    Fakt ist:



    Der Iran hat seine Absicht Israel atomar auszulöschen mehrfach klar benannt.

    Das Institute for Science and International Security arbeitet mit der IAEA zusammen:



    "1. Iran could produce its first quantity of 25 kg of WGU in Fordow in as little as two to three days.

    2. Breaking out in both Fordow and the Natanz Fuel Enrichment Plant (FEP), the two facilities together could produce enough WGU for 11 nuclear weapons in the first month.

    Seit zwei Jahren verfügt Teheran über Hyperschall-Trägerraketen. Aufschrift: "In 400 Sekunden bis Tel Aviv".

    Mit dem Start-Knopf-Drücken Chameneis vergingen also 401 Sekunden. Und Israel ist ausgelöscht. Zehn Millionen plus fünf Millionen Palästinenser. From the river to the sea. Plus Teile von Libanon, Syrien, Jordanien, Ägypten. Nicht durch Abwehrsysteme zu stoppen.

    Es ist keine Frage des Völkerrechts sondern des Mitgefühls für Israel und seine Nachbarn.

    Sehr empfehlenswert:



    isis-online.org/is...ng-report-may-2025

  • Ich bin kein Verteidiger des israelischen Vorgehens im Iran, in Gaza und in vielen anderen geographischen und gesellschaftlichen Gebieten. Aber dass regelmäßig, wie auch in diesem Artikel, nicht einmal erwähnt wird, dass Iran Israel letztes Jahr mit zwei Großangriffen - einmal mit rund 300, einmal etwa 200 ballistischen Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern - überzogen hat, finde ich schon etwas befremdlich. Wer, wie, was? War da was?