Gerichtsurteil zu Hartz IV: Sanktionen teils verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Kürzungen von mehr als 30 Prozent seien beim Arbeitslosengeld II nicht verhältnismäßig.
Die bisherige Regelung sieht drei Sanktionsstufen vor, wenn Hartz-IV-Empfänger etwa eine als zumutbar eingestufte Arbeit ablehnen. Zunächst wird der Regelsatz um 30 Prozent gekürzt, bei einer Wiederholung bereits um 60 Prozent. Bei jeder weiteren Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres entfällt das Arbeitslosengeld II komplett. Die Kürzungen gelten jeweils für drei Monate. Das Verfassungsgericht befasste sich nicht mit der Kürzung von 10 Prozent der Bezüge, die bei versäumten Terminen droht. Dies ist die mit Abstand häufigste Sanktion.
Die Verfassungsrichter halten es im derzeitigen System lediglich für möglich, die Leistung um 30 Prozent zu kürzen. Als unvereinbar mit dem Grundgesetz stuften sie es allerdings auch in dieser Sanktionsstufe ein, dass die Leistung selbst bei Härtefällen zwingend verringert werden muss. Die starre Dauer von drei Monaten bei jeder Kürzung ist demnach ebenfalls nicht haltbar. Eine Kürzung um 60 Prozent oder gar ein vollständiger Wegfall des Arbeitslosengelds II sind dem Urteil zufolge gar nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Auslöser für das Verfahren in Karlsruhe war die Klage eines Arbeitslosen aus Thüringen, dem Leistungen gekürzt worden waren. Das Sozialgericht Gotha rief in dem Rechtsstreit das höchste deutsche Gericht an, weil es die Vorschriften für verfassungswidrig hielt. Es war der Ansicht, dass mit der vom Gesetzgeber gewählten Höhe des Regelsatzes bereits das vom Grundgesetz garantierte Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum festgelegt wurde und dies nicht unterschritten werden darf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin