Reaktionen auf Seehofer-Ankündigung: „Angriff auf die Pressefreiheit“
Nach der Ankündigung von Innenminister Horst Seehofer, Anzeige gegen die taz zu stellen, hagelt es Kritik aus der Politik – aber nicht nur.
Der Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner twitterte: „Ein Innenminister, der eine Journalistin anzeigt, klingt nach Orbán oder Kaczyński. Das ist ein Angriff auf die Pressefreiheit, unabhängig, ob man den Meinungsbeitrag gut oder schlecht findet.“ Sein Parteikollege Konstantin von Notz sprach von einer Grenzüberschreitung. „Seit Jahren nehmen die rassistischen, völkischen, geschichtsrevisionistischen, menschenfeindlichen, beleidigenden, demokratieverachtenden, aufhetzenden, spalterischen öffentlichen Aussagen und Kommentare in unserem Land zu. Wo waren all die Strafanzeigen von Horst Seehofer?“ Die Grüne Rechtspolitikerin Renate Künast nannte die Anzeige „ungeheuerlich“. Seehofer sei „am Ende“.
Die Linke-Innenexpertin Martina Renner kritisierte, Seehofer solle als Innenminister die Verfassung schützen, „nicht die Pressefreiheit in diesem Land angreifen“. „Seine Anzeige dient ausschließlich propagandistischen Zwecken, da er selbst genau weiß, dass diese keine Aussicht auf Erfolg haben kann.“
Auch der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle sprach von einer „völlig verkorksten Polizei-Debatte“. Seehofer setze „lieber auf wirkungslose Politik-Folklore statt auf Taten“.
Kritik auch aus der SPD
Kritik kommt auch aus den Reihen der mitregierenden SPD. Dirk Wiese, Vizevorsitzender der Bundestagsfraktion, erinnerte Medien an ihre „besondere Verantwortung“. Formulierungen, PolizistInnen auf der Mülldeponie zu entsorgen, seien „nichts als geschmacklos und abstoßend“. Die Ankündigung von Seehofer, eine taz-Journalistin anzuzeigen, habe dennoch „irritiert“. „Die Pressefreiheit muss leider auch geschmacklose und unsägliche Beiträge aushalten.“ Klara Geywitz, zuletzt Anwärterin auf den SPD-Vorsitz, twitterte, man dürfe sich über Journalisten ärgern. „Sollten wir sie deswegen anzeigen? Definitiv nein.“ Auch der SPD-Innnexperte und Polizist Uli Grötsch sagte, er finde die taz-Kolumne „total daneben. Trotzdem wäre eine Strafanzeige sicherlich der falsche Weg und kontraproduktiv.“
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) stellte sich dagegen hinter Seehofer. Er unterstütze den Bundesinnenminister und auch, dass dieser sich vor die PolizistInnen stelle. „Wer dazu aufruft, Menschen auf den Müll zu schmeißen, der muss sich schon hinterfragen lassen.“ Mit der Diskreditierung der Polizei „muss „Schluss sein“.
Indirekt äußerte sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu dem Vorgang. „Wer Polizisten angreife, wer sie verächtlich macht oder den Eindruck erweckt, sie gehörten ‚entsorgt‘, dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen“, sagte er am Montag in Berlin. Diejenigen, „die auf den Straßen und Plätzen Tag für Tag unser friedliches Miteinander schützen und das Gewaltmonopol des Staates verteidigen“, verdienten Respekt und Unterstützung, „wenn sie brutal attackiert werden“.
Noch hat Seehofer die Anzeige nicht gestellt
Die taz hatte vergangene Woche eine Kolumne veröffentlicht, in der in einem Gedankenspiel über die Verwendung von PolizistInnen jenseits ihres Berufsstands nachgedacht wird, darunter auch ein Einsatz auf der „Müllhalde“. Darauf war es zu Kritik und angekündigten Anzeigen von Polizeigewerkschaften gekommen.
Am Sonntagabend hatte nun auch Horst Seehofer (CSU) über die Bild-Zeitung erklärt, er werde Strafanzeige „wegen des unsäglichen Artikels in der taz“ stellen. „Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen.“
Am Montag erklärten Seehofer und sein Sprecher dann allerdings, der Schritt werde noch geprüft. Seehofer sagte, er müsse die Anzeige noch im Ministerium besprechen und werde am Montagnachmittag endgültig entscheiden. Gefragt, welche Paragrafen er für die Anzeige heranziehen wolle, sagte Seehofer, Volksverhetzung oder Beleidigung seien denkbar.
Laut Teilnehmern des nichtöffentlich tagenden Innenausschusses im Bundestag hatte sich Seehofer dort bereits am vergangenen Mittwoch zu der taz-Kolumne geäußert. Auf rechtliche Schritte angesprochen, soll der Innenminister dort ausweichend geantwortet und auf die unklare Rechtslage verwiesen haben.
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