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FDP stellt Thüringer MinisterpräsidentDer Damm nach rechts ist gebrochen

Empörung im linken Lager, Beschwichtigungen der „Bürgerlichen“: Wie es zur Wahl von Thomas Kemmerich dank der AfD kam.

Mann der AFDP: Thomas Kemmerich Foto: dpa

Erfurt taz | Nach dem dritten Wahlgang, Landtagspräsidentin Birgit Keller hat gerade das Ergebnis verkündet, steht der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner hinter der Pressetribüne im Thüringer Landtag. „Genauso war das gedacht “, sagt Brandner und grinst breit. „Und keiner hat es gemerkt.“

Was er damit meint: FDP-Landeschef Thomas Kemmerich, dessen Partei mit 5 Prozent in den Landtag eingezogen ist, ist gerade mit 45 Stimmen zum neuen Ministerpräsidenten gewählt worden – mutmaßlich von der FDP selbst, der CDU und der AfD. Damit ist er der erste Ministerpräsident in Deutschland, der sich von der extrem rechten Partei hat wählen lassen. Es ist ein Dammbruch, mit dem in Erfurt kaum einer gerechnet hatte.

Der bisherige Ministerpräsident Bodo Ramelow hat 44 Stimmen bekommen, nur eine weniger als Kemmerich. Rot-Rot-Grün, die eigentlich eine Minderheitsregierung bilden wollten und den Koalitionsvertrag schon unterzeichnet hatten, kommen gemeinsam auf zwei weniger. Es gab nur eine Enthaltung.

Die AfD hat damit ihren eigenen Kandidaten, den parteilosen Christoph Kindervater, ehrenamtlicher Bürgermeister einer kleinen Gemeinde in Nordwesten Thüringens, zur Staffage gemacht. Er bekam keine einzige Stimme.

Blumenstrauß vor die Füße

Ich bin geschockt, dass die FDP sich hergibt, Spielchen mit der AfD zu machen

Georg Maier, Landesinnenminister, SPD

Als Landtagspräsidentin Keller das Ergebnis verkündet, reagieren FDP und CDU merkwürdig verhalten. Vor allem bei der AfD aber bricht Jubel aus. Dann fragt Keller den FDP-Mann, ob er die Wahl annehme.

Kann er das? Will er wirklich der erste Ministerpräsident von Gnaden der AfD sein? Er will. „Ich nehme die Wahl an“, sagt Kemmerich. Sein Bundeschef Christian Lindner hatte das jüngst noch für ausgeschlossen erklärt.

Kurz darauf verlässt Ramelow den Saal. Björn Höcke, Fraktionschef der AfD im Landtag und einer der ganz Rechten in seiner rechten Partei, ist unter den ersten, die Kemmerich gratulieren.

Susanne Hennig-Wellsow, Fraktionschefin der Linken, geht mit einem Blumenstrauß auf ihn zu. Doch anstatt ihm zu gratulieren, wirft sie ihn Kemmerich vor die Füße. „Sie sind kein Demokrat, schämen Sie sich!“, schmettert sie ihm entgegen. Verstehen kann man das auf der Pressetribüne nicht. Doch so erzählt sie es später auf den Landtagsfluren.

Tränen in den Augen

Unterdessen verlassen zahlreiche BesucherInnen noch vor der Vereidigung des neuen Ministerpräsidenten die Besuchertribüne. „Wie furchtbar“, schluchzt eine junge Frau. Auch ihre Begleiterin hat Tränen in den Augen. Die, die bei Linken und Grünen noch auf ihren Abgeordnetenplätzen sitzen, gucken entsetzt. So hatten sie sich den Tag gewiss nicht vorgestellt.

Um elf Uhr hatte die Landtagssondersitzung begonnen. Zunächst stellen sich nur zwei Kandidaten zur Wahl: Ramelow für Rot-Rot-Grün, Kindervater für die AfD. Doch in den ersten beiden Wahlgängen erhält keiner der beiden die absolute Mehrheit, die hier noch nötig ist. Ramelow fehlen im ersten Wahlgang dazu drei, im zweiten nur noch zwei Stimmen.

