FDP stellt Thüringer Ministerpräsident: Der Damm nach rechts ist gebrochen
Empörung im linken Lager, Beschwichtigungen der „Bürgerlichen“: Wie es zur Wahl von Thomas Kemmerich dank der AfD kam.
Was er damit meint: FDP-Landeschef Thomas Kemmerich, dessen Partei mit 5 Prozent in den Landtag eingezogen ist, ist gerade mit 45 Stimmen zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden – mutmaßlich von der FDP selbst, der CDU und der AfD. Damit ist er der erste Ministerpräsident in Deutschland, der sich von der extrem rechten Partei hat wählen lassen. Es ist ein Dammbruch, mit dem in Erfurt kaum einer gerechnet hatte.
Der bisherige Ministerpräsident Bodo Ramelow hat 44 Stimmen bekommen, nur eine weniger als Kemmerich. Rot-Rot-Grün, die eigentlich eine Minderheitsregierung bilden wollten und den Koalitionsvertrag schon unterzeichnet hatten, kommen gemeinsam auf zwei weniger. Es gab nur eine Enthaltung.
Die AfD hat damit ihren eigenen Kandidaten, den parteilosen Christoph Kindervater, ehrenamtlicher Bürgermeister einer kleinen Gemeinde in Nordwesten Thüringens, zur Staffage gemacht. Er bekam keine einzige Stimme.
Blumenstrauß vor die Füße
Georg Maier, Landesinnenminister, SPD
Als Landtagspräsidentin Keller das Ergebnis verkündet, reagieren FDP und CDU merkwürdig verhalten. Vor allem bei der AfD aber bricht Jubel aus. Dann fragt Keller den FDP-Mann, ob er die Wahl annehme.
Kann er das? Will er wirklich der erste Ministerpräsident von Gnaden der AfD sein? Er will. „Ich nehme die Wahl an“, sagt Kemmerich. Sein Bundeschef Christian Lindner hatte das jüngst noch für ausgeschlossen erklärt.
Kurz darauf verlässt Ramelow den Saal. Björn Höcke, Fraktionschef der AfD im Landtag und einer der ganz Rechten in seiner rechten Partei, ist unter den ersten, die Kemmerich gratulieren.
Susanne Hennig-Wellsow, Fraktionschefin der Linken, geht mit einem Blumenstrauß auf ihn zu. Doch anstatt ihm zu gratulieren, wirft sie ihn Kemmerich vor die Füße. „Sie sind kein Demokrat, schämen Sie sich!“, schmettert sie ihm entgegen. Verstehen kann man das auf der Pressetribüne nicht. Doch so erzählt sie es später auf den Landtagsfluren.
Tränen in den Augen
Unterdessen verlassen zahlreiche BesucherInnen noch vor der Vereidigung des neuen Ministerpräsidenten die Besuchertribüne. „Wie furchtbar“, schluchzt eine junge Frau. Auch ihre Begleiterin hat Tränen in den Augen. Die, die bei Linken und Grünen noch auf ihren Abgeordnetenplätzen sitzen, gucken entsetzt. So hatten sie sich den Tag gewiss nicht vorgestellt.
Um elf Uhr hatte die Landtagssondersitzung begonnen. Zunächst stellen sich nur zwei Kandidaten zur Wahl: Ramelow für Rot-Rot-Grün, Kindervater für die AfD. Doch in den ersten beiden Wahlgängen erhält keiner der beiden die absolute Mehrheit, die hier noch nötig ist. Ramelow fehlen im ersten Wahlgang dazu drei, im zweiten nur noch zwei Stimmen.
Auf den Landtagsfluren wird vermutet, dass CDU-Abgeordnete für ihn gestimmt haben. Schließlich ist er ein außerordentlich beliebter Ministerpräsident und ein gemäßigter Linker dazu. Anderswo wäre er vielleicht Sozialdemokrat.
Um 12 Uhr 45 ruft Landtagspräsidentin Keller dann den dritten Wahlgang auf. Jetzt reicht die einfache Mehrheit. Gewählt ist also, wer die meisten Stimmen bekommt. Ramelow und Kindervater kandidieren erneut. „Für die FDP darf ich Thomas Kemmerich vorschlagen“, sagt Robert-Martin Montag, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion. Keller unterbricht die Sitzung für 20 Minuten, es müssen neue Wahlzettel gedruckt werden.
Es wird eng für Ramelow
Die Linke Hennig-Wellsow geht raus, die Grüne Astrid Rothe-Beilich setzt sich auf deren Platz neben Ramelow. Sie reden und gucken ernst dabei. Sie wissen: Die CDU hat im Vorfeld beschlossen, für Kemmerich zu votieren, falls dieser antritt. Wenn die AfD jetzt noch für den FDP-Mann votiert, wird es eng für Ramelow.
Als Kemmerichs Name zur Abgabe seiner Stimme aufgerufen wird, kommt er auf dem Weg zur Wahlurne an Ramelow vorbei. Die beiden sprechen kurz. Wenig später ist Ramelow dran. Als er den Wahlzettel in die Urne wirft, hält er kurz inne und schaut hoch, die Kameras klicken. Das dürften die letzten Bilder von ihm als Ministerpräsident sein. Eine Viertelstunde später ist das Geschichte.
Nach dem Wahlergebnis wird draußen vor dem Plenarsaal Mike Mohring, CDU-Fraktionschef, von der Presse bestürmt. „Wir haben uns entschieden, den Kandidaten der bürgerlichen Mitte zu unterstützen“, sagt Mohring. Und dass er nicht verantwortlich für die Kandidaturen anderer Parteien sei. Man sei alle Eventualitäten durchgegangen, „aber in eine Glaskugel habe ich nicht geschaut“.
Auf den Vorwurf, seine Partei habe durch die Wahl des von der AfD unterstützten Kemmerichs einen Tabubruch begangen, sagt er, er erwarte nun eine „klare Abgrenzung zur AfD“ von diesem. Dann seien Koalitionsgespräche möglich. Auch Raymond Walk, CDU-Generalsekretär, sagt: „Für das Wahlverhalten anderer Parteien sind wir nicht verantwortlich.“
Rot-rot-grün „geschockt“
Von PolitikerInnen von Rot-Rot-Grün hört man vor allem Entsetzen. „Das ist ein beispielloser politischer Tabubruch“, sagt der grüne Fraktionschef Dirk Adams. Nach dem CDU-Beschluss, im dritten Wahlgang für Kemmerich zu stimmen, habe man die AfD-Variante zwar durchgespielt, aber nicht ernsthaft damit gerechnet.
Der Bundesgeschäftsführer der Linken, Jörg Schindler, der das Geschehen auf der Besuchertribüne verfolgt hat, plädiert für Neuwahlen. „Die FDP lässt sich von einer Fraktion Macht verschaffen, die von Faschisten getragen wird. Das untergräbt die Demokratie.“
Die Landes-SPD wirft den Liberalen eine „Missachtung des Wählerwillens“ vor. Er sei „geschockt, dass die FDP sich hergibt, Spielchen mit der AfD zu machen“, sagt der bisherige Landesinnenminister Georg Maier. Die Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten entspreche nicht dem Votum der Wähler.
Landeschef Wolfgang Tiefensee schließt jede Mitarbeit von SPD-Ministern in einem Kabinett Kemmerich aus. Eine solche Option hatte dieser vorab angeboten. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke spricht von einem „guten Tag für Thüringen“.
Spontane Demos gegen Kemmerich
Das sehen nicht alle so. Schon am Nachmittag kommen vor dem Landtag etwa 300 Menschen zu einer spontanen Demonstration zusammen. Sie halten Plakate mit „Betrug am Wähler“ und „Stoppt AfD“ hoch, auch ein Foto von Ramelow mit der Aufschrift „Still mein MP“ ist dabei. Dazu Pfiffe und Buhrufe.
Innen tritt der frisch gewählte Ministerpräsident mit einem Statement vor den Landtag. Hohngelächter und „Scharlatan“-Zwischenrufe begleiten es. „Die Brandmauern gegenüber Extremisten bleiben erhalten“, beschwichtigt Kemmerich. „Ich bin Anti-AfD und Anti-Höcke“, fügte er später vor Journalisten hinzu. Es werde keine Koalition und keine AfD-Politik mit ihm geben.
Wie er dann Mehrheiten für seine bürgerliche Politik finden wolle? Kemmerich bietet CDU, SPD und Grünen Gespräche über eine Regierungsarbeit an.
Ohne die AfD aber verfügte eine sogenannte Simbabwe-Koalition auch nur über eine Minderheit von 40 der 90 Landtagssitze. Wie das künftige Abstimmungsverhalten aussehen könnte, zeigte bereits deren gemeinsames Votum für eine Vertagung der vorgesehenen Kabinettsvereidigung.
Eines ist aber nach Aussage der linken Landtagspräsidentin Birgit Keller klar: Bis Mittwoch 18 Uhr bereits mussten der gescheiterte Bodo Ramelow und seine Mitarbeiter die Büros der Staatskanzlei räumen. Kemmerich hat das gegenüber der taz allerdings dementiert.
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