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„Hartz IV-Rebellin“ zurück in der Linken„Klassenfrage muss im Fokus stehen“

Inge Hannemann wurde als Hartz IV-Kritikerin bekannt und verließ die Linke, weil die Partei die soziale Frage vernachlässigte. Jetzt ist sie zurück.

Inge Hannemann, hier auf einer Podiumsdiskussion über das Grundeinkommen 2018 in Flensburg Foto: Willi Schewski/imago
Katharina Schipkowski
Interview von Katharina Schipkowski

taz: Frau Hannemann, jetzt in die Linke einzutreten, ist, wie ein sinkendes Schiff zu betreten. Warum tun Sie es dennoch?

Inge Hannemann: Ich habe mir das gut überlegt, ich bin nicht die Person für einen Schnellschuss. Ich habe in den letzten drei Jahren im Hintergrund mit der Linken zusammengearbeitet, auch mit der Bundestagsfraktion. Jetzt habe ich mich entschieden, die Linke mit meiner Person in der Öffentlichkeit zu unterstützen. Gerade in Zeiten einer starken Rechten brauchen wir eine starke Linke.

Das klingt, als könnten Sie sich vorstellen, wieder ein Amt zu übernehmen oder als Abgeordnete zu kandidieren.

Das lassen wir alles mal offen. Erst mal bin ich wieder da. Ich werde sehen, welche Aufgaben die Linke, auch der Kreisverband, für mich bereithält.

Sie sind 2020 ausgetreten, weil die Linke die Klassenfrage über die Identitätspolitik vernachlässigt habe. Warum sind Sie nicht ins Bündnis Sahra Wagenknecht eingetreten?

Wagenknecht geht ihren Weg, ich meinen. Linke Politik kann nicht agieren, ohne die Klassenfrage zu stellen. Aber die Frage ist: Wie stelle ich die Klassenfrage. Mit der sozialen Frage zusammen? Das sehe ich bei der Linken, nicht bei Sahra Wagenknecht.

Haben Sie ein Beispiel?

Etwa bei der Klimafrage. Wir müssen Ökologie immer mit dem Sozialen verbinden. Wenn Wohnungen energetisch saniert werden, muss geklärt sein, dass die Kosten nicht auf die Mieter umgewälzt werden. Das bedeutet, die soziale Frage zu stellen. Wenn ich aber nur gegen Wärmepumpen oder energetische Sanierungen wettere, tue ich das nicht.

Haben sich die Gründe für Ihren Austritt im Jahr 2020 denn mittlerweile erledigt?

Nein, ich trete ja auch nicht hoch jubelnd wieder ein, jedoch mit der Überzeugung, für eine starke Linke zu kämpfen. Die Linke ist die einzige Partei, die die soziale Frage in den Mittelpunkt stellt. Sie könnte das gern noch entschiedener tun.

Legt die Linke Ihrer Ansicht nach den Fokus noch zu stark auf das Gendern oder diskriminierte Minderheiten?

Grundsätzlich ist Identitätspolitik schon wichtig. Wir müssen auch darüber sprechen, die Frage ist nur, wie. Führen wir eine offene Debatte und hören einander zu, ohne uns gegenseitig abzuwerten? Das hat die Linke inzwischen gut verstanden und richtet sich an die, die sich von der Politik nicht gehört fühlen.

Also auf die Personengruppen, derer Anliegen Sie besonders vertreten: Erwerbslose und Geringverdiener*innen?

Ich würde den Fokus nicht nur auf Erwerbslose und Ge­ring­ver­die­ne­r setzen. Unzufriedenheit und Armutsängste gehen bis in die Mittelschicht.

Was deutet für Sie darauf hin, dass die Linke es schafft, diesen Ängsten ein gutes Angebot entgegenzusetzen?

privat
Im Interview: Inge Hannemann

55, hat in Hamburg im Jobcenter gearbeitet, bis sie als Hartz-IV-Kritikerin bekannt wurde. 2015 ging sie als Linken-Abgeordnete in die Bürgerschaft, 2017 legte sie ihr Mandat wegen inhaltlicher Differenzen nieder. Am 26. Oktober 2023 kam sie zurück in die Partei. Mittlerweile wohnt sie in Niedersachsen.

Die Bundestagsfraktion hat viele Anträge und Anfragen zu sozialen Themen gestellt. Dass die in den Medien selten thematisiert werden, ist nicht ihre Schuld, sondern liegt an der Personalie Wagenknecht. Die Partei hat sich aber stark bei Bewegungen engagiert, zum Beispiel bei #Ichbinarmutsbetroffen und „Genug ist genug“. Sie hat inzwischen begriffen, dass warme Worte nicht reichen, und setzt das um.

Was muss die Linke tun, um damit wieder mehr durchzudringen?

Auf jeden Fall immer die Klassenfrage in den Fokus stellen – da bleibe ich stur, sonst wäre ich nicht Inge Hannemann. Man muss immer fragen: Wen wollen wir erreichen? Früher, mit der Agenda 2010, waren das die Erwerbslosen. Das hat sich gewandelt, weil die Gesellschaft sich gewandelt hat. Das Alleinstellungsmerkmal der Linken ist, dass wir als einzige die soziale Gerechtigkeit in den Fokus stellen. Wir müssen alle Menschen ins Boot holen, damit niemand in Armut leben muss – weder in der Rente noch im Sozialleistungsbezug oder im Niedriglohnjob.

Sie wurden ja als Hartz IV-Rebellin bekannt. Jetzt gibt es Hartz IV nicht mehr, sondern Bürgergeld. Hat sich die Lage entspannt?

Nicht wirklich. Die versprochene Entbürokratisierung ist nicht eingetreten. Die Mär, dass Menschen ihre Jobs kündigen, um von Sozialleistungen zu leben, hält sich außerdem hartnäckig. Vor allem die CDU scheint das zu glauben, sie kritisiert die geplante Erhöhung um zwölf Prozent auf 563 Euro für Alleinstehende. Dabei ist das natürlich Quatsch. Selbst wer für Mindestlohn arbeitet, hat mehr Geld zur Verfügung als im Bürgergeldbezug, weil er dann noch Anspruch auf Wohngeld und gegebenenfalls Kinderzuschlag hat. Beim Bürgergeld schließt sich das aus.

Es sind schwierige Zeiten für eine Friedenspartei. Muss die Linke immer gegen Waffenlieferungen sein, oder kann sie situativ anders entscheiden?

Ich bin gegen Waffenlieferungen. Aber die Weltlage ist sehr schwierig. Man muss auch sehen, dass wir mit Putin einen Gegner haben, mit dem man nicht reden kann. Aber die Linke hat in diesem Punkt eine klare Position: Wir fordern Waffenstillstand und ernsthafte Friedensverhandlungen, statt immer mehr Waffen in die Ukraine zu liefern.

Wie kann die Linke es schaffen, dem Höhenflug der AfD etwas entgegensetzen?

Gegen die AfD hilft, sich ganz klar zu positionieren. Also zu sagen, was sie ist, nämlich rechtsextrem. Wir brauchen auch mehr Aufklärung. Wer das AfD-Programm liest, sieht, dass es sich gegen jede soziale Maßnahme richtet und soziale Rechte total einschränkt.

Glauben Sie, die Menschen wählen aus Unwissenheit die AfD?

Ich denke, dass sie das Wahlprogramm nicht lesen. Ich glaube nicht, dass die Menschen nur aus Protest rechts wählen, aber sie fallen auf den billigen Populismus herein. Die AfD kommt mit Halbwahrheiten daher und stellt steile Thesen auf und wiederholt diese wie in der Werbung. Wenn man es oft hört, kauft man das Produkt irgendwann.

Hat es nicht auch damit zu tun, dass viele einfach wirklich gegen Flüchtlinge sind?

