Aktivist*innen zum Klimastreik: „Nicht das einzige Mittel“
Weltweit streiken Aktivist*innen für das Klima. Fünf von ihnen berichten – von deutscher Kohle und indischer Trockenheit.
„Sofort aus der Kohle aussteigen“
Carola Rackete, 33, Umwelts- und Menschenrechtsaktivistin und Naturschutzökologin
„Ich streike heute in Lützerath, weil sich hier zeigen wird, ob die zukünftige Bundesregierung es ernst meint mit der Bekämpfung der Klimakrise. Wenn wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten wollen, darf die Kohle, die unter dem rheinländischen Dorf liegt, nicht von RWE abgebaggert werden, das hat eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ergeben. Die Grenze für die Einhaltung der Klimaziele liegt also unter unseren Füßen, unter diesem Dorf. Die zukünftige Regierungskoalition muss Wege finden, um sofort aus der Kohle auszusteigen und Lützerath zu retten.
Die Bundestagswahl ist in mehrfacher Hinsicht eine ungerechte Wahl. Einerseits, weil die jungen Menschen, die noch nicht wählen dürfen, stärker von der Krise betroffen sind als viele Wähler*innen. Andererseits darf man auch nicht vergessen, wie viele Menschen schon lange ohne deutschen Pass hier leben, arbeiten, integriert sind, Steuern zahlen – aber nicht wählen dürfen. Das sind knapp elf Millionen Menschen, die direkt von den Entscheidungen des Deutschen Bundestags betroffen sind, aber nicht mitgestalten dürfen. Da wird klar, welche große soziale Ungerechtigkeit in der Wahl steckt.
In Lützerath werden wir auch die Delegation der Zapatistas aus Mexiko empfangen, die gerade auf Weltreise sind. Sie haben jahrelange Erfahrung mit Selbstorganisierung und autonomer Verteidigung von Territorien.
Ab Montag, dem Tag nach der Wahl, laden wir alle, die Lust haben, zum Skillshare-Festival ein, bringen uns Klettern und Knoten und andere praktische Dinge bei. Seit einigen Wochen bauen wir hier Baumhäuser und Holztürme und organisieren die Infrastruktur, damit möglichst viele Menschen nach Lützerath kommen können, um mit uns das Dorf zu verteidigen. Wir machen auch viel Bildungsarbeit.
Ich finde es gut, mit dem globalen Streik zu zeigen, dass sich viele Menschen für Klimaschutz interessieren und sich dezentral organisieren. Allerdings bezweifle ich, dass man damit noch wirklich Druck aufbauen kann. Ein solcher Streik ist einplanbar, nach einem Tag vorbei und zwingt diejenigen, die Handlungsmacht haben, nicht zum Handeln. Es ist eher ein symbolischer Protest. Bei direkten Aktionen wie im Hambacher und Dannenröder Forst oder jetzt in Lützerath ist es anders.
Wo der Protest an einem konkreten Ort mit einem konkreten Ziel verbunden ist, haben wir die Möglichkeit, einen Schaden – also das Abbaggern der Kohle – wirklich zu verhindern. Im Danni und im Hambi haben wir gesehen, wie groß die zivilgesellschaftliche Unterstützung für diese Art des Protests ist.
Natürlich können oder wollen sich nicht alle, die für Klimaschutz sind, an einer Besetzung beteiligen. Deshalb, und um unsere Solidarität mit den streikenden Kindern und Jugendlichen zu zeigen, streiken wir heute. Es darf nur nicht das einzige Mittel des Protests sein.“ (Protokoll: Katharina Schipkowski)
„Demonstrierende werden verfolgt“
Alexandra Zakiewa, 28, engagiert sich bei FFF Moskau und promoviert in Pflanzenbiologie
„In Russland finden es viele Ältere immer noch unerhört, sich politisch zu engagieren. Es gibt heute nur spontane, einzelne Aktionen der Fridays – auch wegen der Repression der Polizei. Als ich im April dafür protestierte, politische Gefangene freizulassen, hatte ich furchtbar Angst. Demonstrierende werden hier nach Hause verfolgt. Es ist üblich, einen Rucksack mit dem Nötigsten mitzunehmen für den Fall, dass man verhaftet wird.
