FFF-Sprecherin über die Bundestagswahl: „Eltern wählen für ihre Kinder“

Beim globalen Klimastreik will „Fridays for Future“ am Freitag auch im Norden streiken. Ältere Wäh­le­r*in­nen seien nun in der Pflicht.

Die Sprecherin der Hamburger "Fridays for Future"-Gruppe Inga Mülheims

Spricht für die Hamburger „Fridays for Future“-Gruppe: Inga Mülheims Foto: Florian Ziemen

taz: Frau Mülheims, ein großer Teil der Wahlberechtigten hat bereits schriftlich gewählt – wen wollen Sie mit dem Klimastreik am Freitag noch erreichen?

Inga Mülheims: Das haben wir uns auch gedacht. Aber beim Klimastreik am Freitag geht es nicht nur darum, Wäh­le­r*in­nen von der Dringlichkeit des Klimaschutzes zu überzeugen. Es geht auch darum, Druck auf die künftige Bundesregierung aufzubauen. Das ist kein Nischen- oder Feelgood-Thema. Der große Teil der Gesellschaft will Klimaschutz, die zukünftige Regierung muss dem nachkommen und endlich auf ihre vielen Worte auch Taten folgen lassen. Je mehr Menschen das am Freitag deutlich machen, desto größer ist der Druck für eine künftige Regierung nach der Wahl.

Eine Umfrage ergab kürzlich: Je älter die Menschen sind, desto weniger richten sie ihr Wahlverhalten am Klimaschutz aus. Was lässt sich aus diesem ernüchternden Ergebnis ableiten?

Wir versuchen natürlich, die Älteren ins Boot zu holen. Aber dieses Umfrageergebnis ist sehr schade. Bei der Bundestagswahl sind rund 70 Prozent der Wahlberechtigten über 40 Jahre alt. Das heißt: Da entscheiden die Älteren über die Zukunft der Jüngeren. Was dabei noch hinzukommt: Wir sind überwiegend Schü­le­r*in­nen und viele von uns dürfen nicht wählen. Wir sagen den Älteren: Dieses Jahr haften Eltern nicht nur für ihre Kinder, sondern sie wählen auch für sie. Genauso wie die Großeltern. Und sie wählen auch für diejenigen, die keinen deutschen Pass haben und deshalb nicht wählen dürfen. Das alles zeigt, wie ungerecht dieses System ist. Aber es ist nun mal so, dass die nächste Regierung über unsere Zukunft entscheidet.

Hat der Klimaschutz einen angemessen großen Raum im Wahlkampf bekommen?

Ich würde sagen: Nein. Durch Fridays for Future und viele andere Organisationen hatten die Parteien das Thema zwar auf dem Schirm – es kam ja in den vergangenen Wochen immer wieder zur Sprache, aber die Klimakrise wurde nicht als das anerkannt, was es ist: die größte Herausforderung unserer Zeit. Stattdessen wurde nur im Klein-Klein über einzelne Maßnahmen gesprochen – selten mit der Erkenntnis, dass wir über die Klima­krise nicht verhandeln können. Wir haben im Wahlkampf eine massive Diskursverschiebung erlebt, was das Klima angeht. Die Frage, wie viel Klimaschutz uns kosten würde, wurde breit diskutiert. Die Frage, wie die Klimakrise meine Generation später einschränken wird, blieb weitgehend ungeachtet. Das ist eine der Ungerechtigkeiten, gegen die wir jetzt kämpfen müssen.

22, ist Sprecherin der Hamburger „Fridays for Future“-Gruppe. Sie studiert Kultur- und Erziehungswissenschaften an der Uni Hamburg.

Die Grünen sagen das schon seit Ewigkeiten.

Auch die Grünen haben keinen ausreichenden Plan vorgelegt, wie Deutschland dazu beitragen kann, die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Sie haben vielleicht den richtigen Ansatz, aber er geht nicht so weit, wie es aus wissenschaftlicher Sicht nötig wäre.

Welche Wahlempfehlung sprechen Sie aus?

Wir machen keinen Wahlaufruf für eine Partei, auch nicht für die Grünen. Fridays for Future ist überparteilich. Das, wofür wir kämpfen, ist die 1,5-Grad-Grenze. Und die ist kein politisches Ziel, sondern eine existenzielle naturwissenschaftliche Grenze.

Im Wahlprogramm der Linken finden sich viele Fridays-Forderungen.

Natürlich gibt es zwischen unseren Forderungen und den Programmen der Linken oder auch der Grünen einige Überschneidungen. Aber noch mal: Deren Forderungen sind nicht ausreichend. Keine Partei konnte bisher einen ausreichenden Plan vorlegen, wie sie die 1,5-Grad-Grenze einhalten will.

Warum rufen Sie dann trotzdem für das Klima zum Wählen auf?

Das hört sich wie ein Widerspruch an und ist für uns auch schwierig. Man kann sich bei dieser Wahl leider nicht für ausreichenden Schutz aussprechen. Aber wir finden: Man kann sich immerhin gegen die Zerstörung entscheiden. Die Klima­krise ist nicht Aufgabe einzelner Parteien, sondern es wird die Aufgabe der nächsten Regierung sein, durch richtige Maßnahmen die Krise abzuwenden. Wir wollen eine Regierung, die den wissenschaftlichen Forderungen folgt. Und wir wollen nicht nur kleine Maßnahmen, sondern echte Klimagerechtigkeit. Schon jetzt bekommen besonders jene die Klimakrise zu spüren, die nicht reich sind. Dagegen hat die letzte Bundesregierung nicht viel getan. Wir müssen durch die Bundestagswahl eine fortlaufende Klimaschädlichkeit, wie wir sie bisher kennen, verhindern.

Wenn Sie bei allen Parteien kritisieren, dass deren vorgeschlagene Maßnahmen nicht ausreichend sind: Hat der Klimaprotest dann bislang versagt?

Nein. Fridays for Future und die vielen anderen Organisation haben Unglaubliches erreicht. Sie haben Klimaschutz überhaupt erst zum gesamtgesellschaftlichen Thema gemacht. Dabei hätte der Klimaschutz schon seit mehr als 30 Jahren Aufgabe der Regierung sein müssen – seit mehr als 50 Jahren wissen wir doch schon vom Problem. Daher ist es eigentlich absurd, dass wir seit drei Jahren mit Aktionen darauf aufmerksam machen müssen. Und das ist für uns auch frustrierend, aber es ist nicht unser Versagen, sondern das der Politik.

Andererseits ist es doch so: Seit es Fridays for Future gibt, wurden so viele Klimamaßnahmen beschlossen wie in den Jahrzehnten zuvor nicht. Sind Sie zu ungeduldig?

Nicht wir, sondern die Klima­krise ist ungeduldig. Es ist ein Wettrennen gegen die Zeit, um die Kipppunkte zu verhindern. Uns wird oft gesagt: Das Tempo der Politik beim Klimaschutz ist vielleicht etwas zu langsam, aber so sind nun mal die Strukturen. Da sagen wir: Dem Klima sind die Strukturen ziemlich egal.

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