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Feindesliste von Corona-Protestierenden„So bisher nicht gekannt“

In einer Chatgruppe von Coronaverharmlosern taucht eine Feindesliste auf. Experten warnen vor dem Antisemitismus der Bewegung.

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, bei der Pressekonferenz in Berlin Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | Der Ton der Coronaprotestierenden wird immer rauer. In einer Telegram-Gruppe der Szene tauchte nun eine Feindesliste mit gut 170 Namen von PolitikerInnen und JournalistInnen auf, versehen mit Hinweisen wie „Impfpropaganda“, „BRD GmbH“ oder „Bill Gates“. Bezeichnet werden die Genannten als „auffällige Personen, die im Sinne der Billiardäre handeln“.

Auf der Liste stehen neben Mitgliedern der Bundesregierung auch PolitikerInnen von CDU, SPD, Linken und Grünen. Von der AfD ist nur Bundeschef Jörg Meuthen aufgeführt. Persönliche Daten der Betroffenen sind nicht vermerkt, auch wurde die Liste zunächst nur auf einem kleineren Kanal verbreitet.

Einige Betroffene wie die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau stellten nach eigener Auskunft Anzeige. Die auf der Liste ebenfalls aufgeführte Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, sprach von einer klaren Bedrohung. „Das hat was von Zielmarkierungen für Pöbeleien oder Schlimmeres.“

BKA kennt Liste seit Oktober

Das BKA teilte der taz mit, die Liste sei seit Ende Oktober bekannt. Die Länderpolizeien seien darüber informiert worden. Eine bloße Nennung auf solchen Listen bedeute noch nicht zwingend eine Gefahr für die Betroffenen. Kämen aber weiter Erkenntnisse hinzu, würden Maßnahmen ergriffen.

Kahane warnte am Dienstag auf einer Pressekonferenz mit SPD-Bundesvize Kevin Kühnert und dem Antisemitismusbeauftragten des Bundes Felix Klein auch vor dem grassierenden Antisemitismus in der Protestbewegung. Verschwörungsideologien mit antisemitischem Kern hätten dort „unglaubliche Konjunktur“, der Judenhass verdichte sich auf den Protesten. Ihre Stiftung sei seit gut 20 Jahren aktiv, aber: „Das haben wir so bisher noch nicht gekannt.“ Dass Demonstrierende mit einem „Judenstern“ auftreten oder sich mit der von NS-Schergen getöteten Widerstandskämpferin Sophie Scholl verglichen, sei „perfide“ und eine „zynische Verdrehung“, kritisierte Kahane.

Auch Klein, der ebenso auf der Feindesliste steht, benannte den Judenhass als verbindendes Element von bisher getrennten Milieus, von Esoterikbegeisterten, Friedensbewegten bis zu Rechtsextremen. „Die Verschwörungserzählungen von angeblich geheimen Mächten verbinden die gesellschaftliche Mitte mit radikalisierenden Rändern.“ Klein nannte dies eine Gefahr für die Grundlagen der Gesellschaft. Auch für Kühnert offenbarten die Proteste, wie weit der Antisemitismus verbreitet sei – eine Erkenntnis, die „für jüdische Menschen zum Tagesgeschäft gehört“.

Mehr Widerspruch, mehr Präventionsprogramme

Klein forderte mehr Widerspruch ein. „Wir, die demokratische Mehrheit, müssen lauter werden und Radikalisierung verhindern, wo immer wir sie wahrnehmen.“ Das antisemitische Attentat von Halle habe gezeigt, wie schnell aus Worten Taten werden könnten. Kahane forderte mehr Programme gegen Antisemitismus und Verschwörungsideologien sowie einen besseren Schutz jüdischer BürgerInnen. Kühnert plädierte, „massiv in Forschung und Prävention zu investieren“. Zentral sei dabei ein Demokratiefördergesetz, das zivilgesellschaftliche Projekte langfristig absichert. Die Union lehnt dieses bisher ab.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und andere hatten zuletzt auch gefordert, dass der Verfassungsschutz die Proteste genauer ins Visier nimmt. Der Thüringer Geheimdienstchef Stephan Kramer schloss sich dem an. Denkbar wäre, dass der Verfassungsschutz nicht einzelne Gruppen unter Beobachtung stellt, sondern das Spektrum an sich – so wie zuletzt die Reichsbürger.

