Flucht übers Mittelmeer: Die paar Leichen am Strand
In Deutschland demonstrieren Hunderttausende gegen rechtsextreme Deportationsfantasien. Zeitgleich stranden Leichen vor Luxushotels in der Türkei.
D ie Meldungen häufen sich dieser Tage in den türkischen Medien: Zuerst waren es drei Leichen an Strandabschnitten von Luxushotels in Antalya. Dann kamen weitere im benachbarten Manavgat und Side dazu. Am Montag wurden auch noch zerstückelte Leichen weiter westlich im Bezirk Muğla gefunden. In sechs Tagen sind es nun neun Leichen.
Nach erstem Rätselraten über die Herkunft der Toten haben türkische Forensiker jetzt anhand der Kleidung festgestellt: Bei den Toten handelt es sich wohl – mit einer Ausnahme – um Frauen und Männer, die ursprünglich aus Syrien gekommen sind. Vermutlich Geflüchtete. Und dann äußerte sich auch endlich der libanesische Botschafter in Ankara und sagte den türkischen Zeitungen, dass am 11. Dezember an der libanesischen Küste ein Flüchtlingsboot mit rund 90 Leuten abgelegt habe, zu dem wenig später der Kontakt abgerissen sei. Wind und Strömung der vergangenen Woche sprächen dafür, dass nun, einen Monat später, die Überreste der ertrunkenen Flüchtlinge an die türkische Küste gespült werden. Es können also noch mehr werden.
Bisher war es vor allem Plastik und anderer Wohlstandsmüll, der die Strände der Luxushotels verunreinigte. Jetzt werden menschliche Überreste angespült. Flüchtlinge aus Syrien, im Jahr 2015 in Deutschland noch willkommen geheißen. Grund dafür ist auch die europäische Flüchtlingspolitik. Das sei ja wohl übertrieben, wird es nun in Europa heißen, das will doch niemand.
Im Gegenteil, der Sinn der europäischen Flüchtlingspolitik sei es doch, den Schleusern das Handwerk zu legen. Bei der Premiere des „Caren Miosga“-Sonntagabend-Talks erwähnte Oppositionsführer Friedrich Merz in einem Nebensatz, dass Dänemark mit seiner vorbildlichen Abschottungspolitik auch SyrerInnen wieder abschieben würde. Und auch die AfD betont, der Krieg sei ja vorbei.
Hoffen vor der Urlaubssaison
Dass in Syrien nach wie vor bürgerkriegsähnliche Verhältnisse herrschen und das zerstörte Land seine Bewohner längst nicht mehr ernähren kann, interessiert kaum noch jemanden. Muss man die Leichen vom Strand eben wegschaffen und darauf hoffen, dass, wenn die Urlaubssaison wieder beginnt, keine neuen Leichen angeschwemmt werden.
Welche Konsequenzen der technokratisch-kalte Diskurs über die effiziente Begrenzung der „illegalen Migration“ hat, berührt kaum noch jemanden in Europa.
Seit zwei Wochen wird in Deutschland nun glücklicherweise massenhaft gegen die AfD und die allgemeine Rechtsentwicklung demonstriert. Von so vielen Menschen, dass die Demos abgebrochen werden. Der Grund dafür ist eine Veröffentlichung über ein Treffen verschiedener Rechtsradikaler in Potsdam, wo im Stile der Wannseekonferenz über die Deportation von Millionen Menschen, die den arischen Weißen nicht passen, verhandelt wurde.
Das ist gut und unendlich wichtig. Viele Menschen sind aufgerüttelt und endlich stehen sie auf gegen die rechtsradikalen Abschiebefantasien einer gefährlichen Minderheit. Hoffentlich entsteht daraus eine echte zivilgesellschaftliche Bewegung, die dem Höhenflug der AfD bei den bevorstehenden Wahlen ein Ende bereitet.
Ganz toll wäre es, wenn diese zivilgesellschaftliche demokratische Bewegung sich auch noch daran erinnert, dass es außer den von Rechtsradikalen bedrohten Menschen in Europa auch außerhalb Europas, von den Kriegsgebieten im Nahen Osten bis nach Afghanistan, nach wie vor viele Menschen gibt, die unbedingt unsere Hilfe brauchen, um nicht als Leichen an den Stränden von Luxushotels zu landen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen