Internationaler Klimaprotest: Globale Erhitzung
Fridays for Future sind zurück: Nach monatelanger Coronapause protestieren weltweit wieder Hunderttausende für eine bessere Klimapolitik.
„Ich komme aus Erftstadt“, antwortet Jonathan May auf die Frage, warum er zum Klimastreik auf die Uniwiese nach Köln gekommen ist. Erftstadt ist eine der von den Sturzfluten vor sechs Wochen besonders stark betroffenen Städte. Sein Elternhaus wurde beschädigt. Jonathan, 21 und Student, war bisher „kein krasser Demogänger“. Aber das Hochwasser hat ihn „wütend und verzweifelt“ gemacht, sagt Jonathan und verschwindet in der Masse der Protestler.
Fridays for Future sind wieder da. Nachdem die Coronapandemie die Proteste gut anderthalb Jahre lang ausgebremst hatte, sind am Freitag an 1.500 Orten in 80 Ländern Hunderttausende zum achten globalen Aktionstag der Klimabewegung zusammengekommen. Bunt, laut, wuselig und aufgekratzt forderten vor allem Jüngere eine bessere Klimapolitik.
Schwerpunkt der FFF-Proteste zwei Tage vor der Bundestagswahl: Deutschland, das etwa zwei Prozent der Treibhausgase weltweit ausstößt. Hier wird in 470 Städten demonstriert. Vielerorts sprechen Veranstalterinnen und Veranstalter vom zweitgrößten Klimastreik der Geschichte. In Vorpandemiezeiten waren hierzulande bis zu 1,4 Millionen Menschen zusammengekommen, nun meldet Fridays for Future Frankfurt 19.000 Demonstrierende, Bremen 15.000, Fridays for Future Bonn rund 10.000.
Deutschland sei einer der größten „Klima-Schurken“
„Oma, was ist ein Schneemann“ oder „Die Natur verhandelt nicht“ steht auf den Plakaten vor dem Reichstag in Berlin. Der Platz ist randvoll, etwa 100.000 sind wohl gekommen. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut“, ruft eine Gruppe Schüler*innen. Der zehnjährige Sasha sagt: „Wir wollen nicht, dass die Welt kaputtgeht und mit Plastik voll ist.“ Und: Ganz in der Nähe fordern zwei Hungerstreikende von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, den Klimanotstand in Deutschland auszurufen.
Viele sind schlicht hier, um die Gründerin der Bewegung zu sehen. „Ihr müsst wählen gehen, aber das ist nicht genug“, ruft Greta Thunberg in die Menge. „Wir wollen Änderung, wir fordern Änderung, wir sind Änderung.“ Die Schwedin wirft Deutschland vor, weltweit viertgrößter CO2-Emittent zu sein. „Mit 80 Millionen Menschen ist das schon eine Leistung“, sagt Thunberg – und nennt Deutschland einen der größten „Klima-Schurken“.
„Ich bin hier, damit Hamburg keine Insel wird und kein Hochwasser kommt“, sagt der 12-jährige Mikkel Flegel in Hamburg. Hier haben sich laut Fridays for Future bis zu 80.000 Protestierende versammelt, die unter anderem mit Livemusik von Jan Delay und AnnenMayKantereit beschallt werden.
Hafenblockade in Dover, Wut in Wien
Die meisten Proteste sind gewaltfrei. Aber nicht alle. In Großbritannien blockieren Klimaaktivisten der Organisation Insulate Britain am Freitagmorgen den Eingang des Hafens von Dover.
In Wien hat eine Handvoll Greenpeace-Aktivistinnen und -Aktivisten mit Slogans wie „Au statt Stau“ und „Lobau bleibt“ bereits am Donnerstag ein Vorzimmers von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) besetzt. Damit wollen sie gegen den geplanten Bau einer Schnellstraße durch das Naturschutzgebiet Lobau in der österreichischen Hauptstadt aufmerksam machen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Das ist auch Thema der Fridays-Proteste am Freitagmittag, als sich am zentralen Praterstern Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten zum großen Streik sammeln. Landesweit melden die Fridays Proteste aus 30 Orten. „In Bezug auf Klimagerechtigkeit ist Österreich ein echtes Negativbeispiel und hinkt in allen Belangen hinterher“, kritisierte die Menschenrechtsorganisation Südwind.
Appelle an die indische Regierung
Als die Demonstrationszüge in den meisten mitteleuropäischen Städten gegen Mittag losziehen, sind die Aktivisten in Indien schon am Ende ihrer Kundgebungen angekommen. Es gab Proteste in der Hauptstadt Neu Dehli und im südindischen Hyderabad, auch in vielen kleineren Städten.
Die Studierenden Sameeksha und Laksh Sharma sind in Delhi mit hundert Protestierenden dabei. Von der Metro in der Innenstadt ziehen sie bis vors Regierungsgebäude Delhis. „Ich habe Fridays hier mit meinen Freunden gegründet, weil wir glauben, dass eine andere Welt möglich ist“, sagt der angehende Ingenieur Laksh. „Das Mindeste ist, dass die Regierung mit uns spricht, also sind wir hineingegangen und haben sie dazu aufgefordert“, sagt der 21-Jährige.
Die Liste mit ihren Forderungen ist lang. Von der Aufforstung in der Hauptstadt, der Rückgewinnung ökologischer Räume über mehr Abfalltrennung und neue Kläranlagen für den stark verschmutzen Fluss Yamuna verlangen sie von der Regierung mehr Klimaschutz.
In Hyderabad veranstalteten Aktivisten eine Performance mit schwarzen Lungenbildern. „Unsere Demonstration richtet sich nicht nur an die Abgeordneten, sondern auch an die Menschen in Hyderabad, die sich der Realität des Klimawandels bewusst werden müssen“, sagt der 22-jährige Student Abdus Sami. Er hofft, dass bald mehr Menschen erkennen, dass sie als Verbraucher die Macht haben, „Ökologie vor Ökonomie“ einzufordern. Weitere Aktionen fanden in Punjab, Bangalore oder Pune statt.
In Nigeria geht's nächste Woche weiter
Vielerorts herrscht an diesem Freitag Remmidemmi, die jungen und wütenden Menschen skandieren Parolen für eine klimagerechtere Politik. Nicht so in der Hafenstadt Port Harcourt im Süden Nigerias. Hier hat der Aktivist Joseph Anyanwu kurzerhand den Klimastreik auf die nächste Woche verschoben.
Wie überall in der Region sei es schwierig, Menschen zu motivieren, für ein Anliegen auf die Straße zu gehen, erklärt Anyanwu. Die Coronapandemie bremse zusätzlich. Deshalb hat er sich entschieden, in einer Schule über den Klimawandel zu sprechen, um gezielt Jüngere zu erreichen. „Ich verteile auch gerne Informationsmaterial, dafür brauche ich aber Sponsoren.“
Es gebe eine Menge Probleme im bevölkerungsreichsten Land des Kontinents, sagt Anyanwu. Im Süden Nigerias wird Öl gefördert. Auf vielen Flüssen gebe es Ölschlieren, fatal für die Umwelt, „viele Menschen sind an Krebs erkrankt“. Seit einiger Zeit beobachtet Joseph Anyanwu außerdem, dass es häufiger Überschwemmungen gibt. „Viele Straßen können hier nicht mehr passiert werden. Es ist höchste Zeit, darüber aufzuklären und etwas dagegen zu unternehmen.“
Baerbock läuft mit, Scholz twittert
Zurück in Deutschland. Hier nahm Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in Köln an dem Protest teil – und erhoffte sich vom Klimastreik Rückenwind für die Bundestagswahl. „Dies sind entscheidende Tage für den Klimaschutz“, sagte sie der Welt.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz twitterte indes, der Klimastreik sei „richtig. Klimapolitik gehört zu den wichtigen Themen, über die bei dieser Wahl entschieden wird!“ Fridays for Future Germany erklärte dazu auf Twitter: „Wir wollen die gute Stimmung ja nicht zerstören. Aber wir bestreiken heute DEINE Regierung, Olaf.“
Leser*innenkommentare
John Farson
China hat noch im August den Bau von min. 43 neuen Kohlekraftwerken angekündigt und eine Erhöhung der Emissionen um 1,5 %. Zum Vergleich: Deutschlands Anteil an den globalen Emissionen liegt bei 1,8%.
Aber Deutschland ist der Klima-Schurke, okay :D
Paul Rabe
Laut UN Prognose wird die Menschheit um noch einmal 3 Milliarden Menschen anwachsen bis Ende des Jahrhunderts.
Haben diese Menschen kein Recht auf einen Kühlschrank ein Auto eine Waschmaschine oder eine Klimaanlage? Ich denke doch schon!
Damit ist aber völlig klar dass das Klimaziel unmöglich zu halten ist, das ist eine sehr einfache Rechenaufgabe.
Es wäre selbst dann nicht zu halten wenn wir in Deutschland den CO2 Ausstoß komplett einstellen.
Das sind alles Tatsachen und völlig unabhängig von Ideologien es sind einfach die Gesetze der Physik, der Mathematik, die kann kein Klima Aktivist ändern.
Was man tun könnte, wäre aber neue Technologien entwickeln so wie jetzt zum Beispiel gerade die Chinesen machen in dem sie eine neue Form der Kernkraft (Thorium Reaktor) entwickeln, welche weniger gefährlich ist.
Rolf B.
Hauptsache, L. Neubauer ist medienwirksam mit auf dem Foto.
JoDa
Inwiefern sind Blockaden einer Hafeneinfahrt oder Rathaus Vorzimmer nicht gewaltfrei?
Der Artikel impliziert mit "nicht alle Proteste sind gewaltfrei", dies würde nicht zum Spektrum gewaltfreier Proteste gehören. Bitte berichtigen!
Joachim Petrick
In Hamburg waren m 25 000, meiner Frau und mir im vorgerückten Alte kamen Tränen, als wir Frau am Rollator. Mann Bein ab an Krücken mitmarschieen sahen, die erfreut lächelnd auf unser Beifall Klatschen reagierten.
Extremwetterlagen infolge Klimawandels die zum Normalfall werden, sollten Agenda Klimakonferenz ab heute in Hamburg leiten, dass wir uns klar sind, vor ca 12 000 Jahren hatten sich Klimaverhältnisse auf Erden soweit ausbalanciert, dass Nomadenvölker in einigen Regionen auf Kontinenten sesshaft, Gemeinschaften gegründet, mit Vorstellungen von Staat und Gesellschaft, viele Menschen Status von Staatszugehörigkeit an sich zu binden, klerikal, säkular dynastisch großen Reichen, Imperien mit hegemonialem Anspruch schwanger gingen, mit Krieg, Schrecken ins Werk setzten, so wie wir sie aus der Geschichte bis in die Gegenwart zu unserem Gunsten oder zu unserem Leidwesen kennen.
Wenn sich dieser Klimafilm nun offensichtlich durch Extremwetterlagen zum Normalfall geworden zurück spult, bedeutet das, dass Grundlage ganzer Staaten, Gesellschaften, so wie diese in unserem Bürger-, Menschen-, Völkerrecht als historisch mündige Subjekte hinterlegt sind, zerbrechen, sich auflösen.
Was tun? Wir brauchen neue und durchlässiger Vorstellungen von Bürger-, Menschen.-, Völkerrecht, Staatszugehörigkeit, die nicht mehr an Grund, Boden, lokal verwurzelte Gemeinschaft gebunden, sondern im übertragenden Sinne Rechtssicherheit für jeden Einzeln entfalten, was Gesundheitsversorgung im Krankheitsfall, Unterkunft, Versorgung mit Dingen täglichen Bedarfs, Mobilität, Bildung, Ausbildung, Studium, Zugang zu Beschäftigung, gesellschaftlich-kulturelle Teilhabe, Familienzusammenführung nach Extremwetterlagen, Flucht betrifft.
1. Schritt könnte sein, dass 82 Millionen Geflüchtete inner-, außerhalb ihrer Länder lt. UNHCR Bericht 2020, 240 Millionen Arbeitsmigranten*nnen mit ungesichertem Status von UNHCR ertüchtigt, Organisationen bilden, die Sitz, Stimme in UN-Vollversammlung verlangen?
Gretchen Müller
Ich mag die Proteste.
Erinnern Sie uns daran das wir etwas ändern müssen.
Nur sollten wir weniger Populismus anwenden, dann könnte man mehr Leute bewegen.
Alebrijes
@Gretchen Müller Schade, dass Ihnen erst die Proteste bewusst machen, dass etwas geändert werden muss.
Paul Rabe
@Alebrijes Was genau muss eigentlich geändert werden in Deutschland?
Rechnen Sie doch mal, selbst wenn Deutschland überhaupt kein CO2 mehr ausstößt, hätte das wirklich einen Effekt auf das globale Welt Klima?
Es wäre mehr eine symbolische Handlung und man darf sich schon fragen ob wir unsere Kräfte nicht anders und besser einsetzen könnten um wirklich(!) das Weltklima positiv zu beeinflussen, Also zum Beispiel massiv in Forschung und Entwicklung neuer Technologien investieren.
Bernd Berndner
@Paul Rabe Unsere Großeltern haben das Land wieder aufgebaut. Unsere Eltern haben die Kalten Krieg, DDR und die Ölkrise durchgestanden. Wir haben die Wiedervereinigung gestemmt.
Ich finde deshalb, man sollte der heranwachsenden Generation mehr vertrauen: Mit ihrer Technologie und ihrer (unserer Generation zu verdankender!) hervorragender Bildung wird es ein Leichtes sein, die globalen Probleme wie Energieversorgung, Meeresverschmutzung, Armut, Mobilität, Biosphäre, Klimawandel usw. besser zu lösen als wir das jetzt selbst mit größter Anstrengung könnten. Selbst wenn China mitmachen würde. Und die Weltbevölkerung sinken.
Ich bin mir sicher, dass die nächste Generation dann hochmotiviert alles in ihrer Macht stehende tun wird: Die meisten werden wollen, dass es ihren Kindern und Enkeln nicht viel schlechter geht als Ihnen - vielleicht sogar besser. Und wird bereit sein alles zu geben, rücksichtslos auf das Ziel ausgerichtet, so wie eine Tigermutter ihre Kleinen verteidigt!
Der Mensch läuft erst immer dann zu Höchstform auf, wenn die Kacke so richtig am Dampfen ist
Unsere Kinder sollten uns dankbar sein für die Chance die wir ihnen geben: Nur das Lösen großer Probleme bringt einen Platz in den Geschichtsbüchern. Je größer die Probleme, desto besser!
90946 (Profil gelöscht)
Gast
@Alebrijes Ich finde es schade, dass viel zu viele Repliken, hier der Ihre, nicht ohne mehr oder weniger subtile Abwertung auskommen.
Sie unterstellen außerdem etwas, was Gretchen Müller nicht geschrieben hat, nämlich, dass "erst die Proteste..." - nein, Sie schrieb "erinnern", das bedeutet etwas anderes. Auch schrieb sie im Plural, was impliziert, dass sie uns alle einschließt, und unter uns allen sind genug Leute, die diese Erinnerung nötig haben.
Oberflächliches Lesen, kombiniert mit verbreiteter Herablassung und Angriffsfreude, ist unnötig und nervt so sehr, dass ich nur noch selten mitmische im Forum, aber manchmal platzt mir doch der Kragen.
Das gehört zu den Dingen, die mM nach auch geändert werden sollten: der vergiftete Umgangston. Damit wäre schon etwas gewonnen.