Ein Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte zuletzt, dass inzwischen klar sei, dass bei den Protesten „auch Extremisten, Reichsbürger und Ähnliches in Erscheinung treten“. Insofern sei „eine Beobachtung auch dieser Bewegung naheliegend und sie findet auch statt“.

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29 Kommentare

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  • Youtuber Rezo hat einen kritischen Videobeitrag zu den "Querdenker*innen" gemacht:



    "Wenn Idioten deine Freiheit und Gesundheit gefährden..."



    www.youtube.com/wa...4&feature=youtu.be

    • @Uranus:

      Bringt einiges gut auf den Punkt. Er kritisiert u.a. das zurückhaltende Vorgehen seitens Polizei und Äußerungen seitens Innenminister*innen von Verschörungsfreaks und Rechten.

  • Jetzt holen uns die Schatten der Entnazifizierung der Nachkriegsjahre ein. In ihren langen Schatten durfte sich ein Gefühl von 'Nicht-ganz-falsch-gemacht" ausbreiten. Dem wurde vor 60 Jahren in vielen Schulen oft nur halbherzig widersprochen, ebenso wie Elternhäuser sich in ihren braunen Mief zurückzogen, in dem spöttisch dem Nachwuchs nahegelegt wurde, öffentlich darüber nicht zu reden. Dies musste ich selbst erleben und mein Widerspruch wurde von manchen Autoritäten im Keim erstickt. In so einem Klima gedieh unter der Hand das 'sich immer mehr unschuldig' zu fühlen. Das Ergebnis ist das, was sich heute immer dreister ans Licht drängt und seine Lügen verbreitet nach dem Motto "alles war wohl nicht verkehrt. Sonst wären wir wohl nicht entnazifiziert worden.."



    Eine ehrliche Aufarbeitung des "1.000jährigen Reiches" in all seinen schmutzigen Facetten sollte anders aussehen und sich nicht in Gedenktagen und Mahnmalen erschöpfen, die man umso weniger glaubwürdig findet, je lauter heutzutage auch von den C-Parteien zu vielen Diskriminierungen vereinzelfallt und geschwiegen wird.

    • @noevil:

      Ich erlaube mir, zu ergänzen:

      Wir erleben einen Geschichtsrevisionismus sondergleichen, der sich auf vielen Ebenen ausbreitet. Man denke nur an die alten Feindbilder, die wieder aufleben. Schon wieder die Russen. Und die Polen, die nicht so wollen, wie wir, weil sie die falsche Regierung gewählt haben. Die faulen Griechen, die richtig bestraft wurden. Peu a peu schleichen sich Gedanken ein, die den Besserdeutschen herausstellen, der nicht nur alles besser weiß, der auch noch genau darüber urteilen kann, wer gut und böse ist.

      M.a.W.: Der Rassismus ist ein viel tiefer greifendes Problem. Da sollte nicht nach dem Prinzip gehandelt werden: "Haltet den Dieb!"

      • @Rolf B.:

        Ich gebe Ihnen ja recht, das ist aber beileibe nichts, was die Rechten für sich gepachtet hätten.

        Ich bin eigentlich erschrocken, wieviele Nichtrechte so denken.

        • @rero:

          "Ich bin eigentlich erschrocken, wieviele Nichtrechte so denken."

          Ich auch! Und die meinte ich auch.

  • Lieber Cindy aus Marzahn als Jana aus Kassel.

  • Wen ich diese ganzen Skandale um die Polizei und deren rechte Clübchen sehe würde es mich wundern wenn es irgendwelchen Ermittlungen gäbe.

  • " Ich sehe eher ein eklatantes Bildungsproblem."

    Ich hatte selber im Geschichtsunterricht lebende Zeitzeugen. Das war schon beeindruckend für die SchülerInnen. Aber Sie haben Recht. Das ist ein eklatantes Bildungsproblem. Ohne mangelnde Geschichtskenntnisse wäre es auch nicht möglich, wieder alte Feindbilder zu installieren. Wir haben nicht nur ein Rassismus- und Antisemitismusproblem. Auch der zunehmende Militarismus lässt sich nur mit Geschichtsvergessenheit erklären.

    • @Rolf B.:

      War eine Antwort an @LESTI

  • Aus den Reihen der angeblichen Friedens/Freiheitsbewegung stammen Feindeslisten. Ebenso kurios wie, dass Leute, die wenn sie nicht selbst rechts sind, mit Rechten auf die Straße gehen und dennoch meinen, sich mit Sophie Scholl vergleichen und schmücken zu können. Offenbar ist bei der vorgeblichen Entnazifizierung und vorgeblich gelungenen Aufarbeitung der "Nazivergangenheit" einiges schief gelaufen. Offenbar ist es nie bei einer Vergangenheit geblieben ...

