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Forscherin zu Selbstbestimmungsgesetz„Das ist mein Geschlecht“

Die Bundesregierung legt die Eckpunkte für das Selbstbestimmungsgesetz vor. Wissenschaftlerin Naina Levitan hofft auf den großen Wurf.

Die Demonstrationen vor dem Reichstag waren nicht umsonst Foto: M.Golejewski/Adora Press
Shoko Bethke
Interview von Shoko Bethke

taz: Frau Levitan, am Donnerstag wollen das Justiz- und Familienministerium Eckpunkte für das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz vorlegen, mit dem jeder Mensch sein Geschlecht selbst definieren kann. Wie finden Sie das?

Naina Levitan: Für viele Betroffene ist dies ein wichtiger Schritt. Zunächst geht es bei dem Selbstbestimmunsgesetz erstmal um das Recht eines Individuums, selber bestimmen zu können, welchen Namen es tragen möchte und welchem Geschlecht es sich zugehörig fühlt. Dann können Dokumente wie der Personalausweis angepasst werden. Es ist erstmal ein rechtlicher Schritt und hat wenig mit psychologischer oder medizinischer Begleitung zu tun.

Für wen ist das Gesetz sinnvoll?

Es gibt Menschen, auch Kinder, die unter einer sogenannten Gender Dysphorie leiden. Dysphorie beschreibt den Leidfaktor, wenn es eine Diskrepanz zwischen dem erlebten und dem von Außen zugeschriebenen Geschlecht gibt. Es gibt auch Menschen, die diese Diskrepanz erleben, ohne dass es mit einem so heftigen Leid einhergeht. Dann spricht man von einer Gender Inkongruenz.

Wie drückt sich so ein Leid aus?

Zum einen sind es körperliche Leiden. Betroffene, die an Gender Dysphorie leiden, können sich im eigenen Körper sehr unwohl fühlen. Während der Pubertät kann es für Menschen mit Gender Dysphorie sehr heftig werden, da sie in einem sehr kurzen Zeitraum große körperliche Veränderungen durchlaufen. Manche Jugendliche beschreiben dann, dass es sich anfühle, als würde der eigene Körper einen hintergehen. Je nach Hormonen eben Stimmbruch oder Brustwachstum.

Würde das Selbstbestimmungsgesetz die Lage der Betroffenen ändern?

Sicherlich. Durch die Reduzierung der bürokratischen Hürden können Personen einfacher zum Amt gehen und sagen: das ist mein Geschlecht und das ist mein Vorname.

Viele Menschen, die das Gesetz kritisch sehen, äußern vor allem die Sorge, dass es für kriminelle Zwecke missbraucht werden könnte. Besteht eine solche Gefahr?

Ich persönlich teile diese Angst nicht, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen kann ich mir da kein realistisches Szenario ausmalen. Ich glaube, diese Sorge entsteht, wenn man kein Verständnis dafür hat, von gesellschaftlichen Geschlechternormen abzuweichen. Sich freiwillig so vulnerabel zu machen, ist sicherlich keine leichte Entscheidung.

Kommen wir zurück zu den Betroffenen. Wie viele Menschen betrifft Gender Dysphorie?

Das ist schwer zu sagen. Erstmal wissen wir gar nicht, wie viele Menschen überhaupt von einer Gender Inkongruenz betroffen sind, da sie nicht zwangsläufig statistisch erfasst werden. Bis 2011 war es in Deutschland noch verpflichtend, eine Sterilisation vorzunehmen, um den Personenstand ändern zu können.

Wann nehmen Kinder überhaupt das Geschlecht wahr?

Auch hier gibt es individuelle Unterschiede. Grundsätzlich entsteht im Alter von zwei Jahren das Bewusstsein, dass es Geschlechter gibt. Im Alter von drei können sich viele Kinder zuversichtlich einem Geschlecht zuordnen.

Bild: privat
Im Interview: Naina Levitan

arbeitet als Kinder- und Jugendpsychiaterin in Berlin. Sie promovierte an der Universität Hamburg zu dem Thema Gender Inkongruenz bei Jugendlichen.

In der Pubertät sind viele Jugendliche so schon unzufrieden mit ihrem Körper, außerdem sind sie trotzig oder wechseln ständig ihre Meinung. Ist es wirklich zielführend, dass man ihnen im Alter von 14 Jahren die Möglichkeit auf Selbstbestimmung in Bezug auf Geschlecht gibt?

Wie bei allen Themen ist es wichtig, Kinder und Jugendliche nicht abzuwerten oder in ihrer Wahrnehmung zu diskreditieren. Man muss ihnen helfen, Entwicklungen zu durchlaufen und sich dem nicht resistent gegenüberzustellen. Die aktuelle Datenlage weist klar darauf hin, dass im Kindesalter Fluidität und Ergebnisoffenheit besonders wichtig sind – ebenso wie Selbstwahrnehmung und Förderung des Selbstvertrauens.

Was macht es mit Eltern, wenn das eigene Kind Gender Dysphorie äußert?

