AfD-Drama in Thüringen: Grüne Krisengewinner
Die Grünen scheinen in Erfurt keine Rolle zu spielen. Doch könnten am Ende ausgerechnet sie am meisten vom „Dammbruch“ profitieren.
D ie Grünen spielen im Desaster von Thüringen keine große Rolle – und werden daher medial kaum mit Aufmerksamkeit bedacht. Die Grünen wirken nebensächlich: Sie kamen nur auf 5,2 Prozent der Stimmen und unterstützten treu den linken Ex-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Das Drama scheint vor allem die anderen Parteien zu berühren – von den Linken bis zur AfD.
Doch wäre es völlig falsch, die Grünen als uninteressante Restgröße zu betrachten. Denn nur die Angst vor den Grünen kann erklären, warum die CDU-Spitze auf klaren Konfrontationskurs zu ihrem Thüringer Landesverband geht. Die Unionsführung weiß genau: Wenn die eindeutige Abgrenzung zur AfD nicht gelingt, wird sie viele Wähler in der Mitte verlieren. Wenn nämlich jederzeit denkbar ist, dass Stimmen für die Union am Ende Rechtsradikalen an die Macht verhelfen, werden sich nicht wenige Bürger nach Alternativen umsehen. Die Grünen wären da die erste Adresse, denn sie sind längst in der „bürgerlichen Mitte“ angekommen. Plötzlich könnte Realität werden, was bis vor kurzem noch undenkbar war: Die Grünen könnten die Kanzlerin oder den Kanzler stellen.
Es war kein Zufall, dass CSU-Chef Markus Söder nach dem Thüringen-Coup sofort auf Sendung ging, um knallharte Botschaften an seine Parteifreunde in Erfurt zu übermitteln: „Das ist kein guter Tag für Thüringen, kein guter Tag für Deutschland und erst recht keiner für die Demokratie in unserem Land.“ Es handele sich um einen „inakzeptablen Dammbruch“, und der einzige Ausweg seien Neuwahlen.
Söder weiß, wovon er spricht. Für die CSU hat es sich nicht ausgezahlt, jahrelang die Forderungen der AfD zu übernehmen. Die bayerische Landtagswahl 2018 war eine Katastrophe: Die CSU kam nur noch auf 37,2 Prozent, während die Grünen auf 17,6 Prozent hochschossen und die AfD 10,2 Prozent erreichte. Ein Pakt mit den Rechtsradikalen ist der Todeskuss für die Union: Die rechten Wähler entscheiden sich lieber für das Original AfD, während die liberalen Konservativen zu den Grünen abwandern.
Es ist also paradox: Gerade weil die Grünen so eindeutig die Gegenposition zur AfD beziehen, könnten sie am Ende die einzigen Profiteure des Dramas von Erfurt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!