Innenminister droht der taz mit Anzeige: Seehofers Eskalation
Bundesinnenminister Horst Seehofer findet es offenbar wichtiger, die Polizei zu schützen als die Meinungsfreiheit.
D er Bundesinnenminister ist qua Amt auch Verfassungsminister und damit innerhalb der Bundesregierung für den Schutz der Verfassung zuständig. Horst Seehofer, der dieses Amt derzeit ausfüllt, ist kein gelernter Jurist, aber seine Beamt.innen erklären ihm sicher gern, was in Artikel 5 festgeschrieben ist: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Man kann darüber streiten, ob die Kolumne „All cops are berufsunfähig“ unserer Autor.in Hengameh Yaghoobifarah, die vor einer Woche erschien, danebengegangen ist. Diesen Streit führen wir gerade in der taz und darüber hinaus, mit großen Emotionen, auch die Chefredaktion hat sich dazu geäußert. Aber Satire darf fast alles, sogar in ihren Worten danebengreifen. Horst Seehofer, der nicht nur für den Schutz der Verfassung zuständig ist, sondern auch für die Polizei, hätte nicht deutlicher machen können, welcher seiner zwei Aufgabenbereiche ihm wichtiger erscheint: die Polizei, nicht die Verfassung. Seine angekündigte Anzeige gegen unsere Autor.in ist ein beschämender Angriff auf die Pressefreiheit. Die taz steht vor ihrer Autor.in und wird sie publizistisch wie juristisch gegen eine drohende Anzeige Horst Seehofers verteidigen.
Seehofer hätte die vergangenen Wochen nutzen können, um mit seinen Freund.innen von der Bild über die Lehren aus der Black-Lives-Matter-Bewegung zu sprechen, die auch in Deutschland Zehntausende auf die Straße geführt hat. Er hat es vorgezogen zu schweigen. Das sagt viel. Man hätte sich gewünscht, dass Seehofer sich schützend vor die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız gestellt hätte, als diese und ihre Familie mit nationalsozialistischen Drohungen überhäuft wurde, mit Interna, die aus einem Polizeicomputer stammten. Man hätte sich gewünscht, dass der Bundesinnenminister die Untersuchung forciert, wie es sein kann, dass sich in den Reihen der Polizei auffallend viele AfD-Anhänger.innen und Reichsbürger.innen finden. Horst Seehofer hatte und hat jede Menge Gelegenheiten, anlässlich derer er sich zum Thema Polizei und Rassismus hätte äußern können. All diese Chancen hat er großzügig ausgelassen.
Seehofer ist indes noch einen Schritt weitergegangen und hat einen indirekten Bezug der taz zu den Krawallen von Stuttgart am Wochenende hergestellt, als er sagte: „Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben.“
Seehofer selbst hat in der Vergangenheit immer wieder Öl ins Feuer gegossen und lautstark in den Singsang über die vermeintlich „kriminellen Ausländer“ eingestimmt. Trauriger Tiefpunkt war seine Behauptung, die „Migrationsfrage“ sei „die Mutter aller politischen Probleme“. Einige Monate danach fand der Aufmarsch von Chemnitz statt, bei dem die AfD-Spitze, Neonazis und mehrere rechte Terroristen durch Chemnitz marschierten, darunter auch der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke. Der Minister würde sicher erbost zurückweisen, dass eine solche Eskalation der Worte auch zu Taten geführt habe. Horst Seehofer täte sich und der Demokratie einen Gefallen, wenn er weder kritische Satiren anzeigen noch Journalisten für Randale irgendwo in der Republik verantwortlich machen würde.
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