Auf den Landtagsfluren wird vermutet, dass CDU-Abgeordnete für ihn gestimmt haben. Schließlich ist er ein außerordentlich beliebter Ministerpräsident und ein gemäßigter Linker dazu. Anderswo wäre er vielleicht Sozialdemokrat.

Um 12 Uhr 45 ruft Landtagspräsidentin Keller dann den dritten Wahlgang auf. Jetzt reicht die einfache Mehrheit. Gewählt ist also, wer die meisten Stimmen bekommt. Ramelow und Kindervater kandidieren erneut. „Für die FDP darf ich Thomas Kemmerich vorschlagen“, sagt Robert-Martin Montag, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion. Keller unterbricht die Sitzung für 20 Minuten, es müssen neue Wahlzettel gedruckt werden.

Es wird eng für Ramelow

Die Linke Hennig-Wellsow geht raus, die Grüne Astrid Rothe-Beilich setzt sich auf deren Platz neben Ramelow. Sie reden und gucken ernst dabei. Sie wissen: Die CDU hat im Vorfeld beschlossen, für Kemmerich zu votieren, falls dieser antritt. Wenn die AfD jetzt noch für den FDP-Mann votiert, wird es eng für Ramelow.

Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow tröstet den abgewählten Ministerpräsident Bodo Ramelow Foto: dpa

Als Kemmerichs Name zur Abgabe seiner Stimme aufgerufen wird, kommt er auf dem Weg zur Wahlurne an Ramelow vorbei. Die beiden sprechen kurz. Wenig später ist Ramelow dran. Als er den Wahlzettel in die Urne wirft, hält er kurz inne und schaut hoch, die Kameras klicken. Das dürften die letzten Bilder von ihm als Ministerpräsident sein. Eine Viertelstunde später ist das Geschichte.

Nach dem Wahlergebnis wird draußen vor dem Plenarsaal Mike Mohring, CDU-Fraktionschef, von der Presse bestürmt. „Wir haben uns entschieden, den Kandidaten der bürgerlichen Mitte zu unterstützen“, sagt Mohring. Und dass er nicht verantwortlich für die Kandidaturen anderer Parteien sei. Man sei alle Eventualitäten durchgegangen, „aber in eine Glaskugel habe ich nicht geschaut“.

Auf den Vorwurf, seine Partei habe durch die Wahl des von der AfD unterstützten Kemmerichs einen Tabubruch begangen, sagt er, er erwarte nun eine „klare Abgrenzung zur AfD“ von diesem. Dann seien Koalitionsgespräche möglich. Auch Raymond Walk, CDU-Generalsekretär, sagt: „Für das Wahlverhalten anderer Parteien sind wir nicht verantwortlich.“

Rot-rot-grün „geschockt“

Von PolitikerInnen von Rot-Rot-Grün hört man vor allem Entsetzen. „Das ist ein beispielloser politischer Tabubruch“, sagt der grüne Fraktionschef Dirk Adams. Nach dem CDU-Beschluss, im dritten Wahlgang für Kemmerich zu stimmen, habe man die AfD-Variante zwar durchgespielt, aber nicht ernsthaft damit gerechnet.

Der Bundesgeschäftsführer der Linken, Jörg Schindler, der das Geschehen auf der Besuchertribüne verfolgt hat, plädiert für Neuwahlen. „Die FDP lässt sich von einer Fraktion Macht verschaffen, die von Faschisten getragen wird. Das untergräbt die Demokratie.“

Die Landes-SPD wirft den Liberalen eine „Missachtung des Wählerwillens“ vor. Er sei „geschockt, dass die FDP sich hergibt, Spielchen mit der AfD zu machen“, sagt der bisherige Landesinnenminister Georg Maier. Die Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten entspreche nicht dem Votum der Wähler.

Landeschef Wolfgang Tiefensee schließt jede Mitarbeit von SPD-Ministern in einem Kabinett Kemmerich aus. Eine solche Option hatte dieser vorab angeboten. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke spricht von einem „guten Tag für Thüringen“.

Spontane Demos gegen Kemmerich

Das sehen nicht alle so. Schon am Nachmittag kommen vor dem Landtag etwa 300 Menschen zu einer spontanen Demonstration zusammen. Sie halten Plakate mit „Betrug am Wähler“ und „Stoppt AfD“ hoch, auch ein Foto von Ramelow mit der Aufschrift „Still mein MP“ ist dabei. Dazu Pfiffe und Buhrufe.

Innen tritt der frisch gewählte Ministerpräsident mit einem Statement vor den Landtag. Hohngelächter und „Scharlatan“-Zwischenrufe begleiten es. „Die Brandmauern gegenüber Extremisten bleiben erhalten“, beschwichtigt Kemmerich. „Ich bin Anti-AfD und Anti-Höcke“, fügte er später vor Journalisten hinzu. Es werde keine Koalition und keine AfD-Politik mit ihm geben.

Wie er dann Mehrheiten für seine bürgerliche Politik finden wolle? Kemmerich bietet CDU, SPD und Grünen Gespräche über eine Regierungsarbeit an.

Ohne die AfD aber verfügte eine sogenannte Simbabwe-Koalition auch nur über eine Minderheit von 40 der 90 Landtagssitze. Wie das künftige Abstimmungsverhalten aussehen könnte, zeigte bereits deren gemeinsames Votum für eine Vertagung der vorgesehenen Kabinettsvereidigung.

Eines ist aber nach Aussage der linken Landtagspräsidentin Birgit Keller klar: Bis Mittwoch 18 Uhr bereits mussten der gescheiterte Bodo Ramelow und seine Mitarbeiter die Büros der Staatskanzlei räumen. Kemmerich hat das gegenüber der taz allerdings dementiert.

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40 Kommentare

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  • "Ich denke, das sinnvollste ist jetzt eine Politik zu betreiben, die sinnvoll ist, ohne Abstimmung mit der AFD,"



    Genau das ist aber für eine gelb-schwarze Minderheitsregierung nicht möglich. Jede einzelne Entscheidung wird mindestens auf die Duldung der AfD angewiesen sein. Denkbar wäre allenfalls noch die Variante, dass nun auch noch SPD und Grüne sich hinter schwarz-gelb positionieren, eher aus Staatsraison als aus Überzeugung. Bei der Vorgeschichte dürfte das jedoch unwahrscheinlich sein.

    • @Ingo Bernable:

      @Jensen

  • Die FDP (ja die selbsternannte Spaßpartei der Besserverdienenden, die Armut mit spätrömischer Dekadenz verwechselt und in NRW die schärfere Mietpreisbremse für Ballungsräume gekippt hat) hat erneut eindrucksvoll bestätigt, was sie unter sozialer Verantwortung versteht. Ich kann nur jeden bitten bei den nächsten Wahlen daran zu denken.

  • Wie wären die Reaktionen, wenn die AFD Die Linke und ramelow unterstützt hätten? Gäbe es dann auch die Forderung die Wahl nicht anzunehmen oder Demos vor der Linken Parteizentrale?

    Dies sollte man nicht als abwegig abtun, sondern einfach mal als Frage der Selbstreflexion mit sich durch gehen. Im Spiel der Taktierung und verstoßen gegen ungeschriebene Regeln (die somit nicht wirklich relevant sind), könnte man dies der AFD durchaus zutrauen, um die bestehenden Parteien vorzuführen, was bisher eine der Strategien und Ziele der AFD waren.

    Wenn alle sich dann genauso echauffieren, wäre das Ergebnis Unregierbarkeit und dies könnte zu weiterer Ablehnung der anderen Parteien und einem weiteren Zulauf zur AFD führen.

    Ich denke, das sinnvollste ist jetzt eine Politik zu betreiben, die sinnvoll ist, ohne Abstimmung mit der AFD, und die gemäßigten Wähler der AFD abholt, anstatt ihnen weiter welche zuzutreiben. Hier könnte eine Minderheitsregierung der schwächsten Koalition helfen, da diese sich immer mit1 den anderen Parteien abstimmen muss und somit ein breiteren Konsens benötigt.

    • @Jensen:

      Das Ding ist, dass eine solche Variante deutlich weniger auffällig wäre. Wenn nur grade genug AfDler für Ramelow stimmen, damit er knapp über 45 Stimmen kommt, fällt das keinem auf.



      Wenn die AfD geschlossen für Ramelow stimmt, kommt er auf 64 Stimmen (und der AfD-Kandidat auf 0), aber die Vermutung bleibt, dass u.U. der eine oder andere CDUler Sorge vor der aktuell eingetretenen Variante hatte.



      Aber ja, wenn die AfD Ramelow zum MP gemacht hätte, würden wir in grössten Teilen der Presse lesen, dass das das Zeichen sei, dass Die Linke eben auch extremistisch sei.

      • @BigRed:

        Die AFD würde dies in meinem Szenario nur tun, um ein Zeichen zu setzen und nicht, um Die Linke zur Macht zu verhelfen. D.h. die AFD hätte klar gestellt, dass diese dafür gestimmt haben. Alles hypothetisch.

        Was die Presse schreibt ist eines, was die Kommentare hier und Reaktionen auf der Straße sind etwas anderes.

        Und ja, Die Linke ist in (für mich weiten) Teilen extremistisch.

        • @Jensen:

          "Die Linke ist in (für mich weiten) Teilen extremistisch."



          Da es hier ja um die Ost-Linke und vor Allem Bodo Ramelow geht: Halten Sie auch Teile der SPD für extremistisch?

          • @Ingo Bernable:

            Abgesehen davon, dass Sie eine völlig andere Diskusion aufmachen, lassen Sie mich gegenfragen, da ich kein Interesse daran haben, ihnen meine Meinung zu allen Parteien kund zu tun.

            Unterscheiden Sie zwischen West und Ost AFD hinsichtlich des Extremismus oder zwischen völkischem und nicht völkischem Flügel?

            • @Jensen:

              Die inhaltlich-ideologische Spaltung zwischen Ost und West halte ich in der Tat im Wesentlichen für ein Unikum der Linken.



              Bei der AfD hingegen scheint mir eher der Blick auf die chronologische Entwicklung aufschlussreich zu sein. Im "Euroskeptizismus" eines Luckes kann man zwar politisches Blindgängertum erkennen, die Kategorie Völkisch-Nationalistisch war er sicher nicht. Gleichzeitig muss man feststellen, dass seitdem jeder Versuch die immer weiter fortschreitende Radikalisierung diess Vereins aufzuhalten oder wenigstens zu mäßigen seitdem fehlgeschlagen und auch aktuell kann ich keinerlei ernsthafte Initiative des "nicht-völkischen" Teils der AfD erkennen den mittlerweile offen rechtsradikalen Bestrebungen des anderen Teils etwas entgegenzusetzen.



              Im Übrigen sei Ihnen angeraten sich einmal mit Historie und Kritik des Extremismusbegriffs zu befassen.

              • @Ingo Bernable:

                Vielen Dank für den Hinweis, meine Meinung sehe ich bestätigt. Gerne dürfen Sie sich auch mit der Geschichte der Linken und deren Mitgliedern bis heute befassen.

  • die AFD ist eine innerhalb des demokratischen Systems zugelassene Partei. Das darf man nicht vergessen, es hat seinen Grund das die da sind. Der FDP Kandidat hat gewonnen und die Wahl angenommen, obwohl er nur von 5 % der Bevölkerung gewählt worden ist. Hier stimmt was nicht an dem ganzen System!!

    • @Maika L:

      Sie wiederholen leider nur das seit Existenz der AfD in deutschen Parlamenten in Dauerschleife wiedergekäuerte politische Unverständnis demokratieferner rechter Zeitgenossen in Lande.

      Ja, dieser Verein ist eine zugelassene Partei, da sie formal die Anforderungen des deutschen Parteiengesetzes erfüllt. Die erfüllen auch NPD, Pro-Chemnitz, "Die Rechte" und andere Naziparteien.

      Und die treten auch an. NPD wurde in freier geheimer Wahl 2004 & 2009 in den sächs. LT gewählt, die NSDAP erstmal 1928 in der Reichtag ebenso. Machte sie das zu Demokraten? Die Antwort überlasse ich Ihnen.

      Nein, sie ist keine demokratische Partei, was ihre Positionen, was die Aussagen des Führungspersonals, was das Auftreten in der Öffentlichkeit anbetrifft.

      Ganz zu schweigen von fehlendem demokratischen Grundüberzeugungen des politisch verrohten Fußvolks und Mitläufer, deren "Gedankenwelt" wir täglich in Facebook-/Twitterergüssen, Shitstorms gegen 16-jährige Umweltaktivisiten, gegen eine Berliner MdB oder gegen Deutsche mit ausländischen Wurzeln miterleben können.

      Einige Mitläufer kleben auch schon mal AfD-Wahlplakate im Wahlkampf oder spenden 150 Euro bevor sie (mutmaßlich) einen Herrn Lübcke exekutieren in alter SS-Genickschussmanier.

      Zweite Dauerfehleinschätzung auf rechtsaußen:

      Es gibt in einem leidlich funktionierenden demokratischen Staat keine selbst herbei fantasierte "Notwehr-Wahl" einer offen GG-feindlichen Partei, weil angeblich (in einer kurz vor der Scharia & Umvolkung stehenden "Merkeldiktatur") dem geschundenen kleinen "Konservativen" keine andere Wahl bleibt als diesen Haufen zu wählen. Das Notwehrargument ist eine billige Ausflucht.

      Protest kann man auch auf anständige Weise äußern. Die Wahl der AfD dagegen ist Ausdruck der eigenen demokratischen Unreife. Gestandene aufrechte Demokraten wählen sowas nicht, schon aus Gründen der Eigenhygiene.

  • taz: Thüringens AfD-Chef Björn Höcke spricht von einem „guten Tag für Thüringen“.

    So hebelt man die Demokratie in Deutschland langsam aus. "FDP-Vize Wolfgang Kubicki sieht in der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten in Thüringen einen großen Erfolg für den Kandidaten seiner Partei. Kubicki sagte am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur: "Es ist ein großartiger Erfolg für Thomas Kemmerich." [Süddeutsche Zeitung - 5.2.2020]. Diese Worte von Wolfgang Kubicki (FDP) sollte man sich merken. Die FDP hätte niemals wieder über 5 Prozent kommen dürfen. Die FDP hat Björn Höcke (AfD) jetzt die Macht gegeben, die Höcke haben will.

    *Der Soziologe Andreas Kemper über "Landolf Ladig" alias Björn Höcke (AfD) - Jung & Naiv* www.youtube.com/watch?v=5r1bzvO4E6k

  • Zur Erhellung der Causa noch ein paar Beobachtungen, die gestern bei der Übertragung im MDR-Livestream eingefangen wurden.

    Zum Thema "regelgerecht ausgetrickst" (siehe unten "Tim Broich").

    Sehe ich auch so, aber es war eben auch vorher absehbar, wenn man selbst als bloßer TV-Beobachter die Lage mit etwas politischem Gespür und Verstand für Taktik "fast greifen" konnte.

    Nazis, Faschisten kamen & kommen nur durch politisch, taktisches Versagen der anderen Akteure in die Nähe oder ganz an die Macht. Das galt für Weimar mit seinen demokratie-fernen deutschen Konservativen und Reaktionären vom Schlage Brüning / v. Papen / Hugenberg und gilt anscheinend leider heute für die historisch / demokratie-theoretisch arg unterbelichtete Ost-CDU & Ost-FDP (obwohl: Kemmerich stammt aus Aachen!).

    Nochmal: Die AfD-Nummer mit dem parteilosen "Hutbürger" (man lese mal dessen alte öffentliche Postings nach, Stichwort "Merkeldiktatur") war pure, taktisch perfide Trickserei.

    Diese Figur wurde von wem gecoacht? Alle mal "wundern" ... von dem als Antisemiten geouteten und als Rechtsausschussvorsitzender geschassten AfD-MdB Brandner (Flügel- und Höcke-Standartenführer).