    • @Uranus:

      Die letzten Zeitzeugen von Shoa, Weltkrieg, Nationalsozialismus etc. sterben jetzt oder sehr bald. Gleiches gilt dann natürlich auch für all jene, die an der Entnazifizierung teilgenommen haben. Inwiefern jetzt das Problem bei der Aufarbeitung liegt, kann man diskutieren. Ich sehe eher ein eklatantes Bildungsproblem.

      • @LeSti:

        Ja, so much this.

      • @LeSti:

        Mir ging es um das Selbstbild, dass von vielen Deutschen, insbesondere Bürgerliche und bürgerliche Abgeordnete stolz in die Welt tragen. Die allenfalls bei größeren Anschlägen schockiert tun, sehr besorgt um Deutschlandsruf sind und beschwichtigend so tun, dass Deutschland ja so gar nicht sei. Gleichzeitig wollen einige von denen auch einen Schlussstrich unter deutsche Vergangenheit ziehen und am Patriotismus usw. festhalten.



        Aber ja, die Aufarbeitung selbst ist auch ein Problem und die durchaus vorhandene Einstellung/Stimmung, Aufklärung überdrüssig zu sein und meinen, sich nicht mehr damit auseinandersetzen zu müssen.



        Ein Bildungsproblem kann schon ein Teil des Problems sein. Das würde ich allerdings nicht unbedingt an "Bildungsferne" festmachen. Geschichtsrevisionismus ist Teil rechter Ideologie und auch bei gebildeten Menschen anzutreffen. Was dann zum nächsten Punkt die Ausbreitung rechter Ideologie, Anknüpfungspunkte und Kontinuitäten in der sogenannten Mitte der Gesellschaft führt.

  • "Dass Demonstrierende mit einem „Judenstern“ auftreten oder sich mit der von NS-Schergen getöteten Widerstandskämpferin Sophie Scholl verglichen, sei „perfide“ und eine „zynische Verdrehung“, kritisierte Kahane."

    Und sie hat natürlich recht.

    Hier der Brief eines jungen Mannes, der im Irak gefoltert wurde und nach Deutschland fliehen konnte, an die "Jana aus Kassel", die sich als Sophie Scholl inszenierte:

    jungle.world/blog/...hSdlUR58pQxeSeSJu8

    Wäre schön, wenn sie das erreichen würde. Es ist aber wohl eher unwahrscheinlich.

    • @Jim Hawkins:

      Ahmeds Brief hat mir so aus der Seele gesprochen.. wahrscheinlich geht es mir wie sehr vielen anderen. Mir stehen ob dieser dummdreisten Äußerungen von Jana nicht nur die Haare einzeln zu Berge. Die Faust in der Tasche ballt sich, und erst recht, wenn ich an das elfjährige Opfer seiner unsäglichen Mutter denke, das sich da öffentlich mit Anne Frank verglich. So was von ahnungslos! Schade, dass zum Einen die passenden Argumente buchstäblich im Hals stecken bleiben. Ohnehin fürchte ich, dass Diskussionen ergebnislos blieben, weil sie gar nicht durchdringen bis zu dem kläglichen Verstandesrest.. Ich fürchte, dass auch Nachilfe in Geschichtsunterricht wenig Wirkung zeigen würde. Viele Lehrer der ersten Nachkriegsgeneration hatten nicht den Mut ihr Versagen in der Hitlerzeit zuzugeben und mit ihren Klassen über Zivilcourage und den schweren Weg des Mutes zum Widerstand zu diskutieren, denn die Geschichte des dritten Reiches hatte ihren Platz in den Wochen kurz vor Schuljahresende, in denen ohnehin kaum noch Unterricht stattfand. Ich weiß nichts zum Geschichtsunterricht in der ehemaligen DDR zu sagen.

      Wir bräuchten endlich ein Schulfach "Diskussion, Argumentation und Ethik". Das wäre dann auch akzeptable Vergangenheitsbewältigung und Aufarbeitung des "3. Reiches".

      • @noevil:

        „Wir bräuchten endlich ein Schulfach "Diskussion, Argumentation und Ethik". Das wäre dann auch akzeptable Vergangenheitsbewältigung und Aufarbeitung des "3. Reiches".