Das Flüchtlingsthema spielt eine große Rolle, auch weil es die berechtigte Angst gibt, dass noch mehr Menschen um die wenigen bezahlbaren Wohnungen konkurrieren. Das ist natürlich nicht den Geflüchteten geschuldet, sondern dem Problem, dass wir zu wenig bezahlbaren Wohnraum haben. Auch nehmen Geflüchtete niemandem den Arbeitsplatz weg, weil sie ja erst mal gar nicht arbeiten dürfen, sondern dazu verdonnert sind, von Asylbewerberleistungen zu leben. Aber die AfD schürt diese Ängste. Da muss ebenso mehr Aufklärung her.

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15 Kommentare

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  • Inge Hannemann ist zurück. Das freut mich sehr.

    Hannemann: "Die Mär, dass Menschen ihre Jobs kündigen, um von Sozialleistungen zu leben, hält sich außerdem hartnäckig. Vor allem die CDU scheint das zu glauben, sie kritisiert die geplante Erhöhung um zwölf Prozent auf 563 Euro für Alleinstehende."

    Nein, so dumm ist nicht einmal diese "christliche" Partei, dass sie so etwas tatsächlich glaubt. Es geht nur wieder einmal darum, die kleinen Arbeitnehmer gegen die ganz Armen in dieser Gesellschaft aufzuhetzen, damit die kleinen "Lohnsklaven" nicht darüber nachdenken, dass sie selbst im 21. Jahrhundert noch von den Reichen und Mächtigen ausgebeutet werden - die darüber hinaus auch noch mit ihrem klimaschädlichen Wirtschaftswachstumswahn die Zukunft der nachfolgenden Generationen zerstören.

    Hannemann: "Gegen die AfD hilft, sich ganz klar zu positionieren. Also zu sagen, was sie ist, nämlich rechtsextrem."

    Mehr müsste man zur AfD eigentlich auch nicht sagen. Aber vielleicht wollen einige AfD-Wähler ja gerne mit einem braunen Hemd im Stechschritt durch Deutschland marschieren. Wir leben in einer verrückten Zeit, wo entweder neoliberale Parteien gewählt werden, die auf dem Schoß der Reichen sitzen, oder man sogar schon rechten Parteien hinterherläuft, die den naiven Bürger noch mehr an der Nase herumführen.

    Hannemann: "Die AfD kommt mit Halbwahrheiten daher und stellt steile Thesen auf und wiederholt diese wie in der Werbung. Wenn man es oft hört, kauft man das Produkt irgendwann."

    Nun ja, wir wollen doch stark hoffen, dass es noch genügend Deutsche gibt, die des logischen Denkens noch mächtig sind und auf solche 'Werbung' nicht hereinfallen.

    • @Ricky-13:

      "

      Nein, so dumm ist nicht einmal diese "christliche" Partei, dass sie so etwas tatsächlich glaubt. Es geht nur wieder einmal darum, die kleinen Arbeitnehmer gegen die ganz Armen in dieser Gesellschaft aufzuhetzen, damit die kleinen "Lohnsklaven" nicht darüber nachdenken, dass sie selbst im 21. Jahrhundert noch von den Reichen und Mächtigen ausgebeutet werden"



      ------------------

      Wenn beim Bürgergeld je nach Konstellation genausoviel rumkommt wie bei einem 50k Jahreseinkommen ohne etwas tun zu müssen hat das nichts mit "Ausbeutung" zu tun, sondern von einer massiven Schieflage unserer Sozialpolitik die Arbeit entwertet.

      • @SeppW:

        Einerseits haben Sie Recht mit der Forderung nach einem Lohnabstand. Wer Erwerbseinkommen erzielt, sollte deutlich mehr haben als die, die kein Erwerbseinkommen erzielen. Das kriegt man nur mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen wirklich in den Griff (und einer Verschiebung der Steuer- und Abgabenlast weg von der Arbeit, hin zu Vermögen, Erbschaften, Transaktionen, Ressourcen- und Umweltverbrauch).

        Andererseits ist es nicht richtig, dass man nichts tun muss, um Bürgergeld zu bekommen. Man muss sich in einen aufreibenden Kampf mit der Bürokratie begeben und finanziell die Hosen runterlassen. Ist nicht wirklich schön, deswegen vermeiden das viele Leute, obwohl sie eigentlich anspruchsberechtigt wären.

        • @Eric Manneschmidt:

          Man muss das Bürgergeld senken. Ein Bekannter zahlt für Reinigungskräfte für Ferienhäuser einen Stundenlohn, der dem dreifachen (!) Satz des Mindestlohns entspricht, und findet trotzdem niemanden.

          • @SeppW:

            Die Geschichte von einem "Bekannten", der 'dieses und jenes' mit "geldgierigen und faulen Arbeitern" erlebt hat, wird also mal wieder erzählt. Wenn Ihr "Bekannter" mit seinen Ferienhäusern Reibach machen möchte, dann sollte er vielleicht mal selbst den Handfeger und die Schaufel in die Hand nehmen. Sie sind also der Meinung, dass man das Bürgergeld senken soll, damit die Armut in diesem Land noch größer wird und man als Arbeitgeber (oder als Ferienhausbesitzer) noch leichter an billige Arbeitskräfte kommt.

          • @SeppW:

            Nun. Ich könnte ihm sofort 10 Leute schicken. Alle in Duldung und ohne Recht zu arbeiten. Die sich dann auch noch anhören müssen, sie nutzen die Sozialsysteme aus. Absurder geht es nicht.

  • Ach du liebe Güte, da wird also eine Ex-Linke zur Wieder-Linken und will den Klassenkampf wieder aufleben lassen.

    Wenn das das Personal ist,welche die Linke retten soll, dann ist die Linke wohl wirklich verloren.

  • "Man muss auch sehen, dass wir mit Putin einen Gegner haben, mit dem man nicht reden kann. Aber die Linke hat in diesem Punkt eine klare Position: Wir fordern Waffenstillstand und ernsthafte Friedensverhandlungen, statt immer mehr Waffen in die Ukraine zu liefern." Wie hält man solche inneren Widersprüche aus? Mit wem will sie verhandeln wenn man mit Putin nicht reden kann?

  • Entgegen der Ansicht von Frau Hannemann kann niemals "geklärt" werden, dass nicht die Mieter für die Kosten von Wärmepumpen oder energetischen Sanierungen aufkommen. Was den Vermieter Geld kostet und nicht direkt auf die Mieter umgelegt werden kann, wird bei Neuvermietungen in die Mieten eingepreist und führt zu einer weiteren Erhöhung des allgemeinen Mietniveaus. Diese Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmieten ermöglicht dann auch weitere Mieterhöhungen in den bestehenden Mietverhältnissen. Wer das will, kann auch gleich die Grünen wählen. Ich als Mieter brauche keine Linkspartei, die aufgrund unrealistischer ökologischer Wunschträume Wohnraumverteuerung befürwortet und das mit "sozialer" Rhetorik beschönigt, von der erfahrungsgemäß ohnehin nichts übrig bleibt, wenn es an die Umsetzung geht.

  • Währe ein tolles Signal wenn auch wieder Leute wie Ulrich Schneider und Fabio de Masi zurückkehren würden.

    • @Andreas J:

      Beide tun immer nur sozial. Wenn's drauf ankommt, kneifen sie. Insofern brauchen wir sie nicht wirklich in der LINKEN.

    • @Andreas J:

      Ganz genau!

    • @Andreas J:

      Es würde mich extrem überraschen, wenn Fabio de Masi zurückkehren würde. An den von ihm angegebenen Gründen für seinen Austritt hat sich absolut nichts geändert.

  • Das ist mal eine gute Nachricht von der LINKEN!



    Ich drücke Inge Hannemann die Daumen und hoffe, dass sie parteiintern unterstützt wird.

    • @Eric Manneschmidt:

      Hallo! Ganz Ihrer Meinung.