    Höcke und Brandner sind sozusagen die Strategen hinter der Aktion, die allen parlamentarischen Regeln widersprechend einen eigenen Kandidaten nominieren und ihn dann im entscheidenden Wahlgang selbst mit Null Stimmen im teuflischen Spiel zu verbrennen.

    Das faustische Grinsen Branders und dieser Strohpuppe neben ihm beim Blick der TV-Kamera auf die Besuchertribüne vor (!) der Abstimmungsverkündung sagte alles.

    Unser Land muss sich mit dieser Art von skrupelosem Vorgehen gegen die Norm von Faschisten in Parlamenten einstellen.

    Vielmehr noch muss die CDU und FDP ihre Leute (zum Teil mit Blockflötenvergangenheit, also autoritär-strukturierter Charakterprägung) mal zum Demokratie-Coaching schicken. Vor allem ein gutes Geschichtsbuch ist anzuraten als Hausaufgabe zum Ende der Weimarer Republik.

  • Und er sprach: "Wir werden sie jagen".



    Und sie hörten es, gingen zu ihm und ließen sich jagen.



    (1. Buch Gauland)

    • @weidedammer:

      Die Bezeichnung als Dammbruch ist für die Ereignisse in Erfurt leider absolut zutreffend.



      Eine Fortsetzung der GroKo mit einer CDU, die dem Hufeisen derart verhaftet ist, dass sie die Abhängigkeit einer Regierung von der Duldung durch die AfD und vor allem deren "Flügel" einem de-facto sozialdemokratischen Bodo Ramelow als Ministerpräsidenten vorzieht, darf es nicht geben.

    • @weidedammer:

      Ihr Heiland scheint mir eher ein durchgeknallter Guru zu sein.

      • @Ingo Bernable:

        Nicht Heiland, ein Prophet der Rechten.

  • Kurzes Gedankenexperiment:



    Wenn die Afd geschlossen Ramelow gewählt hätte, hätte dieser nach der hier herrschenden Meinung die Wahl nicht annehmen dürfen.



    Seh ich das korrekt?

    • @Hannes Petersen:

      Ja. Allerdings nur dann, wenn er nicht auch ohne die "AfD"-Stimmen die notwendige Mehrheit gehabt hätte.

      • @Adam Weishaupt:

        D'accord. Eine Regierung ins Amt zu bringen die bei jedem noch so kleinen Vorhaben der Duldung durch die AfD ausgeliefert ist, muss für Demokraten ein Tabu bleiben.

  • AFDP

  • War das Manöver nicht schon zu ahnen, als ein ehrenamtlicher Bürgermeister einer 350 Seelen Gemeine kurzfristig zum MP Kandidaten ernannt wurde? Hausaufgaben müssen halt auch erfahrene Politiker machen...

  • Machtspielchen first, bedenken second!

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    „Ich bin Anti-AfD und Anti-Höcke“, sagt ein 5%-Partei-MP ohne AfD-freie Mehrheit. Was ist nur aus der mathematischen Grundbildung hierzulande geworden? Von Geschichts- und Demokratie-Bildung beschämt zu schweigen.



    Und die Partei, die solche Leute hervorbringt, wagt es sich als "Leitungsträger" zu gerieren!



    Muss man sich denn wirklich ununterbrochen fremdschämen?

    • @90946 (Profil gelöscht):

      "„Ich bin Anti-AfD und Anti-Höcke“, sagt ein 5%-Partei-MP ohne AfD-freie Mehrheit."

      Gar nicht so unwahrscheinlich, denn was ist denn eigentlich passiert?

      Z.Z. wird ja viel über (geheime) Absprachen zwischen CDU, FDP und AFD spekuliert.

      Auch wenn ich dies durchaus für möglich halte, aber im konkreten Fall ist die Wahrheit so wohl wesentlich profaner als auch erschreckender.

