Feministische Proteste in Iran: So viel mehr als das Kopftuch
Rechte instrumentalisieren die Proteste in Iran, Linke zögern mit Solidarität. Ein Vorabdruck von Gilda Sahebis Buch „Unser Schwert ist Liebe“.
Die Proteste in Iran, die brennenden Kopftücher, der Kampf gegen die Islamische Republik – all das ist für manche Menschen im Westen schwer zu verdauen. Nicht, weil sie grundsätzlich gegen feministische Kämpfe wären, sondern weil die Proteste in Iran liebgewonnene Haltungen, man möchte sagen: Vorurteile, durcheinanderwerfen. Vorurteile und Vorstellungen über „den Islam“ und „das Kopftuch“.
Diejenigen im Westen, die schon immer gesagt haben, dass der Islam frauenverachtend und das Kopftuch Ausdruck der misogynen Struktur des Islams sei, fühlen sich bestätigt: Seht her, die Frauen in Iran nehmen das Kopftuch ab, sie verbrennen es sogar! Ihre Botschaft an alle „Islamversteher“ im Westen: Seid nicht so naiv und hört auf, den Islam zu verherrlichen. So beschwerte sich ein Publizist nach Beginn der Proteste auf Twitter, dass „Menschen, die seit Jahren nicht den Mut aufbringen, den politischen Islam zu kritisieren, plötzlich in Sachen Iran deutlich geworden sind“. Oder anders: Wenn ihr das Kopftuch in Iran kritisiert, kritisiert es gefälligst auch hier bei uns.
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Auf der anderen Seite gibt es nicht wenige, die sich, sagen wir, zurückhalten, wenn es um die Solidarität mit den Frauen in Iran geht. In politisch linken Kreisen gibt es die Argumentation, es sei eine „westliche“ Idee, dass das Abnehmen des Kopftuchs in Iran Freiheit für die Frau bedeute. Das Kopftuch sei doch Teil der Kultur in Ländern wie dem Iran, und wenn man sich gegen das Kopftuch ausspreche, so glauben sie, sei das islamophob. Dieses Narrativ, das auch vom iranischen Regime propagiert wird, füttern westliche Politikerinnen, wenn sie bei Staatsbesuchen in Iran ein Kopftuch tragen. Sie halten sich, so kann man annehmen, für besonders tolerant, glauben, dass sie die iranische „Kultur“ respektieren, wenn sie sich verschleiern.
In beiden Fällen wird der Kampf der Frauen in Iran für die eigene Ideologie instrumentalisiert. Und: Sowohl dieser Kulturrelativismus als auch die Dämonisierung des Islams sind von einer rassistischen Denkstruktur geprägt. Der Rassismus der rechten Seite ist leicht erkennbar. Hass gegen Muslim*innen ist nicht erst seit 9/11 im Westen angekommen, hat sich seitdem aber extrem intensiviert. Terroranschläge wie in Christchurch und in Hanau sind ideologisch fest mit rassistischen Verschwörungserzählungen verbunden. Eine ganze Partei, die inzwischen im Bundestag sitzt, definiert sich zu großen Teilen durch ihren Hass auf alles, was mit dem Islam zu tun hat. Eine der Abgeordneten dieser Partei sprach im Deutschen Bundestag offen von „Messermännern“ und „Kopftuchmädchen“ und meinte damit Muslim*innen.
Schnell waren die Rechten dabei, die Bilder aus dem Iran, den Kampf der Frauen für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Eine rechtsextreme Vereinigung von Abgeordneten im EU-Parlament sprach sogar einen Freiheitspreis für die iranischen Frauen aus. Völlig absurd, wenn man bedenkt, dass in ihrer rechtsextremen Ideologie alle aus Europa geworfen werden sollen, die nicht in den europäischen „Kulturkreis“ passen, und dass diese Gruppen seit Jahr und Tag gegen Geflüchtete aus der Region des sogenannten Nahen Ostens hetzen. Dass es keinen von diesen Leuten um die Menschen in Iran geht, ist klar. Es geht nur darum, Bilder von brennenden Kopftüchern dafür zu nutzen, die eigene Ideologie voranzutreiben.
Warum beschäftigen wir uns in einem Dossier mit Antifeminismus? Schon in vielen Liedern wird besungen: „Know your enemy“. Oft ist Antifeminismus subtil. Wie wir ihn entlarven können, wird klar, wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen: Welche Formen nimmt er an? Wer sind die Akteur*innen? Und wie können wir ihm begegnen? Alle Dossiertexte gibt es im Online-Schwerpunkt zum feministischen Kampftag.
Auf der anderen Seite heißt es von links: Das Kopftuch als Symbol der Frauenunterdrückung sei eine „westliche“ Erzählung; die Idee, dass Frauen sich vom Kopftuch befreien müssten, um frei zu sein, sei imperialistisch und kolonialistisch. Westliche Feminist*innen würden sich auf den Kopftuchzwang versteifen und dabei „westliche“ Vorstellungen von Feminismus und Gleichberechtigung quasi kolonialistisch durchdrücken. Man müsse die „Kultur“ der Menschen in islamischen Ländern respektieren. Und: Die Rechten nutzen die iranische Revolution für ihre muslimfeindliche Agenda, heißt es aus linken Kreisen. Also Vorsicht.
Ob in den USA, in Europa oder in Deutschland: Die Linke, die einen feministischen Kampf wie in Iran eigentlich als historisch feiern müsste, hält sich auffällig zurück. In den USA, wo die demokratische Partei als Partei des Feminismus gelten will, wird „Frau, Leben, Freiheit“ gänzlich ignoriert. Dort gibt es schon genug Probleme mit Islamhass, denken sich, so scheint es, viele. Bei Teilen von linken Parteien in Deutschland sieht es nicht anders aus.
