Friedrich Schorlemmer ist gestorben: Zweiter Luther in der Lutherstadt

Der ehemalige Studentenpfarrer ist am Montag mit 80 Jahren gestorben. Er war in der Friedens-, Menschenrechts- und Umweltbewegung der DDR aktiv.

Ein alter Mann mit Brille schaut ernsthaft in die Kamera.

Friedrich Schorlemmer, Theologe und Bürgerrechtler, bei „Maybrit Illner“ 2014 Foto: Karlheinz Schindler/dpa

Seit Montag müssen wir endgültig bedauern, dass ein Friedrich Schorlemmer die Landtagswahlen in Ostdeutschland nicht mehr kommentieren kann. Er hätte gewiss Gültigeres gesagt als viele andere, die nach den hohen Wahlerfolgen für die AfD sich in hilflosen Erklärungen versuchten. Seit zwei Jahren mit Parkinson und Demenz kämpfend, endete sein irdisches Leben nach 80 Jahren in einem Berliner Pflegeheim.

Der unbestechliche Blick des evangelischen Pfarrers knickte vor keinem der beiden Systeme ab, in denen er lebte. „Zwischen allen Stühlen sitze ich fest auf der Erde“, könnte man ein Gedicht des DDR-Autors Peter Hacks bemühen. Schorlemmers Boden und Maß aller Dinge blieben die Versöhnungs- und Liebesbotschaften Jesu, festgehalten im Neuen Testament. Was eine Vereinnahmung durch jegliche Staatsform ausschloss, auch die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

Damit unterschied er sich vom späteren Bundespräsidenten Joachim Gauck, der sich ja unmittelbar nach der Wende den Ruf des „Pfarrers Gnadenlos“ erwarb. Schorlemmer hingegen trat 1999 für einen juristischen Schlussstrich unter die Vergeltung von DDR-Unrecht ein.

Beiden gemeinsam war der ganz auf die Macht des Wortes vertrauende Stil ihres Verkündigungsdienstes, analytische Schärfe, systematisches Denken, Sprachreichtum und rhetorische Brillanz, lutherischen Kanzeldonner inklusive. Friedrich Schorlemmer ist oft mit Luther verglichen worden, über den er ein Buch schrieb. Geboren im viel nördlicher gelegenen Wittenberge, galt er vielen Zeitgenossen als eine Symbolfigur für seinen Hauptwirkungsort, der Lutherstadt Wittenberg. Und wie Luther war Schorlemmer ein Reformator wider Willen, weil die Kollision seiner christlich-humanistischen Grundüberzeugung insbesondere mit dem kollektivistisch-militanten DDR-Sozialismus revolutionär wirken musste.

Für immer ist mit seinem Namen das legendäre symbolische Umschmieden eines Schwertes zur Pflugschar beim Wittenberger Kirchentag 1983 verbunden. Da war der ehemalige Studentenpfarrer, Dozent am Evangelischen Predigerseminar und Prediger an der Wittenberger Schlosskirche, längst eine bekannte Figur der Friedens-, Menschenrechts- und Umweltbewegung in der DDR. Von 1992 bis 2007 leitete er dann die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt.

Die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 2009 änderte nichts daran, dass Schorlemmer auch auf die Kehrseiten des 1989 von seinen Mitbürgern so dringend herbeigesehnten westlichen Systems hinwies. „Eine Gesellschaft von Egoisten, getrieben von der Sucht nach Mehr, kann nicht überleben“, heißt es beispielsweise in seinem Buch „Die Gier und das Glück“.

1997 unterschrieb er die „Erfurter Erklärung“, die auf mehr Gemeinwohl im Sinne des Artikels 14 Grundgesetz zielte. Und mit dem Linken-Politiker Gregor Gysi plauderte er in „Was bleiben wird“ über das misslungene DDR-Experiment einer solidarisch-gerechten Gesellschaft. Es erscheint rückblickend nur folgerichtig, dass Schorlemmer im Herbst 1989 vom anfangs favorisierten CDU-nahen Demokratischen Aufbruch bald zur SPD wechselte. Parteisoldatentum und öffentliche Ämter aber widersprachen seinem freien und agilen Naturell. Die Wittenberger hätten ihn gern als Bürgermeister gesehen. Immerhin führte er bis 1994 die SPD-Fraktion im Stadtrat.

Journalisten schwärmen von Interviews mit Schorlemmer, wenn er sich, hingerissen vom eigenen Esprit, in Höhenflüge steigerte. Was ihn in den zahllosen Talkshows auch manchmal etwas eitel erscheinen ließ. Aber seine Talente stellte er stets in den Dienst einer heute immer mehr in die Defensive geratenden höheren Sache.

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