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Gewerkschaften und KlimapolitikKlima contra Arbeit

Gastkommentar von Thomas Gesterkamp

Klimapolitik kann Arbeitsplätze kosten. Aufgabe der Gewerkschaften ist, bei ökologischen Lösungskonzepten an die sozialen Folgen zu erinnern.

Sozialpolitik und Arbeitsplätze haben Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen oft nicht auf dem Schirm Foto: Martin Schroeder/imago-images

D ie Entscheidung sei „politisch unklug, unüberlegt und populistisch“, wetterte Betriebsratschef Alois Schwarz 1992 in den Produktionshallen von Messerschmidt-Bölkow-Blohm. 8.000 hochqualifizierte Stellen sah der bayerische Metallgewerkschafter in Gefahr, als die Bundesregierung den Auftrag zum Bau des Kampffliegers Jäger 90 bei der Mutterfirma Deutsche Aerospace (heute Teil der Airbus-Gruppe) stornieren wollte.

Nach dem Ende des Kalten Krieges schien Rüstungskonversion das Gebot der Stunde, zudem belastete die deutsche Vereinigung die öffentlichen Etats. Der massive Druck von Konzernleitung und Arbeitnehmerorganisationen hatte dennoch Erfolg. Das in Eurofighter umbenannte und gemeinsam mit Partnerländern in Serie gebaute Flugzeug kostete in den folgenden Jahrzehnten rund hundert Milliarden Euro.

Betriebsräte als Militärlobbyisten, weil ihnen die Angst vor Werksschließungen im Nacken sitzt: Dieses Muster wiederholte sich 2014. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen befürwortete nach anfänglichem Zögern die Entwicklung bewaffneter Drohnen. Auf ihre Zusage reagierten neben Rüstungsmanagern auch Gewerkschafter begeistert: Das sichere Tausende von Jobs in der Branche, jubelte Bernhard Stiedl von der IG Metall Ingolstadt. Hauptsache Arbeitsplatz:

Ist es den Interessenvertretungen egal, womit Beschäftigte ihr Geld verdienen? Wenn es um die Existenz von Unternehmen geht, zählen in den Arbeitnehmerverbänden moralische Bedenken relativ wenig. Das gilt für den Umgang mit Waffenherstellern und erst recht im Kampf gegen die Erderwärmung. Die konservative Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie warnt regelmäßig vor einem frühen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung, den Kli­mak­ti­vis­t:in­nen eindringlich anmahnen.

Bild: privat
Thomas Gesterkamp

ist promovierter Politikwissenschaftler und Autor für Radio und Printmedien in Köln.

Der private PKW bleibt tabu

Auto-Betriebsräte versuchen das Verbot des Verbrennungsmotors auszubremsen, im ersten Corona-Lockdown verlangten sie wie in der Finanzkrise staatliche Abwrackprämien beim Kauf von Neuwagen. Als die schwarz-rote Koalition dies verweigerte und selbst die gewerkschaftsnahe Sozialdemokratie nicht mitzog, kamen scharfe Reaktionen aus der IG Metall und vom DGB-Bundesvorstand.

Unter den Metallern gibt es aber auch Gegenstimmen. Seit Jahren wird intern über die ökologische „Transformation“ diskutiert. Man will das Thema mit positiven Vorschlägen besetzen. Die Funktionäre hoffen dabei vor allem auf den Bau von Elektrofahrzeugen. Mobilitätskonzepte, bei denen nicht der private Besitz von Autos im Mittelpunkt steht, gehen den meisten allerdings zu weit.

Denn eine fundamentale Verkehrswende auf der Basis der Sharing-Ökonomie und öffentlicher Transportmittel könnte zahlreiche Jobs in der deutschen Leitbranche kosten. Der schwierige Balanceakt zwischen Arbeitsplatzinteressen und ethischen Grundsätzen ist eine historische Endlosschleife. Schon in den 1970er Jahren gingen Werftarbeiter für den Export von Unterseebooten in das von einer Militärdiktatur beherrschte Chile auf die Straße.

