Gesundheitsstadtrat von Berlin zu Corona: „Die haben bis zu 300 Kontakte“
Dass es in der Berliner Innenstadt mehr Infizierte gibt, erstaunt den Gesundheitsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg nicht. Er will nun Partys kontrollieren.
taz: Herr Mildner-Spindler, Ihr Bezirk genießt gerade nicht den besten Ruf in Sachen Corona-Pandemie. Sitzen bei Ihnen tatsächlich die ganzen Superspreader?
Knut Mildner-Spindler: Das ist alles Quatsch. Natürlich haben wir in den Innenstadtbezirken eine andere Situation als in den Außenbezirken.
Um genau zu sein, ist das Infektionsgeschehen in Mitte, Neukölln und vor allem Friedrichshain-Kreuzberg drei- bis viermal so heftig wie in den Randbezirken. Woran liegt das?
Wir haben im Moment ein Infektionsgeschehen, das sich an bestimmten Konstellationen und Orten festmacht: zum einen private Feiern und Zusammenkünfte, zum anderen das Geschehen in den geöffneten Clubs und Bars. Das konzentriert sich auf die Altersgruppe der 20- bis 35-Jährigen, und in Friedrichshain-Kreuzberg, Wedding, Tiergarten und Nordneukölln lebt nun einmal eine große Anzahl junger, internationaler Menschen, die wie selbstverständlich zwischen europäischen Städten pendeln und in ihrem Freizeitverhalten überall dort unterwegs sind, wo das derzeit möglich ist. Diese Situation erklärt, warum wir hier mehr Infizierte haben.
(Linke) ist Stellvertretender Bezirksbürgermeister und Bezirksstadtrat für Gesundheit, Soziales, Arbeit und Bürgerdienste in Friedrichshain-Kreuzberg.
Aber auch die einschlägigen Feierorte sind ja vielfach in Ihrem Bezirk, nicht wahr?
Wir haben hier Orte, von denen wir wissen, dass es Probleme gibt. Aber auf der Liste möglicher Ansteckungsorte, die mir das Gesundheitsamt vorlegt, tauchen genauso Adressen in Treptow-Köpenick, Prenzlauer Berg oder Lichtenberg auf.
Was sind denn zum Beispiel solche Orte?
Auf die Menschen inBerlin könnten wegen der verschärften Corona-Lage laut Regierungschef Michael Müller neue Beschränkungen zukommen. Er gehe davon aus, „dass wir tatsächlich auch wieder Einschränkungen vornehmen müssen, bei diesen Feiern vor allen Dingen im öffentlichen Raum. Das wird man so nicht zulassen können, gegebenenfalls auch über Alkoholverbote [...]„, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag im ZDF-Morgenmagazin mit Blick auf die Senatssitzung kommenden Dienstag. Müller bekräftigte, der Senat werde zunächst „keine weiteren Lockerungen“ vornehmen, etwa für Veranstaltungen. Gegebenenfalls gebe es „wieder ein paar Rückschritte bei der Begegnungsmöglichkeit, was die Teilnehmerzahl anbelangt“.
Laut dem Lagebericht der Gesundheitsverwaltung vom Mittwochabend ist die Zahl der gemeldeten Corona-Fälle in der Hauptstadt innerhalb eines Tages um 199 gestiegen – der höchste Wert seit Wochen. Im Vergleich der Bundesländer weist Berlin mit einem Wert von 22,9 die meisten Infizierten pro 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen auf. Das geht aus Daten des Robert Koch-Instituts hervor. (dpa)
Die gebe ich natürlich nicht an die Presse weiter. Im Juni waren alle ganz spitz darauf zu erfahren, wo die Häuser sind, in denen viele Familien zusammenleben und sich angesteckt haben. Ich habe immer darauf verwiesen, dass wir zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Es wäre auch jetzt falsch, mit dem Finger draufzuzeigen und zu sagen: Der ist es gewesen.
Sie haben sich mit der Gesundheitssenatorin und Ihren Kollegen aus Mitte und Neukölln beraten. Was unternehmen sie jetzt?
Wir werden die bekannten Expositionsorte stärker kontrollieren. Uns liegen ausreichend Hinweise vor, dass die Regelungen der Infektionsschutzverordnung vielfach nicht eingehalten werden. Zum Beispiel werden keine Anwesenheitslisten geführt, obwohl das verpflichtend ist.
Es gab zum Ende der Sommerferien ja eher die Befürchtung, dass Schulen und Kitas zu Orten vermehrter Infektionen werden. Hat sich das bewahrheitet?
Das spielt nach unseren bisherigen Erfahrungen eine untergeordnete Rolle. Natürlich gibt es an der einen oder anderen Stelle Infektionen von Kindern, Lehrern, Erziehern und freiwilligen Hilfskräften. Es muss dann auch mal eine Lern- oder Kitagruppe vom Gesundheitsamt betreut werden. Aber das sind definitiv nicht die Hotspots, wo sich Infektionen massenhaft verbreiten.
Also zurück zu den Feiernden. Über wie viele Kontaktpersonen von Infizierten reden wir?
Das Prozedere ist ja in der Regel so: Wir haben jemandem, der sich krank fühlt und positiv getestet wurde. Und dann wird als möglicher Ansteckungsort eine private oder öffentliche, legale oder illegale Feier identifiziert. Und dann haben wir eine Liste von bis zu 300 Kontaktpersonen abzuarbeiten. Dass die Zahl der Kontakte eines einzigen Infizierten so hoch ist, das fordert die Gesundheitsämter jetzt besonders stark.
Ist die Arbeitsbelastung wieder so hoch wie zu Beginn der Pandemie?
Es ist nicht vergleichbar mit der Hochkrisenzeit März, April. Wir haben jetzt eingearbeitete Leute, die nicht mehr nach Antworten suchen müssen, was sie wie zu tun haben. Aber wir haben wesentlich mehr zu tun als im Sommer.
Sehen Sie diese Woche, in der die Corona-Warn-Ampel auf Doppel-Gelb wechselte, als Wendepunkt?
Es ist jedenfalls nicht zu erwarten, dass sich die Situation so schnell wieder ändert. Wenn die Kurve nicht wieder abgeflacht werden kann, wie es im Frühjahr gelungen ist, lässt sich schon prognostizieren, dass Berlin als Ganzes in den Bereich des kritischen Werts von 50 Infizierten pro Woche und 100.000 Einwohner kommen könnte. Wir als Bezirk sind da ja schon jetzt ganz nah dran. Wenn das so käme, wäre Berlin Risikogebiet.
Die Berliner Clubs sehen sich in der Debatte um steigende Coronazahlen zu Unrecht als Verursacher abgestempelt. „Da muss man differenzieren“, sagte Lutz Leichsenring vom Dachverband Clubcommission am Mittwoch. Das Clubleben findet ihm zufolge derzeit hauptsächlich in den Außenbereichen statt. Dort seien die Clubs die „striktesten Umsetzer“ der Hygeniemaßnahmen, sagte er. Sie seien angesichts des Aufgebots der Ordnungsämter „ein bisschen sprachlos“ und sähen sich als „Sündenbock“. Clubs und ihre Besucher in drei Berliner Innenstadtbezirken müssen sich wegen der verschärften Coronalage auf Kontrollen einstellen. Leichsenring sagte, dass sich das Infektionsgeschehen hauptsächlich in den Innenbereichen abspiele. Private Feiern, illegale Raves, Bars und Restaurants seien etwas anderes als die Clubs. (dpa)
Bereiten Sie sich denn darauf vor?
Wenn es mit dem Infektionsgeschehen so weitergeht, wäre die Konsequenz, sich zu fragen: Beschränken wir die Größe privater Zusammenkünfte und Veranstaltungen sowie die Öffnungszeiten von Einrichtungen? Wir gucken da auch, wie andere Städte, etwa München, handeln.
Am Freitag soll es ein Treffen von Gastronomen und Bezirksvertretern geben zur Frage, wie die Gastronomie durch Herbst und Winter kommt …
Einer besorgten Gastronomin habe ich gerade geschrieben, dass sowohl ich als auch der Senat die Maßnahmen zur Eindämmung so mäßig wie möglich gestalten werden. Es geht darum, die wirklichen Entstehungsorte an der Wurzel zu packen und nicht die gesamte Gesellschaft in die Mitverantwortung zu nehmen.
Also Clubs und Privatfeiern und nicht die Restaurants?
Uns sind keine Infektionen nach dem Besuch von Restaurants bekannt. Das sind genauso wenig Hotspots wie Kitas und Schulen. Es ging los an den Party- und Feierorten und jetzt sind es wieder die Party- und Feierorte. Darauf werden wir reagieren müssen.
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