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Friedensabkommen mit den TalibanVerrat an der Demokratie

Gastkommentar von Mortaza Rahimi

Der US-Friedensvertrag zwischen den USA und den Taliban verrät alles, was wir Afghanen in den letzten Jahren mühsam errungen haben.

Besonders afghanische Frauen müssten durch das Abkommen um ihre errungenen Rechte bangen Foto: Rahmat Gul/ap

E s gab eine Zeit, in der das einzige Fußballstadion in Kabul ein Ort zum Erschießen und Steinigen von Frauen geworden war. Es kam auch die Zeit, in der Sängerinnen in diesem Stadion vor Tausenden von Zuschauern ohne Angst und mit Stolz getanzt und gesungen haben.

Eine dunkle Zeit der Taliban-Herrschaft, in der die Frauen keine Rechte hatten, endete mit der Niederlage der Taliban und dem Einmarsch internationaler Truppen in Afghanistan. Die letzten neunzehn Jahre nennen wir Afghanen das goldene Zeitalter Afghanistans. Aber dieses goldene Zeitalter scheint heute, mit der Unterzeichnung des US-Abkommens mit den Taliban zu Ende.

Seit Oktober 2018 fanden elf Treffen zwischen US-Diplomaten und Taliban-Vertretern statt, um ein Friedensabkommen zu erreichen. Am Freitag den 21. Februar erfuhren wir Afghanen dann zeitgleich mit der restlichen Welt durch einen Tweet des US-Außenministers Mike Pompeo und ein Statement der Taliban, dass man eine endgültige Einigung zum Friedensabkommen erzielt habe. Die Übersetzung des Statements der Taliban lautet wortwörtlich: „Nach langwierigen Verhandlungen zwischen dem Islamischen Emirat Afghanistan und den Vereinigten Staaten von Amerika einigten sich beide Parteien darauf, das endgültige Abkommen in Anwesenheit internationaler Beobachter am 29. Februar 2019 zu unterzeichnen.“

Für uns Afghanen war das nicht nur überraschend, sondern auch besorgniserregend. Überraschend, weil wir niemals erwartet haben, dass sich die USA mit den islamistischen Terroristen abfinden. Und besorgniserregend, weil noch niemand, selbst nicht der Chef der afghanischen Regierung, den genauen Inhalt dieses Abkommens kennt. Bei keinem der elf voraus gegangenen Treffen war auch nur ein Vertreter der afghanischen Regierung oder der Zivilgesellschaft anwesend.

Mortaza Rahimi

Jahrgang 1991, musste seine Heimat Afghanistan Ende 2011 wegen Todesdrohungen der Taliban verlassen und lebt heute in Berlin. Er ist Journalist, Student und Aktivist.

Es ist jedoch klar, dass die USA alle demokratischen Werte und Errungenschaften, die das Land in den letzten zwei Jahrzehnten erreicht hat, über Bord geworfen haben, um eine Einigung mit den Terroristen zu erzielen. Weil die Taliban als eine wilde Terrorgruppe nichts über demokratische Werte, Frauenrechte und viele andere menschliche Werte weiß und wissen will. Ohne Verrat an der Demokratie hätte diese Einigung nie zustande kommen können.

Es wäre schön, wenn Afghanistan einen echten und dauerhaften Frieden erreichen könnte. Doch dieser Traum aller Afghanen ist mit diesem Friedensabkommen niemals zu erreichen. Weil die Taliban mit ihren hartnäckig regressiven Regeln niemals akzeptieren können, dass eine Frau ohne Kopftuch vor tausenden von Männern singt und tanzt. Für sie ist es schon eine Sünde, wenn eine Frau ohne Schleier und männliche Begleitung das Haus verlässt. Mit dem neuen Afghanistan, in dem die Frauen frei sind, mit oder ohne Kopftuch raus gehen, studieren und arbeiten, sind und bleiben die Taliban unvereinbar und unversöhnbar.

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24 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Auch mit dem Verrat ist es so eine Sache. Man kann Dinge und Personen verraten. Voraussetzung: sie sollten in der Realität existieren.

    Verrat an demokratischen Ideen sind möglich - und können Tag für Tag besichtigt werden.

    Eine Demokratie hingegen, wie sie einst vor vielen Jahren in der Antike entstand: wo soll die heute sein?