        Man sollte die Corona-Zeit nutzen: Schule endlich anders denken. Das hieße, Betreuung in Kleingruppen, vor allem Berücksichtigung der benachteiligten Familienverbände, dabei Inhalte vermitteln, die sonst immer zu kurz kommen (Grundfertigkeiten von Lesen und Recherche, Kultur- und Ethikbildung, Gesprächsrunden und Unterstützung zu Lebensproblemen/Mobbing/Rassismus/sinnvoller Freizeitgestaltung/Mediengebrauch, Einarbeitung in Online- und Offline PC-Unterricht, Sport ....)

        Das ganze wird gestützt, indem das Corona-Schuljahr als Praxisjahr für ein erfüllteres, gesünderes, denkendes Leben betrachtet wird. Für den eigentlichen Lernplan wird einfach ein Schuljahr angehängt (bzw. für dieses gibt es eine Wiederholung für alle). Welche Chance böte sich da?! Und da die ganze Erdkugel mit dem Virus kämpft, ist das Argument des Wettbewerbsnachteils auch Unsinn.

    • 9G
      90946 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Vielen Dank für den Link zu Ameds gescheiten Brief an Jana! Er hat wirklich etwas zu sagen, und es wäre schön, wenn das da ankäme, wo es am nötigsten ist!

    • @Jim Hawkins:

      Vielen Dank für den Link zu dem Brief.



      Der Vergleich mit dem Widerstand in der NS-Zeit hat die Funktion eines Totschlagsarguments, das jede Diskussion abwürgen soll.



      Ich halte die "Bewegung" (ich bin mir nicht sicher, ob gemeinsames Demonstrieren dazu reicht) für sehr gefährlich - wie vermutlich die meisten hier. Allerdings liegt der Fokus der meisten Medien auf den Menschen, die sich derartig in Parallelwelten begeben haben, dass sie sich vermutlich nie mehr daraus befreien können. Wer möchte kann sich die beiden Spiegel TV Sammlungen ansehen, bei denen sie zu Wort kommen:



      youtu.be/bCaTX7gd32E



      youtu.be/yr1YyrolRZY



      Auch wenn die Wortbeiträge zum Lachen verführen, sollte man die Aggressivität und Gefährlichkeit der anderen TeilnehmerInnen nicht unterschätzen.

      • @STEPHAN AUS NÜRNBERG:

        "Der Vergleich mit dem Widerstand in der NS-Zeit hat die Funktion eines Totschlagsarguments, das jede Diskussion abwürgen soll."

        Jeden "Coronaleugner" als Nazi abzustempeln,ist das gleiche Prinzip ,nur anders rum. In beiden Fällen meidet man sachliche Argumentation und intellektuelle Beanspruchung!

    • @Jim Hawkins:

      Danke für den Hinweis und'n schö'n Gruß in deen hohen Norden, nech!?

      • @Uranus:

        Danke, aber zurzeit ist es mehr der tiefe Süden :-)

        • @Jim Hawkins:

          Ich weiß. Sorry, dass das missverständlich war. Ich meinte den Autor des Briefes aus Flensburg, Amed Sherwan. Aber ja, schöne Grüße auch in den Süden, gell!?

    • @Jim Hawkins:

      Danke für den Brief des Irakers. Wirklich lesenswert!!

  • Was ist denn die "Beachtung einer Bewegung"? Was darf ich mir darunter vorstellen?

    • @Lieblich:

      Schätze mal, da fehlt das "ob" aus Be-ob-achtung.

  • 9G
    92293 (Profil gelöscht)

    BRD GmbH, Impfpropaganda, Bill Gates das waren in etwas anderem Kontext Schlagworte bei der heuteshow .... damals passend bis akzeptierbar. Das ein Teil der Protestierenden diese Begriffe übernimmt ist erklärbar nur es sollte nicht so weitergehen, dass sich mehr und mehr die rechtsextremen breit machen; dieses Unterwandern hat schon mehrmals stattgefunden. Ich finde der Verfassungsschutz ist zu nachlässig ....

  • Wer von den Qs "pflegt" denn diese Liste? Die ist doch von einigen Leuten unter gewissen Kriterien erstellt worden und wird wohl auch erweitert. Wer macht das in Abstimmung mit wem oder wer koordiniert das?



    Namen, wir wollen auch Namen!

    • @Pia Mansfeld:

      Das wäre dann aber auch eine Feindesliste.