Geheimdienstbefugnisse in Hamburg: VS darf Kinder überwachen

Die Hamburger Bürgerschaft weitet die Befugnisse des Verfassungsschutzes aus. Der Chef des Landesamts fürchtet eine Eskalation linker Gewalt.

Kinder bei einem Taekwondo-Kurs

Unschuldige Kinder im Teakwon-Do-Kurs oder zukünftige linke Gefährder*innen? Foto: imago

HAMBURG taz | Wenige Wochen vor der Hamburger Bürgerschaftswahl hat das Parlament der Hansestadt am Mittwoch ein neues Verfassungsschutzgesetz verabschiedet, das die Befugnisse der Behörde ausweitet. Künftig darf der Verfassungsschutz (VS) Daten von Minderjährigen ab zwölf Jahren erheben. Unter bestimmten Bedingungen darf er seine Informationen auch an öffentliche Institutionen wie Schulen oder nichtöffentliche wie Sportvereine weitergeben.

Der Chef des Hamburger Landesamts für Verfassungsschutz, Torsten Voß, warnt derweil vor einer „neuen Eskalationsstufe“ linker Gewalt. „Der Linksextremismus wird zunehmend militant“, sagte er der Zeit in einem Interview. „Er ist auf dem Weg, die Schwelle des Linksterrorismus zu erreichen.“ Gegenüber der Welt am Sonntag sagte Voß, linke Gewalt richte sich neuerdings „nicht mehr nur gegen Sachen wie Wohnungen, Parteibüros oder Fahrzeuge, sondern mittlerweile auch direkt gegen das Leben und die Gesundheit von Menschen.“

Anlass zu dieser Einschätzung sind für den VS-Landeschef unter anderem die Ereignisse der Silvesternacht in Leipzig-Connewitz, aber auch ein Angriff auf das Auto von Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) sowie der Prozess gegen die „Drei von der Parkbank“. Im Dezember hatten Unbekannte Steine und Farbbeutel auf das Auto des Innensenators geworfen, als er morgens seinen Sohn in die Kita brachte.

36 linke Anschläge in zwei Jahren

Den „Drei von der Parkbank“ wirft die Staatsanwaltschaft vor, sich am zweiten Jahrestag des G20-Gipfels in einem Park in Hamburg-Eimsbüttel getroffen zu haben, um Brandanschläge zu verüben. Er­mitt­le­r*in­nen fanden bei der Festnahme Brandsätze und einen Zettel mit Adressen, die sie als Anschlagsziele werten – darunter auch das Wohnhaus der Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeld (SPD).

Torsten Voß, VS-Landeschef

„Der Linksextremismus ist an der Schwelle, den Linksterrorismus zu erreichen“

Voß stützt seine Befürchtung außerdem auf eine Zahl: Das Landeskriminalamt ordnet 36 Farb-, Stein, und Brandanschläge der vergangenen beiden Jahre der linken Szene zu. 36 Taten in zwei Jahren – das klingt nicht besonders viel für eine linke Szene in einer Stadt wie Hamburg. Der Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes will das gegenüber der taz nicht kommentieren.

Nach Angaben der Polizei handelt es sich bei den 36 Taten um solche, zu denen Bekennerschreiben vorliegen, darunter ein Farbanschlag auf das Amtsgericht in Solidarität mit den Angeklagten des G20-Elb­chaus­see-­Prozesses sowie das In­brand­setzen eines Autos für die „Parkbank-Crew“. Die Gesamtzahl aller linksmotivierten Straftaten des vergangenen Jahres hat die Polizei noch nicht erhoben. Im Februar soll die Auswertung vorliegen.

Der Hamburger Staatsschutz führt derweil drei linksextreme Ge­fähr­de­r*in­nen, bundesweit sind es fünf. Zum Vergleich: Als rechtsextreme Gefährder*innen führt das Bundeskriminalamt derzeit 51 Personen, das Hamburger Landeskriminalamt null.

Die Äußerungen des VS-Chefs seien „hanebüchen“

Die Hamburger Linksfraktion stimmte am Mittwoch als einzige Fraktion gegen die Novelle des Verfassungsschutzgesetzes. Die Linkenabgeordnete Christiane Schneider nennt Voß’ Äußerungen zum „Linksterrorismus“ „hanebüchen“, vor allem im Vergleich mit der bundesweiten Bedrohung durch rechten Terror.

Dahinter stehe Voß’ Machtstreben: „Er will den Verfassungsschutz zu einer einflussreichen und meinungsbeherrschenden Behörde ausbauen“, vermutet Schneider. Voß’ Forderung nach „voller Rückendeckung“ für die Sicherheitsbehörden vonseiten der Politik und Gesellschaft findet sie „übergriffig“. „Wir stehen nicht bedingungslos hinter der Polizei und dem Verfassungsschutz“, sagt Schneider, „sondern hinter dem Gesetz.“

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