    Das große Bermudadreieck hat neulich gerülpst. Ob einer weiß weswegen?

  • Ein Abkommen mit den Taliban ist Verrat aber die Patenschaft für eine Million Dschihadisten aus Idlib ist kein Verbrechen sondern Gutmenschenpflicht? Warum?

  • Goldenes Zeitalter?



    AfD & Co. freuen sich über diese Worte sehr: Dann kann man ja tatsächlich massenweise nach Afghanistan abschieben...

  • die Anti- Taliban Kräfte in Afghanistan müssen dringend befähigt werden gg die Taliban zu bestehen, wie wär's mit ein paar Waffenlieferungen an die, statt an Saudi- Arabien? Klar, auf sehr lange Kreditlinie.

    • @ingrid werner:

      Die Regierung bekommt doch Waffen. Und der Westen bildet die Armee aus. Nützt aber nichts.

  • Hmm, aus diesem Goldenen Zeitalter fliehen lauter Leute! Vielleicht ist doch nicht alles Gold was glänzt?



    Frieden kann man nur mit Feinden schließen, und es überrascht, dass die USA das begriffen haben...

  • 6G
    65940 (Profil gelöscht)

    Jetzt ist es zu spät. Das Land ist zerstört. Aber es wird auch nicht daraus gelernt, siehe Trump und seine Faschisten. Darum sieht es düster aus, für alle Menschen, die sich nicht wehren können.

    • @65940 (Profil gelöscht):

      Ich habe Ihren Kommentar nicht verstanden.

      Die Taliban war schon da, bevor die Amerikaner kamen.

      Wenn Trump und die US-Armee für Sie sowieso nur Faschisten sind, müssten Sie sich doch freuen, wenn diese Faschisten endlich Afghanistan verlassen.

  • Das sind gruselige Aussichten. Ich befürchte, es wird so werden, wie nach dem Rückzug der Sowjetunion aus Afghanistan.

  • Times Of Change

    Zitat: „Es gab eine Zeit, in der das einzige Fußballstadion in Kabul ein Ort zum Erschießen und Steinigen von Frauen geworden war. Es kam auch die Zeit, in der Sängerinnen in diesem Stadion vor Tausenden von Zuschauern ohne Angst und mit Stolz getanzt und gesungen haben.“

    Das führt zur Frage, wozu dieses Stadion vor dem Regime-Change 1992 gedient hatte, als die von den USA, Saudi-Arabien und Pakistan gesponserten islamistischen Mudschahedin das Land eroberten und damit den Boden für die Taliban bereiteten...

    • @Reinhardt Gutsche:

      Es stellt sich auch die Frage, warum ein kommunistischer Putsch die blockfreie Regierung Daud 1978 beseitigen und die Sowjetunion 1979 einmarschieren musste. Dies hat den Dchihad hervorgerufen und befeuert. Und die Frauenemanzipation hatte schon vorher der prowestliche Mohammed Sahir Schah durchgesetzt. So was wird gern vergessen...

      • @Hans aus Jena:

        Djihad als legitimer Widerstand

        Zitat @HANS AUS JENA: „Dies hat den Dchihad hervorgerufen und befeuert.“

        Ich verstehe: Der Djihad als legitimer Widerstand gegen den Kommunismus. O.K. Das hatte Brzezinski 1979 auch so gesehen, als er Jimmy Carter einredete, den Russen in Afghanistan ihr Vietnam zu bescheren. Aber dann müßte man doch die Taliban und Al Quaida genau so liebhaben wie damals die Freiheitskämpfer Saigons unter Präsident Thiệu und später die Boat-People?

        • @Reinhardt Gutsche:

          Sie woillen muich missverstehen ;-). Ich habe den Dschihad nicht als "legitimen Widerstand" verteidigt, sondern lediglich Ursache und Wirkung dargestellt. Das imperialistische Machtstreben der Sowjetunion hat eben Folgen gehabt, leider eben hier in der Hinsicht, dass sich der reaktionärste Teil aktivieren konnte (und, ja die USA haben dabei auch keine gute Rolle gespielt), der dann nicht nur die kommunistische Regierung sondern die ganze Freiheit abschaffte. Aber es scheint schwer für Sie zu begreifen, dass nicht immer nur der Westen allein Schuld an negativen politischen und geschichtlichen Entwicklungen trägt.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Stellen Sie doch nicht solche ketzerischen Fragen :-)

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        So sehr sind Sie gegen die USA, dass Sie sich, in diesem Kontext, bei dem es unmenschliche Hinrichtungen geht, noch ein Lächeln abgewinnen können.

        • @Jim Hawkins:

          Das lächeln gilt allen, die die Welt reichlich naiv sehen.

          Die Frage war übrigens, wozu das Stadion vor den Hinrichtungen gedient hat.

          "Das führt zur Frage, wozu dieses Stadion vor dem Regime-Change 1992 gedient hatte..."

        • @Jim Hawkins:

          Meinen Sie mit den 'unmenschlichen Hinrichtungen' die Drohnenmorde die die Toten durch den Abwurf von 'MOAB'

          • @Oops:

            Versuchen Sie es noch einmal.

            Sehen Sie, ich habe mit meinem Post auf einen anderen reagiert. Dieser hat wiederum auf einen reagiert.

            Finden Sie die Spur?

            Nein? Dann bleiben Sie einfach bei dem, was Sie geschrieben haben.

  • Ja. Es ist eine schlechte Nachricht, wenn man gezwungen ist, mit den Taliban ein Abkommen zu schließen.

    Aber leider gibt es die Demokratie, von der der Autor schreibt, nicht. Afghanistan hat z.Z. 3 Präsidenten, weil man sich auch Monate nach der Wahl nicht einigen kann, wer gewonnen hat.

    Die in anderen Teilen der Welt selbstverständlichen Freiheiten für Frauen gibt es leider auch nur in Kabul. Jedes Jahr werden die Gebiete größer, die von den Taliban beherrscht werden. Ohne starken Rückhalt in großen Teilen der Bevölkerung wäre das nicht möglich. Und alle Versuche, die Taliban militärisch zu schlagen, sind letztlich gescheitert.

    Es gibt also nur 2 Alternativen. Den Krieg noch viele Jahre hinschleppen oder die bittere Pille schlucken, sich zu einigen.

    Für die Mehrheit ist ein Ende des Krieges nach so vielen Jahrzehnten evtl. doch die bessere von zwei schlechten Möglichkeiten.

    Von D aus kann man natürlich bequem zum Kampf für Prinzipien aufrufen. Für die Menschen im Kriegsgebiet stellt sich das etwas anders dar.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Wenn man in A leben würde, dann würde man das anders sehen. Geht auch nicht um abstrakte Prinzipien sondern nur um ein menschenwürdiges Leben.

      • @Surfbosi:

        Kleine Ergänzung aus diesem Spiegel Artikel:

        www.spiegel.de/pol...-905a-980028450cfe

        "Die Zahl der seit 2009 verletzten oder getöteten Zivilisten gibt die Uno mit mehr als 100.000 an. Die Verluste der afghanischen Sicherheitskräfte bezifferte Präsident Aschraf Ghani im Januar 2019 nur für seine Amtszeit auf mehr als 45.000. "

        So sieht "menschenwürdiges Leben" in der Praxis aus.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Das "menschenwürdige Leben" unter den Taliban ist ebenfalls hinlänglich bekannt.



          Friedhofsruhe oder fortgesetzter Bürgerkrieg?



          Die Frage ist jedenfalls schwieriger zu beantworten als Sie es hier darstellen. Und vermutlich ist die Antwort für AfghanInnen u.a. abhängig von Geschlecht, sexueller Identität, Wohnort etc.

          • @Flipper:

            Habe ich es einfach gemacht? Ich denke nicht. Aber wenn eine Sache (Krieg) offensichtlich nicht funktioniert, muss man über Alternativen nachdenken.

            Übrigens. Tote sind nicht frei. Sie sind einfach nur tot.

  • "Es ist jedoch klar, dass die USA alle demokratischen Werte und Errungenschaften, die das Land in den letzten zwei Jahrzehnten erreicht hat, über Bord geworfen haben, um eine Einigung mit den Terroristen zu erzielen. "

    Es geht und ging den USA um Gesichtswahrung nach Innen, nicht um das Wohl der Afghanen.



    Wenn die Truppen raus sind, dann sind die Afghanen aus den Augen, aus dem Sinn.



    America first.