Immerhin: Seit 2019 nehmen immer mehr Russ:innen die Klimakrise ernst. Fridays for Future Moskau agiert derzeit im Kleinen: Wir informieren die Leute über Mülltrennung. In Sibirien bekommen die Indigenen die Klimakrise wegen des nachlassenden Permafrosts jetzt schon zu spüren.“ (Protokoll: Nathanael Häfner)
„Das ist gar kein Alt-gegen-jung-Konflikt“
Lia, 16, Schülerin in Tel Aviv, und Pressesprecherin für FFF Tel Aviv
„Diesen Sommer brannten die Wälder nahe Jerusalem. Im Winter fehlt mal Wasser, mal gibt es Überschwemmungen. Die neue Regierung scheint den Klimawandel ernster zu nehmen. Aber das reicht nicht. Deshalb gehen wir am Freitag in Tel Aviv auf die Straße.
In unserer Fridays-Gruppe sind alle recht jung, der Jüngste ist erst 12. Wir sind vor allem Schüler*innen, in Israel müssen ja alle nach dem Schulabschluss zur Armee. Die Klimakrise ist gar kein Alt-gegen-jung-Konflikt, meine Eltern unterstützen mich auch. Vielmehr sitzen die Schuldigen in den Regierungen weltweit. Der Protest heute ist nicht unser Hauptprojekt. Wir bereiten gerade eine größere Aktion für Ende Oktober vor – kurz vor der UN-Klimakonferenz in Glasgow.“ (Protokoll: Nathanael Häfner)
„Jeder muss jetzt handeln“
Ananya Kamboj,16, ist Initiatorin des FFF-Streiks in Mohali, Punjab. Sie rechnet mit 20 Teilnehmer*innen
„Der Regen ist in Punjab unberechenbar geworden: Oft regnet es in der Erntezeit, dafür ist es trocken, wenn ausgesät wird. Dann hat die Landwirtschaft Verluste. Auch gibt es keine guten Bewässerungssysteme, die Landwirtschaft ist so vom Grundwasser abhängig, dessen Spiegel Tag für Tag sinkt.
Ich möchte, dass die indische Regierung sich nicht nur in den Medien zum Kampf gegen den Klimawandel bekennt, sondern real handelt. Wir müssen die Abholzung der Wälder stoppen, den Klimanotstand ausrufen, Klimaschutz als Schulfach aufnehmen. Denn jeder muss jetzt handeln. Dafür setze ich mich jeden Freitag vor die Regierungsgebäude, anstatt zur Schule zu gehen. Meine zehnjährige Schwester ist fast immer dabei.“ (Protokoll: Katharina Schipkowski)
„Wir sind im Lockdown, Protest ist nicht erlaubt“
Patsy Islam-Parsons, 20, ist Studentin und FFF-Organisatorin in Sydney
„Leider trifft die Deltavariante Australien gerade hart. Wir sind im Lockdown, die Regierung erlaubt keinen Protest. Deshalb posten wir Fridays heute nur Fotos von uns mit Protestschildern. Wir hoffen, ab dem 15. Oktober in Sydney auf die Straße gehen zu können, dann soll der Lockdown enden.
In unserer Gruppe haben junge Menschen das Sagen. Aber mittlerweile haben sich auch viele Ältere unseren Protesten angeschlossen. Als die Buschbrände immer heftiger wurden, waren alle betroffen. Wer das Feuer sieht, den Rauch, sein Haus verliert, der hat die Klimakrise vor Augen. Allein 2020 verbrannten mehr als drei Milliarden Tiere. Auch das Great Barrier Reef stirbt immer mehr aus, und unsere indigene Community leidet sehr unter der Hitze.“(Protokoll: Nathanael Häfner)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier