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Europas Afrika-PolitikDen Postkolonialismus überwinden!

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

Die päpstliche Forderung, von Afrika die Hände zu lassen, ist zu kurzsichtig. Stattdessen gilt es Hand in Hand die Folgen der Ausbeutung anzugehen.

Eine Studentin prüft Solarpanels auf dem Dach an der Strathmore University in Nairobi Foto: imago

Hände weg von Afrika!“ Der Beifall von Millionen Menschen im Kongo und von Katholik.innen in ganz Afrika ist dem Papst für diesen Ruf an die Welt gewiss. Und man mag dem Appell, sich von der kolonial geprägten Afrika-Politik zu verabschieden und die Ausbeutung des Kontinents zu beenden, von ganzem Herzen zustimmen. Zumal Afrika im Kontext des Ukraine-Krieges verstärkt wieder nur auf eine alternative Adresse für Rohstoffe reduziert wird. Und trotzdem regt sich Widerspruch.

Denn welch paternalistische Attitüde steckt da dahinter! Die päpstliche Forderung setzt genau jene kolonialistische Perzeption Afrikas als Opfer und als Rohstofflieferant fort. Und wenn Franziskus dem anfügt, Afrika „möge Gestalter seines Schicksals sein“, klingt die wohlmeinende Hoffnung obendrein noch zynisch. Das Schicksal haben die Kolonisatoren über die letzten beiden Jahrhunderte geformt. Dieses Erbe lässt sich nicht leicht abschütteln.

Nicht „Hände weg von Afrika“ muss es heißen, sondern „Hand in Hand in Afrika – und zwar zügig“. China baut im Wissen um den geopolitischen Wettkampf mit den USA seine wirtschaftliche Verankerung und den entsprechenden politischen Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent längst gewissenhaft und skrupellos aus. Der politische Westen dagegen hat keine gemeinsame Strategie. Die USA sind auf den Pazifikraum konzentriert.

Die EU überschüttet den Kontinent geradezu mit Initiativen, vom Paternalismus hat man sich in Europa noch nicht verabschiedet. In der neuen Afrika-Strategie des Entwicklungsministeriums in Berlin findet sich zwar der Ansatz einer partnerschaftlichen Entwicklung. Doch als der Bundeskanzler im Dienste der Ausbeutung senegalesischer Gasfelder bei seinem Afrika-Besuch einen Stopp in Dakar einlegte, stand das gewiss nicht im Vordergrund.

Gigantisches Entwicklungspotenzial

Afrika hat bald 1,4 Milliarden Einwohner und Einwohnerinnen. Die Bevölkerungszahlen steigen weiter steil an. Afrika hat eine extrem junge und immer jünger werdende Bevölkerung, die besser gebildet sein wird als die Generationen davor. Das kann man auch als gigantisches Entwicklungspotenzial begreifen. Selbstverständlich sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern Afrikas gravierend. Doch da entstehen wirtschaftliche Wachstumszentren, von denen in Deutschland vermutlich kaum jemand je etwas gehört hat.

Man kann auf den leidenden zurückgebliebenen Kontinent blicken. Man kann in der vertrauten Pose bleiben und in der aktuellen Energiekrise Rohstoffe aus Afrika importieren. Aber wäre die Vision eines jungen aufstrebenden Kontinents, der uns vormacht, wie grüner, klimaschonender Fortschritt geht, nicht viel verlockender? Der größte Anteil der afrikanischen CO2-Emmissionen stammt aus dem Agrarbereich, aus der Entwaldung, dem Verwenden von Kohle und Kerosin im häuslichen Bereich.

Etwa 600 Millionen Menschen in Afrika haben keinen Zugang zu Strom. Eine nachhaltige Strategie in der Bekämpfung der Energiearmut würde zu mehr Klimaschutz und dem Entstehen neuer Branchen vor Ort führen. Durch die Erderwärmung und die mit dem Ukrainekrieg explodierenden Lebensmittelpreise verschlechtern sich die Lebensbedingungen für die ärmeren Familien weiter. Allein in Ostafrika hungern Millionen, und der Hunger treibt viele Menschen zur Migration.

Eine partnerschaftliche, Grenzen überwindende Agrarstrategie könnte eine global stabilisierende Wirkung entfalten. Zugegeben: die weit verbreitete Korruption, gravierend unterschiedliche Bedingungen in den einzelnen Ländern und die innerafrikanische Kolonialgeschichte stehen dem genauso entgegen wie Bürgerkriege. Doch wer hat den Kontinent denn dorthin gebracht? Die Strategie muss sein, eine nachhaltige, stabile Wirtschaft zu fördern, die allen zugutekommt.

Dafür muss Europa den Mittelmeerraum annehmen und Afrika als gemeinsames Projekt begreifen. Alleingelassen, unter dem Motto „Hände weg von Afrika“, dem „Gestalter seines Schicksals“, würde sich die Krise in vielen Teilen Afrikas weiter zuspitzen. Die Kolonialstaaten tragen mit ihrer fossilen Industrialisierung eine doppelte Verantwortung, dem Kontinent den Sprung zu ermöglichen.

Das wird jedoch nur funktionieren, wenn man sich von der postkolonialen Arroganz trennt; wenn der Globale Norden seinen Verpflichtungen vom letzten Klimagipfel nachkommt, wenn Deutschland auch 100 Milliarden für eine Afrika-Strategie zur Verfügung stellt; wenn Finanzinstitutionen trotz niedriger Bonitätsratings bessere Konditionen bieten. Ziel muss eine nachhaltige Entwicklung sein, mit der Afrika mittelfristig der Sprung in die moderne, postkarbonisierte Weltwirtschaft gelingt.

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Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
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16 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Was mir hier fehlt, ist eine Bilanz, welche ausbeuterischen Staaten hier wieviel Anteil hatten. Es geht um eine Aufarbeitung, wer für Geld und Macht wie kolonialistisch sich gebärdet hat. Und da sind mir diese allgemeinen Sätze doch etwas pauschalisiert. Unsere Vorfahren haben sich an Verbrechen im Dritten Reich schuldig gemacht. Im Vergleich zu anderen Ländern ist aber wenigstens die koloniale Zeit von D kurz gewesen und die brutale Unterwerfung der Einheimischen ebenso, denkt man einmal an Frankreich, UK, Spanien (Südamerika!) oder Belgien (Kongo!). Bei den USA und Russland hiess das dann auch anders und nicht mehr Kolonialismus. Wie Landes in "Wohlstand und Armut der Nationen" schreibt, kann man in Indien (das einmal mit Werften und Stoffverarbeitung weltweit einen hohen Standard hatte) bis heute ablesen, wie lange die Engländer die einzelnen Teilen des Landes besetzt hatten - an dem Grad der wirtschaftlichen Regression. Ähnlich war es in einigen Staaten in Afrika.Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, ab wann mit Ausbeutung auch Zivilisation Einzug hielt. Der Text erwähnt mangelnde Elektrizität für viele wohl noch wenig erschlossene Regionen. Zynisch gefragt, stünden diese heute besser da mit Strom ohne Europa?

    Das Problem ist gewaltig - definitiv! Aber ich störe mich nach Jahren von Spendengeldern an Afrika (hat sich in der Sahelzone wirklich etwas geändert?) für ein weiter so an einfachen pauschalisierenden Statements.



    Was Gelder für Afrika konkret angeht, so würde man sich ein zukunftsweisendes Konzept wünschen, das garantiert, dass die dringend notwendigen Gelder auch korrekt ankommen. Weil an Korruption ist bisher viel good will gescheitert. Es scheint da nicht zielführend, vergangene Fehler nur im Nebensatz anzusprechen.

    Ausgezeichnet, wenn es endlich Zeit ist, die koloniale und imperiale Vergangenheit aufzuarbeiten! Dann aber bitte systematisch und mit Zahlen. Und wie weit wollen wir in die Gegenwart? Was ist mit der Destabilisierung von Lybien?

    • @Werner2:

      "Was mir hier fehlt, ist eine Bilanz, welche ausbeuterischen Staaten hier wieviel Anteil hatten."



      Um gegeneinander aufzurechnen, zu relativieren? ...



      "Unsere Vorfahren haben sich an Verbrechen im Dritten Reich schuldig gemacht. Im Vergleich zu anderen Ländern ist aber wenigstens die koloniale Zeit von D kurz gewesen"



      ... scheint so. In Deutschland fand übrigens die Kolonialismus-Konferenz statt, auf der europäische Staaten Afrika unter sich aufteilten.



      "Ähnlich war es in einigen Staaten in Afrika.Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, ab wann mit Ausbeutung auch Zivilisation Einzug hielt."



      Das was Sie hier zum besten geben, ist selbst ein kolonialistisches Märchen und spiegelt westliche Arroganz, Rassismus wider.