Beschäftigte der Energiewirtschaft demonstrierten nicht gegen, sondern für den Bau von Atomkraftwerken. Doch blinde Flecken gibt es nicht nur auf der Seite der Arbeitnehmer, wie die Klimadebatte zeigt. Die Fridays-for-Future-Aktivist:innen, oft aufgewachsen in saturierten bürgerlichen Familien, sind nicht gerade für ihre sozialpolitische Sensibilität bekannt.

Die eigene privilegierte Situation reflektieren sie meist wenig, die Perspektiven der Kumpel im rheinischen Revier oder in der Lausitz sind ihnen weitgehend gleichgültig. Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre fordert angesichts der ökonomisch-ökologischen „Zangenkrise“ einen Labour turn bei den Klimabewegten und einen Climate turn bei den Gewerkschaften. Ermutigt hat ihn die Stimmung im überfüllten Audimax der Universität Leipzig im Mai 2019, bei der Gründung der Students for Future.

Mangelndes Sozialempfinden

Auf die Frage, ob eine Nachhaltigkeitsrevolution innerhalb kapitalistischer Verhältnisse möglich sei, habe er vom Publikum ein vielstimmiges „Nein!“ zu hören bekommen. Und der Vorschlag, große Konzerne bei einer Blockadehaltung gegenüber Klimazielen zu sozialisieren, erhielt tosenden Applaus. Der Wissenschaftler propagiert seither den „Ökosozialismus“. Auf euphorische Reden folgten in Leipzig Taten.

Ökologisch engagierte Studierende unterstützten den Streik von Ver.di im Nahverkehr für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. In 25 Städten bildeten sich während der „Klima-Tarifrunde“ Solidaritätskomitees. Solche Allianzen sind im Kontext des industriellen Umbaus aber keineswegs die Regel. Von einem Labour turn unter Baum­haus­be­woh­ne­r:in­nen im Hambacher Forst war wenig zu spüren, eher wurden Tagebauarbeiter beschimpft oder gar körperlich attackiert.

„Einige Akteure des militanten Flügels vom Bündnis Ende Gelände, die jede Art von Wirtschaftswachstum ablehnen, betrachten selbst die Besatzungen der Förderbrücken als feindliche Gruppierungen, die symbolischen Besetzungsaktionen im Wege stehen und mit ihrer Berufstätigkeit gezielt am Ruin des Planeten arbeiten“, berichtet Dörre über seine Erfahrungen bei einem Forschungsprojekt im Brandenburger Revier.

Gewerkschaften und Linke haben das Klimaproblem lange unterschätzt. Im Vergleich zum Erhalt von Jobs galt es als nachrangig. Neben inhaltlicher Differenzen beruhen die Spaltungen zwischen den Milieus auch auf der Art der Vermittlung, des öffentlichen Auftritts. Der Absolutheitsanspruch von Greta Thunbergs „I want you to panic“ erinnert an die Allmachtsfantasien ideologisch eingemauerter linker Kader von einst.

Den Gewerkschaften könnte hier die Rolle eines mäßigenden Korrektivs zukommen: Sie sollten immer wieder auf die sozialen und verteilungspolitischen Folgen von rein ökologisch orientierten Lösungskonzepten hinweisen.

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12 Kommentare

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  • Jahrhundertelang lebten Menschen einigermassen im Einklang mit der Natur, obwohl es unten und oben gab. Aber erst die Wirtschaftsform Kapitalismus, wo Vermögende Technik und Lohnabhängige zur Profitsteigerung einsetzen und neue Anhängigkeiten schaffen, hat in Verbindung von einem Raubbau von Natur, wissenschaftlicher Intelligenz und Bodenschätzen diese klimatischen Umwälzungen verursacht. Für diejenigen, die Handel und Wandel betreiben -und das wird leider nicht verstanden und zur Kenntnis genommen- geht es letztendlich genauso um ihre Existenz wie ihren Lohnabhängigen, wenn immer stärkere Wettbewerber den schwächeren das Wasser abgraben und die Luft verpesten. Diese Todespirale ist Teil dieses Systems, das ungebremst jegliches Leben auf diesem Planeten zerstört. Warum kann es hier niemand aufhalten, wo bleibt der Verstand, der dazu eigentlich in der Lage sein müsste ? Warum lassen wir die von Wachstumswahn Erblindeten immer weiter so agieren, wozu haben wir Meinungsfreiheit und 'Demokratie'? Ellenbogenartisten wie Lindner & Co haben uns die Solidarität abgewöhnt..



    Es gibt auch ein Leben ohne SUV und Luxuskreuzfahrten. Ein Auskommen und eine Überlebenschance steht jedem/r 'Bürger/in* zu !

    • @Dietmar Rauter:

      Alles nach dem Kapitalismus nämlich der Sozialismus und Co war bisher noch rücksichtsloser zur Natur und indirekt zum Klima. Der Kapitalismus ist da potentiell klimafreundlicher, weil der Konsument und Endverbraucher mit Unterstützung von Staat und Gesellschaft die Richtung vorgeben kann. In postkapitalistischen gibt dieses freie Spiel des Marktes und damit seiner Innovation nicht mehr.

  • Die Vorstellung, dass Klimaschutz in der Summe Arbeitsplätze vernichten, ist wahrscheinlich falsch. Der Klimaschutz treibt zusammen mit der digitalen Revolution technische Innovationen an. Wie historisch eigentlich immer in Phasen großer Innovationen verschwinden alte Tätigkeiten, aber es entstehen auch viele neue. Massenarbeitslosigkeit gibt und gab es immer dann, wenn es zu wenig, nicht wenn es viel Innovation gab.

    Ein Elektroauto kann vielleicht von weniger Menschen gebaut werden, als ein Benziner, es braucht weniger Leute am Band, aber es braucht mehr Programmierer, IT-Leute, Ingenieure, um die neue Technologie zu entwickeln. Auch eine Sharing-Infrastruktur braucht IT-Fachleute und Servicekräfte. Wir brauchen immer weniger Piloten und Flugbegleiter, aber die Leute werden als Lokführer und im Service bei der Bahn gebraucht. Onlinehandel ist ökologischer als stationärer Einzelhandel, aber er braucht nicht unbedingt weniger Arbeitskräfte. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Lösung des Klimaproblems viel weniger im Verzicht, als in neuen Technologien liegt.

    Es ist gut möglich, dass solche Transformationen immer öfter und immer schneller passieren. Die meisten Menschen werden nicht ihr Leben lang den gleichen Job machen. Das ist nichts Schlechtes, es macht das Leben ja auch interessanter. Ich würde mir von den Gewerkschaften wünschen, dass sie diese Veränderungen stärker begleiten, darauf achten, dass die Menschen neue Chancen bekommen und neue Branchen nicht Ausbeutung bedeuten. Im Moment sehe ich eher, dass Gewerkschaften an einem nicht mehr tragbaren Status Quo festhalten.

  • Da wird mit zweierlei Maß gemessen: die Köimaaktivisten sollen sozial ausgewogene Konzepte entwickeln, aber die Klimafeindliche Politik durfte ganz stumpf die hiesige Wind- und Solarbranche mit 100.000++ Arbeitsplätzen vernichten.



    Umgekehrt wird ein Schuh draus:



    Klare Rahmenbedingungen erlauben Unternehmen wie Beschäftigten eine Umorientierung.



    Hochverdiener in schädlichen Branchen sind nicht schutzwürdig, sonder Egoisten und Teil des Problems.



    Es ist Jahrzehnte bekannt, welche Branchen klimaunverträglich sind - wer da arbeitet, hat sich gegen die Welt entschieden. Dann muss er damit leben, wenn sein Job ircenwann abgeschafft wird...

