Höheres Renteneintrittsalter: Arbeit ist nicht gleich Arbeit
Ein höheres Renteneintrittsalter ist nicht in jedem Beruf machbar. Für Leute in Verschleißjobs würde eine Reform zu Renteneinbußen führen.
E s sind schräge Zeiten auf dem Jobmarkt. Jungen Leuten, 25, 30 Jahre alt, wird scheinbar der rote Teppich ausgelegt. Firmen bieten Bewerber:innen Vier-Tage-Wochen an, Arbeitszeit nach Wahl, Homeoffice, Einstiegsprämien. Sind Arbeitnehmer:innen die neuen Kings in der Klassengesellschaft? Mitnichten. Tatsächlich ist der Kampf ums Personal ein alarmierendes Symptom, hinter dem Verteilungskämpfe drohen, deren Ausgang offen ist.
Durch Nachwuchsmangel und Alterung erhöht sich der Arbeitsdruck: Wir sollen länger ackern, vielleicht sogar 42 Stunden. Mütter möglichst in Vollzeit, Ältere bis zum 70. Lebensjahr. Arbeitskräfte werden doch gesucht! Leider gerät dabei aus dem Blick, dass Arbeit eben nicht gleich Arbeit ist. Durch den Personalmangel verschärfen sich etwa die ohnehin schon schwierigen Bedingungen in den Careberufen.
Pfleger:innen, Erzieher:innen reduzieren ihre Jobs wegen der Unterbesetzung und der damit verbundenen hohen Belastung bereits auf 32-Stunden-Stellen und sorgen damit für ihre eigene Altersarmut. Ein Arbeitgeber in der Pflegebranche erklärte, eine Steigerung der Löhne hätte zur Folge, dass die dann besser bezahlten Frauen ihre Arbeitszeit verringern könnten, daher sei sie angesichts des Personalmangels kontraproduktiv. Ein beklemmender Satz.
In Logistikunternehmen ist die nervliche und körperliche Belastung für Sortierer:innen und Bot:innen von vorneherein so hoch, dass kaum jemand den Job über mehrere Jahrzehnte durchhält. Die Firmen setzen darauf, dass sie immer wieder Nachschub finden durch Jobsuchende ohne Qualifikation und mit geringen deutschen Sprachkenntnissen. Es stimmt, immer mehr Ältere arbeiten auch noch im Rentenalter. Solange sie das freiwillig tun, ist nichts dagegen zu sagen.
Wer in der Politik aber auf die Idee kommt, etwa durch eine gesetzliche Rente mit 70 quasi zwei Fliegen – den Personalmangel und die Finanzprobleme der Rentenversicherung – mit einer Klappe zu schlagen, der outet sich als Ahnungsloser. Und verschärft Ungleichheiten, die zu wenig thematisiert werden. Ein höheres Renteneintrittsalter würde Rentenkürzungen bedeuten für Leute in Verschleißjobs, die mit 65 nicht mehr können.
Arbeitnehmer:innen in diesen Jobs haben ohnehin eine geringere Lebenserwartung als Akademiker:innen und beziehen schon deswegen weniger Rente. Wer mit belastender Dienstleistung, die zum körperlichen und nervlichen Abbau führt, sein Geld verdient, hätte das Nachsehen in einem solchen, auch demografisch bedingten Umbau des Sozialstaats. Da wäre sie dann wieder, die Klassengesellschaft.
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