      Ansonsten hat Kolonialismus seine Kontinuitäten. Was ist an Kreditvergabe geknüpft worden? Wo kommen die Rohstoffe her? Wer kriegt wieviel dafür? ...

      • @Uranus:

        Herr Uranus, wenn Sie mir bitte einmal erklären, wieso mein Kommentar Rassismus widerspiegeln soll. Das ist ja wohl ein schlechter Witz. Haben Sie überhaupt verstanden, wie das von mir gemeint war?

  • "Postkolonialismus" - wie wäre es damit, erstmal den Neokolonialismus der EU und anderer zu überwinden? Der Papst liegt da gar nicht so verkehrt.



    Der Text ist voller Vokabeln aus dem Entwicklungssprech, der das business as usual von BRD & EU immer schlechter kaschiert: "wirtschaftliche Wachstumszentren", "Entwicklungspotenzial", und, klar, "nachhaltige Entwicklung". Darum geht es der kapitalistischen Politik seit Jahrzehnten, das Ergebnis ist bekannt.



    Ob die europäische Politik je vom Paternalismus wegkommt? Eher nicht. Die Art und Weise der diversen "Partnerschaften" wird den Afrikaner:innen doch seit jeher aufoktroyiert.



    Von all dem mal abgesehen - ein guter Beitrag zu einer sehr nötigen Debatte!

  • Echt jetzt? Eine deutliche Positionierung gegen Ausbeutung ist nun "paternalistisch"?

  • Wenn der Papst und seine obskure Organisation ihre Hände von Afrika lassen, wäre das den berechtigten Anliegen der Autorin aber sehr förderlich.

  • "When the Missionaries arrived, the Africans had the Land and the Missionaries had the Bible. They taught us how to pray with our eyes closed. When we opened them, they had the land and we had the Bible"

    Jomo Kenyatta zugeschrieben

    [1] en.wikiquote.org/wiki/Jomo_Kenyatta

    • @tomás zerolo:

      Oder auch dieses Zitat:

      "To us, Communism is as bad as imperialism."

      (gleiche Quelle)

  • Bei Tage betrachtet ergeht sich die Autorin in Wunschdenken; einige Ihrer Einschübe lassen mich vermuten, dass sie es selbst weiß bzw. Zumindest ahnt.

    Eine Geisel des Kontinentes ist, neben der Armut, die grassierende Korruption und Vetternwirtschaft; abgesehen von den (ethnischen) Konflikten in sehr, sehr vielen afrikanischen Ländern.

    Hand in Hand mit wem bitte? Dem grade herrschenden Kleptokraten? So macht es China, zunehmend auch Russland. Dabei geht es beiden in den wenigsten Fällen um die Bevölkerung des jeweiligen Landes. Also doch lieber irgendwelche europäischen Initiativen; auf dem Papier ausgerichtet an Menschenrechten etc.? Die Autorin schilt sie als paternalistisch und ich denke schon, dass sie damit einen Punkt hat.

    Aber wie dann? Mir fehlt ein wenig der Glaube bzw. die Zuversicht wie es besser gehen soll. Wer sind auf afrikanischer Seite die Ansprechpartner mit denen Hand in Hand gearbeitet werden kann ohne paternalistisch zu sein? Ein grünes, klimafortschrittliches Afrika Schweine mir eine Wunschvorstellung; im Durchschnitt werden die Prioritäten erstmal auf Wohlstand liegen, nicht auf Klimaschutz im Falle eines Zielkonflikts. Und ehrlich gesagt verstehe ich das vollkommen und sehe es auch als ihr Recht.

    Und nein, ich bin kein Afrikaexperte aber beruflich in relativ regelmäßigem Kontakt.

    • @Fran Zose:

      Wohlstand und Klimaschutz kann in einigen Bereichen Hand in Hand gehen:

      1: Versorgung mit Solaranlagen geht dezentral und würde sowohl Wohlstand schaffen als auch Co2 Emssionen reduzieren und wäre zudem die preiswerteste Option.

      2: Kleine Öfen verringern den Verbrauch an Brennholz im vergleich zu offenem Feuer drastisch. Auch hier sind Wohlstand und Co2 Reduktion gleichzeitig möglich.

      Natürlich haben Sie recht, dass der Hauptfokus auf Wohlstand liegt und zu Recht. Der reiche Norden kann und sollte aber mit finanziellen Mitteln dabei helfen, dass Wohlstand und Co2 Reduktion gleichzeitig möglich werden.

      • @sociajizzm:

        Klar gibt es Projekte, wo beides vereinbar ist. Nur wenn die beispielsweise die Chinesen kommen, ein neues Kohlekraftwerk bieten inklusive Geld auf ein Konto der Wahl des lokalen Machthabers, dann halte ich es trauriger Weise für sehr viel wahrscheinlicher, dass diese Projekt angenommen wird als eins mit dezentralen Solaranlagen welches im besten Falle noch mit moralischen Ermahnungen kommt statt mit Geld.

        Korruption, Tribalismus, kurzfristiges Denken an das eigene Konto anstatt an das Volkswohl bleiben die Hauptprobleme Afrikas. Davon sollte eine realistische Politik ausgehen und nicht von zwar heheren aber eben auch unrealistischen Wunschvorstellungen. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

  • Was hier fehlt, ist eine Bilanz, welche ausbeuterischen Staaten hier wieviel Anteil hatten. Es geht um eine Aufarbeitung, wer für Geld und Macht wie kolonialistisch sich gebärdet hat. Und da sind mir diese allgemeinen Sätze doch etwas pauschalisiert. Die Deutschen haben sich weiss Gott an Verbrechen im Dritten Reich schuldig gemacht. Im Vergleich zu anderen Ländern ist aber ihre koloniale Zeit kurz gewesen und die brutale Unterwerfung der Einheimischen ebenso, denkt man einmal an Frankreich, UK, Spanien (Südamerika!) oder Belgien (Kongo!). Bei den USA und Russland hiess das dann auch anders und nicht mehr Kolonialismus. Wie Landes in "Wohlstand und Armut der Nationen" schreibt, kann man in Indien (das einmal mit Werften und Stoffverarbeitung weltweit einen hohen Standard hatte) bis heute ablesen, wie lange die Engländer die einzelnen Teilen des Landes besetzt hatten - an dem Grad der wirtschaftlichen Regression. Ähnlich war es in einigen Staaten in Afrika.Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, ab wann mit Ausbeutung auch Zivilisation Einzug hielt. Der Text erwähnt mangelnde Elektrizität für viele wohl noch wenig erschlossene Regionen. Zynisch gefragt, stünden diese heute besser da mit Strom ohne Europa?

    Das Problem ist gewaltig - definitiv! Aber ich störe mich nach Jahren von Spendengeldern an Afrika (hat sich in der Sahelzone wirklich etwas geändert?) für ein weiter so an einfachen pauschalisierenden Statements.



    Was Gelder für Afrika konkret angeht, so würde man sich ein zukunftsweisendes Konzept wünschen, das garantiert, dass die dringend notwendigen Gelder auch korrekt ankommen. Weil an Korruption ist bisher viel good will gescheitert. Es scheint da nicht zielführend, vergangene Fehler nur im Nebensatz anzusprechen.

    Ausgezeichnet, wenn es endlich Zeit ist, die koloniale und imperiale Vergangenheit aufzuarbeiten! Dann aber bitte systematisch und mit Zahlen. Und wie weit wollen wir in die Gegenwart? Was ist mit der Destabilisierung von Lybien?

  • Da gibt es sicher vernünftigere und sympathischere Fürsprecher*innen für Antikolonialismus. Also, ich würde dem entgegenhalten: "Hört auf Patriarchat, Homofeindlichkeit u.ä. zu verbreiten! Hört auf die Verwendung von Verhütungsmittel zu bekämpfen!" Am besten wäre es, den Katholizismus abzuschaffen. Eine Reform erscheint unrealistisch. Das Bekehren zum Katholizismus und das Aufzwingen von Katholizismus ist zudem ein Teil des Kolonialismus.

    • @Uranus:

      Sie scheinen die Realität nicht zu kennen. Für das, was Sie schreiben, steht dieser Franziskus nicht! Da sind fast Anklänge an die frühere linke Befreiungstheologie wahrzunehmen.

      • @Toni Zweig:

        Sicher, deswegen würde ich (auch) ihm und seinen Anhänger*innen das ja entgegenhalten. War offenbar missverständlich ausgedrückt.

  • „Die Strategie muss sein, eine nachhaltige, stabile Wirtschaft zu fördern, die allen zugute kommt.“ Der „ politische Westen“ ist da ja leuchtendes Vorbild. Harr. In einem Satz die eigene Borniertheit auf den Punkt gebracht.