Folgen der Polizeikolumne: Seehofer gefährdete taz-Autor*in
taz-Anwalt Johannes Eisenberg über den Versuch des Bundesinnenministers, eine Kolumnist*in und die taz-Chefredaktion zu kriminalisieren.
Das Strafverfolgungsbegehren gegen unsere Autor*in Hengameh Yaghoobifarah (und die Chefredakteurin Barbara Junge und deren Stellvertreterin Katrin Gottschalk) wegen des Artikels „All cops are berufsunfähig“ in der taz vom 15.6.2020 hat die Staatsanwaltschaft Berlin zurückgewiesen. Der Artikel war nicht strafbar.
Zwar adressiert er die deutschen Polizeiangehörigen, erklärt die Staatsanwaltschaft. Eine Volksverhetzung stellt er gleichwohl nicht dar, weil ihm der „Appellcharakter“ an die Leser fehlt, Polizeibeamte anzugreifen. Er enthält zwar die Ablehnung der Berufsgruppe, nicht aber ein „Anreizen zu einer feindseligen Haltung“. (Die genauere Begründung entnehmen Sie dem Text von Ulrike Winkelmann).
Angezeigt hatten die Autor*in (und die Chefredakteurin Junge und ihre Stellvertreterin Gottschalk, weil diese angeblich ihrer Verpflichtung, die taz frei von Straftaten zu halten, verletzt haben – es gab also den Versuch, die leitenden Redaktionsverantwortlichen der taz massiv zu kriminalisieren) verschiedene Polizeiorganisationen. Darunter: die rechte DPolG, vertreten durch die auch Nazis vertretende Kanzlei „Höcker“, die den rechtsradikalen ehemaligen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen als „of Counsel-Rechtsanwalt“ in ihren Reihen feiert. Insgesamt lagen mehr als 140 Strafanzeigen vor, großenteils befeuert durch das Agieren des Bundesinnenministers Horst Seehofer.
Aus Recherchen des Berliner Tagesspiegels wissen wir, dass Seehofer seine über die Bild-Zeitung angekündigte Strafanzeige gegen Autorin und Chefredakteurinnen gegen die Empfehlung seiner Ministeriumsfachleute verfolgt hat. Unmittelbar nach der Veröffentlichung verlangte der sich selbst als „Erfahrungsjurist“ qualifizierende Seehofer am 17. Juni von seinem Polizeireferat einen Strafanzeigenentwurf.
Das Schweigen Seehofers
Diesen und die Strafanzeige wollte er eigentlich am 19. Juni nach einer Innenministerkonferenz mit öffentlichem TamTam der Staatsanwaltschaft zuleiten. Den Entwurf bekam er, aber auch erste Zweifel seiner Polizisten, ob die Kolumne Yaghoobifarahs wirklich strafbar sei. Aus unbekannten Gründen änderte Seehofer sein Vorhaben und kündigte am 22. Juni in der Bild-Zeitung die Strafanzeige an. Ihm gehörten die frühmorgendlichen Schlagzeilen, für die Autor*in begann ein Spießrutenlauf: Drohungen, Beschimpfungen, Gefährdungsanalysen der Landespolizei etc..
Nach einem Gespräch mit der Kanzlerin in den Vormittagsstunden desselben Tages verzögerte Seehofer zunächst die Erstattung der Anzeige, am 23. Juni erreichte ihn eine kritische „grundrechtliche Bewertung“ der Juristen seines Verfassungsreferats, die die Veröffentlichung für straflos hielten. Erst am 28. Juni 2020 wurde bekannt, dass er sein Vorhaben, Strafanzeige zu erstatten, endgültig aufgegeben hat.
Die vorstehend wiedergegebenen Einzelheiten weiß die Öffentlichkeit nur, weil der Tagesspiegel Auskunftsansprüche gegen den Widerstand des Ministeriums durchgesetzt hat.
Seehofer hat seine öffentliche Erklärung, dass sich die Autorin strafbar gemacht hat, nie korrigiert. Ein Unterlassungsbegehren der Autorin gegen Seehofer, sie öffentlich als Straftäterin zu diffamieren, hat er bis heute unbeantwortet gelassen.
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