Gewerkschaftlerin über Gastro-Jobs: „Es geht nicht Monate so weiter“
Beschäftigte der Gaststätten können von Kurzarbeit nicht leben, warnt Gewerkschaftlerin Silke Kettner. Die Zeit sollte für Bildung genutzt werden.
taz: Frau Kettner, wie ist die Lage der Beschäftigen in Hotels und Gastronomie derzeit?
Silke Kettner: Die ist mehr als bescheiden. Die meisten sind seit März in Kurzarbeit und wissen nicht mehr, wie sie ihr Leben finanzieren sollen. In der Gastronomie verdienen die Leute unter normalen Umständen schon zu wenig, als dass es gerade in einer Stadt wie Hamburg für ein vernünftiges Leben reicht. Seit März müssen sie mit bis zu 40 Prozent weniger Geld klarkommen. Das sind für viele unter 1.000 Euro. Das haut natürlich nicht hin.
Von wie viel Beschäftigten sprechen wir hier?
Allein in Hamburg sind es circa 55.000.
Nun gibt es die November- hilfen, die den Firmen 75 Prozent des Vorjahresumsatzes ersetzen. Könnten die jetzt nicht volle Löhne zahlen?
Sind die Betriebe zu, können keine vollen Löhne gezahlt werden, dafür gibt es die Kurzarbeit. Man hätte aber die Hilfsgelder daran koppeln können, dass hiervon auch etwas den Beschäftigten zugute kommt. Zum Beispiel in Form von Zuschüssen zum Kurzarbeitergeld. Es ist gut, dass Betriebe unterstützt werden. Es kam aber vieles von den Hilfsgeldern noch gar nicht an. Und wenn es dort ankommt, heißt es noch nicht, dass es bei den Beschäftigten landet. Weitaus der größte Teil lebt rein vom Kurzarbeitergeld ohne weitere Zuschüsse vom Betrieb.
Was können die dann tun?
Sie müssen zum Jobcenter, Sozialleistungen beantragen, aufstockend Hartz IV, also Arbeitslosengeld II. Oder, wenn sie dort von den Voraussetzungen her nicht reinpassen, können sie Wohngeld beantragen. Ansonsten müssen sie sich irgendwie über Wasser halten. Die Politik rechnet mit mehr Überschuldungen von Privathaushalten, weshalb man jetzt die Schuldnerberatung ausbaut. Aber wenn Haushalte strukturell zu wenig Geld haben, dann kann man das auch nicht wegberaten.
45, ist Diplom-Volkswirtin und Geschäftsführerin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in der Region Hamburg-Elmshorn.
Ihre Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) appellierte jüngst an die Betriebe: Die sollen jetzt das neue Qualifizierungschancengesetz nutzen. Was bietet das Gesetz?
Das Gesetz ist seit 2019 in Kraft und bietet hohe Zuschüsse für Qualifizierungmaßnahmen von Beschäftigten. Wir haben jetzt, wo die meisten Betriebe zu sind oder nur eingeschränkt arbeiten, die Chance, Beschäftigte weiterzubilden. Das heißt, sie in ihren Fachgebieten schlauer zu machen oder sie in Bezug auf Buchhaltung, Personalwesen, Schicht- und Einsatzplanung et cetera zu stärken. Es gibt viele staatliche Zuschüsse dafür.
In welcher Form?
Die Arbeitsagentur kann die kompletten Weiterbildungskosten tragen und zusätzlich Lohnausfallkosten zahlen, in der der Mitarbeiter wegen dieser Maßnahme ausfällt. Die Kurzarbeit ist die Chance, um hier etwas für Qualifizierung zu tun.
Und das passiert nicht?
Es passiert bislang nur sehr eingeschränkt, wie man an Hamburg sieht. Hier wurden über alle Branchen, seit 2019 das Gesetz in Kraft trat, nur 606 Menschen überhaupt gefördert. Das ist sehr ernüchternd.
Wissen Sie, warum die Betriebe es nicht nutzen?
Es sind Hürden damit verbunden. Die Gastronomie ist eben eine Branche mit sehr vielen kleinen inhabergeführten Firmen. Und dann auch noch Leute in Weiterbildung zu schicken, ist ein hoher bürokratischer Aufwand. Jetzt, aktuell im Coronajahr müssen viele Hilfsgelder beantragen und irgendwie ihren Laden aufrecht erhalten. Da wäre es sehr sinnvoll, wenn es hier niedrigschwellige Angebote für die Betriebe gäbe, damit Weiterbildung in dieser Zeit passiert. Ein anderer Grund, weshalb das jetzt nicht geschieht, ist: Haben die Betriebe höher qualifiziertes Personal, müssen sie die nach der Pandemie auch besser bezahlen. Da schrecken einige vor zurück.
Wie sehen die Hürden denn genau aus?
Es muss beantragt werden, es müssen Kurse gefunden werden, es müssen Programme geschrieben werden, es muss überhaupt der Antrag laufen, damit diese Zuschüsse fließen können. Das ist Arbeit. Wenn es nur einen Inhaber gibt, der alles tun muss, dann ist das eine Hürde.
Fehlt ein gezieltes Angebot seitens der Arbeitsagentur?