  • Es ist leider so, dass die deutschen Gewerkschaften bisher Verteilungsfragen nur an Erwerbsarbeit festmachen, d.h. alle sollen Erwerbsarbeit machen und folglich muss um jeden Arbeitsplatz gekämpft werden. Eine Ausnahme sind die Frauen der IG BAU (igbau.de/BGE.html). Solange aber um jeden Arbeitsplatz gekämpft werden muss, lässt sich weder friedens- noch umweltpolitisch viel ausrichten, denn Zerstörung schafft unterm Strich immer mehr Arbeit (eimmal beim Zerstören und dann wieder beim Reparieren/Heilen/Wiederaufbauen).

    Ich halte es daher für notwendig, dass Umwelt- und Friedensbewegte eine eigenständige Politik der sozialen Sicherung entwickeln, die eine Trennung von Erwerbsarbeit und Existenzrecht beinhaltet. Aktuell läuft dazu eine Europäische Bürgerinitiative, die hier unterstützt werden kann:



    www.ebi-grundeinkommen.de/

  • Es ist das alte Problem, dass Umwelt- und soziale Bewegung nicht ausreichend zusammenarbeiten. Dabei könnte es so einfach sein, wenn wir müssen nur das Erwerbsgebot aufgeben und ein Bedingungsloses Grundeinkommen für Alle einführen.

    Aber immerhin tut sich was in der Richtung, lesenswert sind z.B.



    www.derstandard.at...ommen-sein-sollten



    und



    www.worldbasicinco...vidend_-_final.pdf

  • Ja stimmt, es wäre schön wenn sich die Gewerkschaften nicht komplett blamieren würden als Industrielobbyisten. Zumindest im rheinischen Revier gilt, bis auf die Subunternehmer verdienen die RWE Beschäftigten blendend. Im Vergleich geht ein RWE Mitarbeiter mit 58 Jahren und 1000 Euro mehr in Rente. Entsprechend sauer werden sie auch wenn sie ihre Privilegien in Frage gestellt sehen. Wenn sie auf mangelnde Empathie und Gewaltaktionen der Hambibesetzer hinweisen, sollten sie der Vollständigkeit halber auch die Brandanschläge die gegen Antikohleaktive verübt wurden erwähnen, das war nicht nur das alte Hambimobil einen Tag vor Räumungsbeginn 2018 auch vorher ist schon das Auto vom Wiesenbesitzer ausgebrannt. Der letzte Anschlag hat das Mahnwachenzelt dahin.gerafft zwischen Weihnachten und Neujahr letzten Jahres.

  • "Die Fridays-for-Future-Aktivist:innen, oft aufgewachsen in saturierten bürgerlichen Familien, sind nicht gerade für ihre sozialpolitische Sensibilität bekannt."

    Aber Leute, die die Lebensgrundlagen von 6 Milliarden (bei einer globalen Erwärmuung um 4 Kelvin) Menschen vernichten wollen, sind das? LOL.

    • @Ajuga:

      Die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten der Erderwärmung durch Kohle, Öl und Gas ist um ein Vielfaches höher als irgendwelche sozialökonomischen Kosten aus Verlusten von Arbeitsplätzen oder Betriebsschließungen der oben genannten Industrien

      • @Andrew Bear:

        Sehr viel Arroganz dabei. Es geht doch nicht nur um Grundeinkommen. Menschen den Job wegzunehmen heisst auch Aufgabe, Sinn, Wertschätzung und Selbstbewusstein zu nehmen. Klima hin, Rüstung her. Es kann hier in dieser Blase sehr viel Für Die verbreitet werden. An der Basis ist Klimaschutz durchaus ein Thema. So lange es nicht den Job kostet. Und das sind sehr, sehr viele.

        • @maestroblanco:

          Dass Menschen von klein auf eingetrichtert wird, ihre Aufgabe, Sinn, Wertschätzung und Selbstbewusstsein werde vom Job bestimmt, ist ein Mittel des Kapitalismus, alle gegeneinander aufzubringen. Teile und herrsche. Wir sind wertvoll, weil wir existieren, nicht weil wir nützlich sind!