      Drei Kandidaten im 3. Wahlgang. Es reicht die einfache Mehrheit. SPD, Linke und Grüne unterstützen Ramelow. CDU und FDP wollen diesen nicht unterstützen, also stimmen sie für Kemmerich. Zum Schein, denn sie wissen, daß sie Ramelow nicht verhindern können, können ihren Wählern aber auch nicht erklären, wenn sie für diesen stimmen würden. Die AFD spielt keine Rolle, hat sie doch einen eigenen Kandidaten, den sonst niemand unterstützt und der also chancenlos ist.

      Womit wirklich niemand rechnet, und worin auch die beinahe teuflische Genialität der AFD hier besteht: sie stimmt geschlossen gegen ihren eigenen Kandidaten und für Kemmerich !

      Hätte zu gerne Lindners Gesicht gesehen, als er erfuhr, daß es einen FDP MP gibt, dessen Partei mit 5% im Landtag vertreten ist und der zu allen Überfluss auch noch von der AFD gewählt wurde.

      Ums kurz zu machen. Die AFD hat einfach alle anderen Parteien regelkonform ausgetrickst!

      Und das entscheidende Wort hier lautet regelkonform. Denn dies wird dafür sorgen, daß die durch diese Wahl ausgelösten Schockwellen noch sehr, sehr lange nachhallen werden.

      • @Tobias Schmidt:

        Und? Das Spielchen hätte die FDP leicht durchkreuzen können, indem Kemmerich die Wahl nicht angenommen hätte. Hat sie aber nicht. Dort liegt die Verantwortung. Faschisten handeln nun mal wie Faschisten. Es kommt darauf an, wie die handeln, die sich Demokraten nennen.

      • @Tobias Schmidt:

        Die CDU hätte einen eigenen Kandidaten aufstellen können. Dann wäre es auch mit AfD Hilfe unmöglich gewesen dass der FDP oder CDU Kandidat mehr Stimmen als Ramelow bekommt solange die beiden Parteien für den eigenen Kandidaten stimmen. Aber CDU und FDP konnten 1+1 zusammenzählen und haben sich dazu entschieden diese Strategie umzusetzen um die Regierung zu uebernehmen. Alles 'Wer haette die AfD Trickserei vorhersehen können' ist ein Heuchler oder ein Idiot.

        Ich halte diese Strategie allerdings anders als die hyperventilierende Bundespolitik auch für legitim. Warum sollten sie das nicht wenn sich die Möglichkeit ergibt. Nur weil die Unterstützung aus der falschen Ecke kommt? Das war kein Koalitionsvertrag und haben der AfD keinerlei Zugeständnisse gemacht. Sie haben es einzig und allein geschafft die exekutive Gewalt von von der RRG Koalition auf die FDP zu übertragen. Das wird vermutlich auch im Sinne der meisten FPD/CDU Wähler sein.

      • @Tobias Schmidt:

        "ausgetrickst" ist nicht präzise, die AfD hat letztlich keinen Vorteil aus dem Ausgang der Wahl. Aber sie hat die anderen Parteien regelrecht vorgeführt. Deren schwammige Haltung zur AfD führte letztlich zum absurden Ergebnis, dass nicht die größte oder zweitgrößte, sondern die denkbar kleinste Fraktion den MiniPrä stellt, fernab jeglicher parlamentarischen Mehrheit oder auch nur Aussicht auf eine tragfähige Koalition. Von einem Regierungsprogramm ganz zu schweigen.



        Verdient war das nicht: Eine rechte Mehrheit war zwar denkbar, und man kann den Abgeordneten von CDU und FDP auch nicht vorwerfen, für einen der ihren gestimmt zu haben. Unfassbar aber, dass dieser Mensch dann so charakterlos sein würde, diese Wahl auch noch anzunehmen, anstatt das Selbstverständliche zu sagen: "Ich nehme die Wahl nicht an, da ein Großteil der Stimmen für mich nicht aus ehrlicher Überzeugung, sondern als Zeichen der Verachtung abgegeben wurde."



        Erich Kästner: Nie sollt ihr so tief sinken, den Kakao, durch den man euch zieht, auch noch selber zu trinken.



        Und die AfD? Gelungener Coup, aber Ruf weiter zerstört: Was soll man denn von einer Partei halten, die einen ihrer Abgeordneten nominiert, dann aber geschlossen - inklusive dieses eigenen Kandidaten! - einen anderen wählt? Jenen mangels Erfolgsaussichten zurückzuziehen und die Wahl eines "bürgerlichen" Kandidaten anzukündigen, wäre aufrichtig gewesen, ist bei dieser Partei aber nicht drin, nirgends, nie. Dass den Herren von CDU und FDP ins Stammbuch geschrieben, die mit einer offenen oder verdeckten Zusammenarbeit liebäugeln. Bei der nächsten Wahl eines Bundestagsvize muss jetzt auch keiner mehr aus seinem Herzen eine Mördergrube machen.

      • @Tobias Schmidt:

        Zu kurz gesprungen: eine sehr schlaue CDU hätte sich absprechen können, dass 5 Abgeordnete Ramelow wählen, dann hätte er seine Mehrheit gehabt. Und eine willige (!) FDP hätte die Wahl nicht angenommen oder könnte noch dafür sorgen, dass Kemmerich zurücktritt.



        So leicht kann eine AfD auch nicht willige und fähige Politiker anderer Parteien austricksen. Da sie (auch FDP und CDU in Absprache) noch zurück können, ist ein Nicht-Handeln somit eindeutig ein Nicht-Wollen.

        • @Eokdipl:

          Warum sollten 5 Abgeordnete das tun. Unlogisch.

          • 6G
            68514 (Profil gelöscht)
            @Kenni303:

            Weil es zwei Abgeordnete ja wohl getan haben. Oder wie wollen Sie die zwei Stimmen für Ramelow erklären, die definitiv nicht von RRG kommen konnten?

      • @Tobias Schmidt:

        Rein rechnerisch hätte es ohne die Stimmen der AfD NIEMALS für Kemmerich gereicht. Wollte man nur nicht für Ramelow stimmen, man hätte sich enthalten können. Überhaupt zur Wahl anzutreten war eine Einladung an die AfD, unterm Tisch zu schmusen. Und sollte das wirklich überraschend und unvorhergesehen passiert sein, haben Menschen mit so wenig Blickweite NICHTS aber auch GAR NICHTS in einer Regierung verloren.

      • @Tobias Schmidt:

        Ihre Schilderung scheint genau den Tatsachen zu entsprechen. Die AfD hat -wie Sie richtig sagen- "... einfach alle anderen Parteien regelkonform ausgetrickst!" Es gibt kein moralisches Recht darauf, dass CDU und FDP einen Kandidaten wählen, den sie nicht wollen. Obwohl Ramelow mit Abstand die beste Option war.

        • @Rolf B.:

          "Ausgetrickst" dass ich nicht lache.

          CDU und FDP haben billigend in kauf genommen der AFD ein riesen Geschenk zu machen in dem sie ihnen ganz bewusst (denn so komplizierte Mathematik steckt ja nun nicht dahinter) die Möglichkeit gegeben haben, das Zünglein an der Waage zu sein.

          Nur ein Idiot hätte angenommen dass die AFD diese Option nicht wahrnehmen würde. Nur ein Idiot würde annehmen das der wesentlich Nutznießer dieser Geschichte nicht die AFD ist.

        • @Rolf B.:

          Nachsatz:



          Man kann und muss der CDU und der FDP den Vorwurf machen, dass sie Die Linke (und hier sogar Bodo Ramelow) als demokratische Partei nicht anerkennen. Das wirft die Frage auf, welches Verständnis von Demokratie diese Parteien überhaupt noch haben.

  • Die programmatischen Überschneidungen zwischen AFD und FDP sind auch, mit anderen Parteien verglichen, am größten. Insofern war die Aufregung der FDP, im Bundestag neben der AFD sitzen zu müssen, lächerlich.

  • Letztendlich ist nur folgerichtig.



    Dass die FDP bereit ist, alles für die Macht zu tun ist nicht neu.



    Die AfD ist eine Abspaltung des eurokritischen Flügels der FDP.



    Und dass „liberale“ Parteien keine Probleme mit Faschisten haben zeigt z.B. die FPÖ...