Weiterbildung wird in der Regel von externen Bildungsträgern durchgeführt. Ich weiß, dass es Anbieter gibt, die Angebote planen. Aber das dauert leider. Wir müssten jetzt Angebote parat haben. Wenn man über gastronomiespezifische Weiterbildung spricht, dann geht es zum Beispiel um Weinkunde, also um Weiterbildung zum Sommelier oder Barista, um nur zwei Beispiele zu nennen. Das sind sehr passgenaue Angebote, die gut wären und die es auch gibt. Aber die niedrigen Zahlen sprechen dafür, dass da irgendwo was nicht ganz passt und Angebot und Nachfrage nicht zueinander kommen.
Bietet sich Gastronomie überhaupt als Feld für Weiterbildung an? Der Laie denkt, wenn man erst mal bedienen kann, dann kann man das.
Da gibt es ganz viel Bedarf. Wenn man unten anfängt, kann man alle eine Stufe höher qualifizieren. Einen Tellerwäscher kann man zu einer Servicekraft ausbilden. Man kann eine Küchenhilfe weiterbilden, damit sie qualifiziertere Arbeitsschritte bewältigt. Man kann in Richtig Warenkunde was machen wie Sommelier- oder Barista-Schulungen oder Whisky-Tasting. Man kann das ganze Administrative machen, also zum Beispiel Buchhaltung oder Personalkunde. Es wäre auch eine gute Sache, Mitarbeiter in Schicht- und Arbeitszeitplanung weiterzubilden, dann hätte die Branche nach der Pandemie vielleicht eine Chance, ihr Problem mit überlangen Arbeitszeiten und unbezahlten Überstunden in den Griff zu kriegen.
Fehlt es an Bildungsträgern, die das anbieten?
Ich weiß eben nicht, ob die Träger und Unternehmen so richtig zueinander kommen. Das ist nicht nur ein Problem dieser Branche. Aber in der Gastronomie gibt es die Tendenz, das gar nicht oder nur partiell den Beschäftigten anzubieten. Weil, wie gesagt, höher qualifiziertes Personal muss man auch höher bezahlen. Da die Branche durch stark ausgeprägten Niedriglohn gekennzeichnet ist, schrecken Arbeitgeber davor zurück.
Können Beschäftigte von sich aus Weiterbildung während der Kurzarbeit einfordern?
Das wird schwierig, weil man von den Betrieben freigestellt werden muss. Man braucht eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber, wenn es während der eigentlichen Arbeitszeit stattfinden soll. Wir wissen erstens nicht, wie lange die Kurzarbeit noch geht. Zweitens haben viele Betriebe auch jetzt noch Lieferservice, es gibt Hotels, die gar nicht geschlossen sind, weil sie Geschäftskunden haben. Beschäftigte können nicht sagen, ich steh’ jetzt sechs Wochen überhaupt nicht zur Verfügung, weil ich hier gerade einen Kurs mache. Und letztendlich können ja die Betriebe die Zuschüsse für die Lohnkosten bekommen. Diese Zuschüsse sind für Unternehmen gedacht.
Gibt es auch Menschen, die in Kurzarbeit nicht arbeiten?
Natürlich. Gerade in den Gaststätten gibt es seit November für die Leute überhaupt nichts zu tun. Da ist das meiste „Kurzarbeit null“, die arbeiten gar nicht, bis hin zu einer nur gering verkürzten Arbeitszeit. Aber ein Großteil ist tatsächlich auf null.
Ausblick auf 2021: Was muss passieren?
Wir brauchen ein Konzept, wie es weitergeht. Dass man mit dem Lockdown versucht, die Infektionszahlen zu brechen, klar, ist nachvollziehbar. Aber es kann nicht Monate so weitergehen. Was passiert, wenn die Pandemie nicht so schnell in den Griff zu kriegen ist? Und das andere ist: Wenn man so einen Lockdown macht und Branchen schließt, muss man das sozial absichern. Es geht nicht, dass es nur Hilfsgelder für Betriebe gibt, aber die Beschäftigten im Regen stehen. Wir brauchen finanzielle Hilfe, damit diese Situation durchzuhalten ist.
Ein Gehalt vom Staat?
Wir fordern ein Mindestkurzarbeitergeld. Man muss wissen, dass das Kurzarbeitergeld von den Beschäftigten selbst finanziert ist. Die zahlen ja dafür in die Arbeitslosenversicherung ein. Und die Kurzarbeit ist eine Leistung der Agentur für Arbeit. Das ist selbst finanziert, es sind keine staatlichen Gelder, die da gezahlt werden. Und das reicht einfach nicht bei dem Einkommen, das viele haben. Wir brauchen eine Mindestabsicherung, damit zumindest Fixkosten und ein Leben zu finanzieren sind. Und was wir auch fordern, ist Corona-Soforthilfe von 1.000 Euro pro Kurzarbeits-Beschäftigtem.
Also 1.000 Euro oben drauf?
Genau. Also eine einmalige Geschichte. Das kostet für ganz Deutschland 600 Millionen Euro, im Vergleich dazu sind die Unternehmenshilfen bei 17 Milliarden Euro. Das ist doch von der Relation her machbar.
Sie haben mit Löffeln protestiert?
Ja, wir haben von unseren Mitgliedern 600 Löffel gesammelt und sie am 19. November unter dem Motto „Wir müssen den Löffel abgeben“ am Rathaus abgegeben. Wir fordern eine bessere finanzielle Absicherung in der Krise. Wir wollten mit den Löffeln wegen Corona mit wenig Leuten zeigen, dass viele dahinter stehen.
Und was sagte man dort?
Es hat eine sehr freundliche Dame vom Bürgerbüro unsere Forderungen entgegengenommen. Keiner von den politischen Entscheidungsträgern. Und gesagt hat man uns dazu bisher gar nichts.
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