Grüner als die Grünen: Friedrich Merz wird Klimakanzler …
… einfach, weil er muss. Denn Klimaschutz ist ein durch Gerichtsurteile gefestigtes Gesetzesziel, aus dem auch ein CDU-Kanzler sich nicht herauswinden kann.
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O b Friedrich Merz klar ist, auf welchem politischen Feld er in der kommenden Legislatur glänzen muss – wenn er Bundeskanzler werden sollte? Vermutlich nicht, wie seine Tiraden gegen grünen Stahl, Windräder oder Klimaschutz zeigen. Aber ein Regierungschef Merz wird Deutschlands erster echter Klimakanzler – einfach, weil er Klimakanzler werden muss.
Das liegt zuallererst am deutschen Klimaziel: Die Bundesrepublik hat sich international völkerrechtlich bindend verpflichtet, ihre Treibhausgase bis zum Jahr 2030 um 65 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Geschafft sind aber erst 48 Prozent.
Die kommende Regierung hat also vier Jahre Zeit, um die fehlenden 17 Prozent zu organisieren. Das ist ausgesprochen ambitioniert – für die ersten 17 Prozent brauchte Deutschland insgesamt zwölf Jahre. Zudem sind viele „low hanging fruits“ abgeerntet: So sparte der Zusammenbruch der energieintensiven DDR-Wirtschaft viel Treibhausgas, ebenso der Umstieg der Stromerzeugung von Kohle auf Wind sowie der Einstieg in die Elektromobilität. Solarpaneele sind heute technisch ausgereifter und spottbillig.
Aber manche der niedrigschwelligen Politikinstrumente, die schnellen Erfolg versprechen, sind noch übrig: Tempolimit, Fleischsteuer, Verbot innerdeutscher Flüge. Und die soll ausgerechnet Friedrich Merz (CDU) einführen?
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Im Wahlkampf spielt die Klimakrise keine große Rolle. Dabei schreitet die Erderhitzung weiter voran. Die taz schaut in dieser Woche dahin, wo es brennt. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.
Wenn er gesetzestreu regieren will, muss er liefern. Zwar haben auch andere Regierungen ihr Klimaziel gerissen, Kanzler Gerhard Schröder (SPD) beispielsweise, der bis 2005 den bundesdeutschen Treibhausgasausstoß um 25 Prozent hätte senken müssen, aber nur bei 21 Prozent landete. Zu Schröders Zeiten gab es allerdings noch kein Klimaschutzgesetz, Schröders Ziel war freiwillig, das von Merz besitzt Gesetzeskraft. Könnte eine Regierung Merz nicht einfach das Klimaschutzgesetz ändern und das Reduktionsziel auf 55 Prozent minimieren? Das geht nicht, dem nächsten Kanzler ist dieser Schritt versperrt.
Erstens ist das Reduktionsziel Teil der europäischen Klimapolitik, Berlin muss gegenüber Brüssel über seine Klimapolitik Rechenschaft ablegen. Weil die Bundesrepublik bereits heute ihre Reduktionspflicht aus der EU-Lastenteilungsverordnung nicht einhält, drohen der nächsten Bundesregierung Milliarden-Strafzahlungen im zweistelligen Bereich.
Moralischer Schaden
Zweitens ist das deutsche Klimaziel im internationalen Prozess festgeschrieben und bei der UNO hinterlegt. Zwar sind hier keine materiellen Strafen zu fürchten, dafür aber hoher moralischer Schaden auf dem diplomatischen Parkett: Deutschland hat sich 1990 als erster Staat weltweit mit einem Klimaziel vorgewagt, mittlerweile haben fast alle Länder ein solches. Diese Ziele sind Grundlage der 2-Grad-Politik der UNO (offiziell noch 1,5 Grad). Würde Deutschland sein Ziel heruntersetzen, müssten andere Staaten selbst mehr reduzieren.
Aber selbst wenn ein Kanzler Merz sich – und Deutschland – auf internationalem Parkett blamieren und an der Zielmarke des deutschen Klimaschutzes schrauben wollte – sie ist Ergebnis eines obersten Richterspruchs. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Frühjahr 2021 geurteilt, dass die damals gültige Klimapolitik des Kabinetts von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die Rechte kommender Generationen verstößt.
Damals galten minus 55 Prozent bis 2030. Das Urteil sei ein deutlicher Warn- und Weckruf, erklärte der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und sah in ihm „die Chance, für mehr Generationengerechtigkeit zu sorgen“. Seitdem gelten die 65 Prozent bis 2030.
Zahlreiche Gerichtsurteile
Merz kann also weder am Klimaziel etwas ändern noch das Klimaschutzgesetz aushebeln, er wird liefern müssen. Zumal es eine ganze Reihe weiterer Urteile gegen die Klimapolitik der aktuellen Bundesregierung gegeben hat: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg urteilte, dass die Klimaschutzmaßnahmen der Ampel viel zu unkonkret beschrieben und damit rechtswidrig sind.
Empfohlener externer Inhalt
Gemäß Klimaschutzgesetz muss die nächste Regierung deshalb ein konkreteres „Klimaschutzprogramm“ vorlegen, also detailliert aufzeigen, welche politischen Maßnahmen sie beabsichtigt, um die fehlenden 17 Prozent in den nächsten vier Jahren zusammenzubringen.
Dass der nächste Kanzler definitiv ein Klimakanzler werden muss, hat auch viel mit der Ampelkoalition zu tun. In einem weiteren Prozess verurteilte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Bundesregierung dazu, „gesetzeskonforme Klimaschutz-Sofortprogramme“ vorzulegen.
Empfohlener externer Inhalt
Aber statt nach solch einem für einen bündnisgrünen Klimaschutzminister peinlichen Richterspruch jene Arbeit vorzulegen, die die Verfassungsrichter aufgetragen hatten, ging Robert Habeck in Revision. Dann schrieb er mit seinen Ampelpartnern das Klimaschutzgesetz so um, dass Sofortprogramme nicht mehr notwendig waren.
Dagegen zogen die Klimaschützer vor das Bundesverfassungsgericht. Mit dem geänderten Gesetz sei es unmöglich, Deutschlands Klimaziel bis 2030 zu schaffen, argumentierte Rechtsanwältin Roda Verheyen, die an der Verfassungsbeschwerde mitgearbeitet hatte. Karlsruhe hat diese angenommen und erklärt, in diesem Frühjahr ein Urteil zu fällen. Ein Ahrtal- und viele Jahrhunderthochwasser nach dem Spruch von 2021 erscheint es wahrscheinlich, dass die Kläger auch dieses Mal wieder Recht bekommen.
Mitten in die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen könnte also die Botschaft platzen: Die Regierung muss den Klimaschutz ernster nehmen. Politisch ist es von der Union deshalb unklug, Stimmung gegen die Bündnisgrünen zu machen, eine Zusammenarbeit sogar auszuschließen. Erstens fehlen der Union Ideen für wirksamen Klimaschutz. Zweitens wird sie grüner agieren müssen, als die Grünen in dieser Legislaturperiode. Da wäre es – auch für die eigene Klientel – besser, sie auf der Regierungsbank einzubinden, als sich aus der Opposition heraus immer anhören zu müssen, was schlecht läuft beim Klimakanzler.
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