Für Eltern ist es schwer, wenn Kinder Leid äußern. Manchen Eltern fällt es leichter, Kinder in ihren Wünschen Raum zu geben. Andere Eltern machen sich viele Sorgen, was so etwas für das eigene Kind bedeuten kann. Hier ist es Aufgabe von Expert:innen, Ruhe reinzubringen und zu erklären, dass das prinzipiell erstmal keine problematische Entwicklung ist.

Was passiert, wenn die Eltern ihre Kinder nicht unterstützen?

Es gibt Studien, die belegen, dass mangelnde Unterstützung eher mit psychosozialen Problemen verbunden ist. Depressionen, Angststörungen oder auch selbstverletzendes Verhalten wie Selbstverstümmelung und Suizid.

Also, dass sich trans Mädchen ihren Penis abschneiden?

Solche Fälle hat es durchaus gegeben. Aber das sind Extremfälle. Suizidgedanken und Versuche sind wiederum gar nicht so selten, insbesondere bei Jugendlichen, die keine Unterstützung erfahren. Auch deshalb ist es wichtig, diese Kinder und Jugendlichen nicht im Stich zu lassen. Viele erwachsene trans Menschen äußern, dass sie bereits in der Pubertät von ihrer trans Identität wussten. Deswegen wäre es gut, dass Kinder nicht die körperlichen Veränderungen durchmachen müssen. Das sind Dinge, wo wir vorab eingreifen könnten.

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9 Kommentare

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  • So ein Gesetz ist zumindest grundsätzlich offen für Missbrauch, solange es geschlechtsspezifische Rechte und/oder Pflichten gibt. denn dieser Missbrauch wäre eben nicht kriminell sondern völlig legal. Letztlich ist ja seine Prämisse, dass man Menschen ihr Geschlecht wählen lassen muss, OHNE die Motivation zu hinterfragen.

    • @Normalo:

      Spätestens wenn die Wehrpflicht für Männer wieder aktiviert wird (mittlerweile durchaus realistisch), wird es spannend...

  • An dieser Stelle rufe ich ein Interview mit einem anderen Psychiater in Erinnerung, der die geplante Änderung ziemlich anders beurteilt. taz.de/Jugendpsych...entitaet/!5845336/

  • Medial überrepräsentiert.



    Bedenkt man dass die Presse sich für rund 1,5 Millionen Rollstuhlfahrer rein gar nicht interessiert, obwohl deren Benachteiligungen täglich und überall anzutreffen sind, finde ich den medialen Hype um Selbstbestimmung und Gendern maßlos überrepräsentiert.



    Wichtig: Ich kritisiere nur die einseitige Presse, nicht das selbstverständliche Recht der geschlechtlichen Selbstbestimmung!

    • @Rudi Hamm:

      Achso? Was hat dann Gendern hier verloren?

  • Die in der vergangenen Legislaturperiode von FDP und Grünen eingebrachten Entwürfe eines Selbstbestimmungsgesetzes machten weder eine Geschlechtsinkongruenz noch eine Gender-Dysphorie zur Voraussetzung einer Änderung des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags. Nicht einmal die Angabe, trans zu sein bzw. einem bestimmten Geschlecht anzugehören, sollte nach den Gesetzentwürfen Voraussetzung einer Änderung des Geschlechtseintrags sein. Einzige Voraussetzung sollte der Antrag sein. Eine Möglichkeit der Ablehnung eines Antrags gab es nach diesen Gesetzentwürfen nicht, denn wenn der Anspruch auf Änderung des Geschlechtseintrags nicht von Voraussetzungen abhängig ist, sind die Behörden dazu verpflichtet, den Eintrag in jedem Fall antragsgemäß vorzunehmen. Das hat zur Folge, dass nach den Gesetzentwürfen jede Person jedes Geschlecht eintragen lassen kann. Es gibt in diesem Zusammenhang auch keine "falschen" Angaben und dementsprechend auch keinen "Missbrauch", da man bei dem Antrag überhaupt keine Angaben dazu machen muss, weswegen man sie stellt.

    Links zu den genannten Gesetzentwürfen:



    dserver.bundestag....19/197/1919755.pdf



    dserver.bundestag....19/200/1920048.pdf

    • @Budzylein:

      Ja, und? Ist deshalb in den Ländern die SelfID schon eingeführt haben die Welt untergegangen oder ist das waa sie hier schreiben doch wieder nur eine weitere paranoide Verschwörungsschwurbelerzählung vom nahen Untergang?

      • @schnarchnase:

        Das, was ich hier schreibe, ist eine sachliche Darstellung des Inhalts der Gesetzentwürfe von FDP und Grünen aus der letzten Legislaturperiode. Wenn Sie an meinen Aussagen etwas für falsch halten, schreiben Sie es doch einfach. Eine "paranoide Verschwörungsschwurbelerzählung vom nahen Untergang" steht in meinem Kommentar nicht einmal andeutungsweise. Gesetzentwürfe, die in den Bundestag eingebracht werden, sind keine Verschwörung. Und die Welt wird durch eine voraussetzungslose Wählbarkeit des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags nicht untergehen. Ohne eine solche ist sie aber auch nicht untergegangen.

    • @Budzylein:

      Solch ein Gesetz gibt es in anderen EU Ländern bereits. Hat dort bisher keine Problemem verursacht. Best Practice! Also völlig okay!