Etikettenpflicht für Siedlungsprodukte: Bedeutungslose Symbolpolitik
Produkte aus den Siedlungen sind für den Export Israels eher unwichtig. Das Urteil des EuGH ist also nur belehrend, Frieden stiftet es sicher nicht.
E s hat schon eine besondere Ironie, dass an einem Tag, an dem Tel Aviv unter Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen steht, der Europäische Gerichtshof (EuGH) zugunsten der Etikettierungspflicht für Siedlungsprodukte urteilt. Natürlich ist diese Terminierung reiner Zufall, aber sie zeigt doch recht anschaulich, welchen Beitrag Europa zur Lösung des Nahostkonflikts leistet: keinen.
Rechtlich ist die Entscheidung des EuGH nicht zu beanstanden. Die EU hatte die Sonderregelung für Siedlungsprodukte beschlossen, es war eine politische Entscheidung mit der Botschaft: Wir finden die Siedlungen im Westjordanland wirklich nicht gut. Genau hier liegt das Problem, denn die europäische Außenpolitik beschränkt sich darauf zu beanstanden, zu verurteilen und den moralischen Zeigefinger zu heben.
In der Realität hat die Etikettierungspflicht so gut wie keine Auswirkungen. Über 95 Prozent der israelischen Exporte sind Business-to-Business-Geschäfte, meist aus dem IT-Bereich. Sie zu kennzeichnen oder zu boykottieren ist nahezu unmöglich, es sei denn, man verzichtet auf Handy und Laptop. Endprodukte wie Wein, Obst oder Gemüse spielen eine verschwindend geringe Rolle bei den Ausfuhren, die aus den Siedlungen erst recht. Kurzum: Es geht hier um Symbolpolitik, die den Beteiligten das gute Gefühl gibt, etwas politisch Richtiges zu tun.
Die Realität in der Region ist dafür aber viel zu komplex. Die palästinensischen Angestellten des weltweit populären Trinkwasserstrudlers SodaStream etwa waren wenig begeistert, als das Unternehmen aus einer Siedlung ins israelische Kernland umzog. Die Mehrheit der Siedlungen werden allen bekannten Friedensplänen zufolge ohnehin im Rahmen eines Gebietstausches Israel zufallen. Der Kern des Problems ist derselbe wie schon vor 70 Jahren: Zwei Völker streiten um ein kleines Stück Land. Von Europa, insbesondere von Deutschland, kann und muss man erwarten, dass es in diesem Konflikt Brücken baut und an echten Lösungen mitwirkt, anstatt bedeutungslose Etikettierungen zu beschließen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Protest gegen Kies- und Sandabbau
Der neue Kampf gegen Gruben