„Unser Schwert ist Liebe“ von Gilda Sahebi erscheint am 8. März bei Fischer. 256 Seiten, 24 Euro
Seit Beginn der Proteste im September 2022 wurde schon oft gesagt und geschrieben: Es geht nicht um das Kopftuch. Es geht um so viel mehr. Um die systematische Unterdrückung der Frau in Iran. Ausgerechnet diejenigen, die vorgeben, antikolonialistisch und antiimperialistisch zu denken, verfallen in eine in der Konsequenz rassistische Argumentation. Denn wenn die Befreiung vom Kopftuch eine „westliche“ Idee ist, sind auch die Selbstbestimmung der Frau und die Gleichberechtigung der Geschlechter „westliche“ Werte.
Kulturrelativismus bedeutet eben auch einen Relativismus der Werte. Bestimmte Werte gibt es in dieser Logik nur im Westen, Frauen im sogenannten Nahen Osten haben damit nicht dasselbe Bedürfnis nach Freiheit wie Frauen im Westen. Während der Feminismus im Globalen Norden dafür kämpft, dass „Nein heißt nein“ gilt und dass der Schwangerschaftsabbruch legalisiert wird, soll der Feminismus im Globalen Süden ein rückständiger sein; Frauen sollen sich nicht so haben mit dem Kopftuch.
Vor allem sollen Frauen in Iran nicht den Islamhassern im Westen glauben, dass das Kopftuch ein Symbol der Frauenunterdrückung sei. Denn das zu denken, ist islamophob. Das nutzen Rechte nur aus. Ja, das stimmt, das tun sie. Nur ist das wahrlich nicht das Problem der Menschen in Iran. Das ist unser Problem, hier im Westen. Um den Rassismus in unserer Gesellschaft müssen wir uns kümmern.
Solche Einstellungen von links und rechts zeigen nur, dass das Wissen um den iranischen Kontext fehlt oder bewusst vernachlässigt wird. Das Kopftuch in Iran hat eine vollkommen andere Bedeutung als das Kopftuch in westlichen Staaten. „Nur wenige Tage nachdem Ajatollah Ruhollah Chomeini aus einer Air-France-Maschine entstiegen war, seinen Fuß auf iranischen Boden gesetzt hatte, erhob er das Schwert seiner Revolution als Erstes gegen die Frauen“, schreibt Golineh Atai in ihrem 2021 erschienenen Buch „Iran – Die Freiheit ist weiblich“. Und weiter: „Fast alle Gesetze, die fünf Jahrzehnte sozialer Gewinne für die Frauen bedeutet hatten, sollten seiner Idee des Islam zum Opfer fallen.“
Als Erstes kam der Verschleierungszwang, von einem Tag auf den anderen. Dann folgten bald die frauenfeindlichen Gesetze, mit denen das Leben aller Frauen in Iran entwertet wurde.
Der Hidschab ist in Iran ein Symbol
Im Oktober 2022 machte ein Video in den sozialen Netzwerken die Runde, in dem eine Frau im Tschador auf eine Mauer schreibt „Frau, Leben, Freiheit“; im Hintergrund sagt eine weibliche Stimme: „Wir verschleierten Frauen von Maschhad unterstützen Frau, Leben, Freiheit.“ Es sind in dieser Revolte nicht nur Frauen aktiv, die kein Kopftuch tragen wollen, sondern auch solche, die es gerne tragen, auch weiter tragen wollen. Weil es um weit mehr geht als um das Kopftuch.
Das Kopftuch, der Hidschab, ist in Iran ein Symbol. Ein Symbol für die Unterdrückung von Frauen durch eine ideologisch extremistische Machtelite, aus Männern bestehend, die den Islam als eine Art Universalerklärung für all ihre Frauenrechts- und Menschenrechtsverbrechen nutzt. Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, ebenfalls gläubige Muslimin, war bei den iranischen Klerikern auch deshalb so verhasst, weil sie mit ihrem Einsatz für Menschenrechte und ihrer Arbeit als Anwältin immer wieder erklärte, dass die Machthaber ihre eigene Religion nicht verstünden.
Eine der mutigsten feministischen Stimmen in Iran ist Fatemeh Sepehri. Im September 2022 wurde sie verhaftet. Sie ist gläubige Muslimin und trägt nicht nur ein Kopftuch, sondern einen Tschador, einen Ganzkörperschleier. Sie kämpft dafür, dass junge Frauen wie ihre Töchter die Freiheit haben zu entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht. Sie fordert schon lange den Rücktritt von Revolutionsführer Chamenei – und sagt das auch noch ganz offen. Auch mit ihr hat Golineh Atai für ihr Buch gesprochen, lange vor Beginn der Protestbewegung. Sie zitiert Fatemeh Sepehri mit den Worten: „Ich will, dass die Islamische Republik gründlich weggefegt wird. Ich verlange, dass der Iran eine säkulare Demokratie wird. Ein Staat, der die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte endlich achtet.“
Der Kampf gegen das Kopftuch in Iran hat nichts mit Islamophobie, sondern mit Frauenunterdrückungsphobie zu tun. Der Kampf der Menschen und der Frauen in Iran ist kein Spielfeld für Instrumentalisierungen, ob von rechts oder von links. So einfach ist es mit „dem Islam“ und „dem Kopftuch“ eben nicht.
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