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Essay von Judith ButlerAn der israelischen Realität vorbei

Gastkommentar von Thomas Tews

Judith Butler wirft Israel „kolonialen Rassismus“ vor. Nur leider passt das Denk-Schema nicht auf das multiethnische Land.

Linke VordenkerInnen wie Butler und ihre Jünger? Fridays for Future in Lund, Schweden (Archivbild) Foto: Johan Nilsson / tt

D ie Philosophin Judith Butler bemüht sich, die moralische Empörung über den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober in die Bahnen eines Diskurses der „Geschichte der Gewalt“ zu lenken, wobei sie – entgegen ihrem eigenen Anspruch – ein sehr verzerrtes Bild der Realität zeichnet. Butler verurteilt in ihrem Essay im Freitag zwar den Angriff der Hamas, möchte ihn aber als Teil einer „Geschichte der Gewalt“ verstanden wissen. Ihre Aufforderung, sich in die Geschichtsbücher zu vertiefen, wird jedoch dadurch konterkariert, dass sie an „Schrecken der letzten siebzig Jahre“ ausschließlich palästinensisches Leid beschreibt.

Kein Wort von den Angriffskriegen, die Israels arabische Nachbarländer einen Tag nach der Gründung des jüdischen Staates oder 25 Jahre später an Yom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, vom Zaun brachen, oder von den zahllosen Terroranschlägen auf die israelische Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten. Für Butler ist Israel nur ein Staat, der „in Gewalt gegründet wurde“. Dabei war der Zionismus, also die Idee eines eigenen jüdischen Staates, im Kern eine Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes gegen den Antisemitismus, den es in der Diaspora, vor allem in Europa, erfahren musste.

ist Kulturwissenschaftler und freier Autor (u. a. für das jüdische Onlinemagazin „haGalil“) in Stuttgart.

Dass rund die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Israels ihre Wurzeln in Nordafrika und dem Nahen Osten hat, scheint Butler in ihrem Vorwurf des „kolonialen Rassismus“ nicht nachdenklich zu machen. Während Butler wiederholt antipalästinensischen Rassismus anprangert, spricht sie gleichzeitig nur von „dem böswilligen Vorwurf des Antisemitismus“ im Zusammenhang mit „Israelkritik“-Kritik – eine mehr als bedenkliche Leerstelle angesichts des weltweit grassierenden und durch die Ereignisse in Nahost sprunghaft angestiegenen Antisemitismus.

Butler ist unbestreitbar eine bedeutende zeitgenössische Philosophin, aber ihr Essay über den Terror der Hamas (den sie nicht als solchen benennt) lässt an das lateinische Sprichwort „Si tacuisses, philosophus mansisses“ (Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben) denken.

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40 Kommentare

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  • Judith Butler schneidert sich die Realität so zusammen, dass sie in Hinblick auf ihre früheren Aussagen nicht sagen muss, ich habe mich geirrt. Wenn man sich in die Geschichtsbücher vertiefen soll, warum dann vor 70 Jahren anfangen? Warum nicht in den 1920ern, wo arabischen Nationalisten damit begannen, ihre jüdischen Mitmenschen abzuschlachten?



    Judith Butler verengt den Blick auf die Juden als Täter und blendet alles andere aus und das ist irgendwie schon antisemitisch.

  • Die extrem komplexen Themen und Krisen unserer Zeit offenbaren in schöner Regelmäßigkeit, dass es viel zu viele vorgeblich Intellektuelle und Philosophen mit ausgeprägtem Tunnelblick gibt, denen viel zu viel Leute unkritisch aus der Hand fressen.



    Dass sich generell viele Menschen im Minenfeld dieser verengten Debatte verirren und es nicht schaffen, eine ausgewogene, differenzierte Sicht zu artikulieren, ohne dabei Gefahr zu laufen, falsch verstanden zu werden, halte ich für nahezu unausweichlich. Die "böswilligen Unterstellungen" von verschiender Seite, bzw. bewußtes Falschverstehen kann man aktuell tatsächlich oft beobachten.



    Renommierten Denkern und hochgebildeten Autoren nehm ich das aber nicht ab.



    Über die Historie dieses Konflikts reden zu wollen und eine "Vertiefung in die Geschichtsbücher" anzumahnen, dabei aber den Angriff der arabischen Allianz 1948, die allgegenwärtige Bedrohung durch Israels Nachbarstaaten zu unterschlagen, halte ich für intellektuell beleidigend.

    • @Deep South:

      Butler-Bashing ist ja gerade sehr en vogue. Wenn ihr hier in den Kommentaren, ein "Tunnelblick", "holzschnittartiges Weltbild", Zugehörigkeit zu einer "Bubble", das Verirren im Minenfeld der Debatten vorgeworfen wird, sollten sich die Kritiker:innen schon auch mal selbst befragen, welche Argumente welcher "Bubble" sie da reproduzieren.



      1. Grundsätzlich wird bei der Delegitimierung von Butler mit Text- und Zitatschnipseln gearbeitet, die dann eben zu den von Ihnen genannten, anders gemeinten (?) "böswilligen Unterstellungen" ausgearbeitet werden.



      2. In ihrem aktuellen Text fordert Butler keine "Vertiefung in die Geschichtsbücher", um zu einem klaren moralischen Urteil zu kommen (Hamas-Verurteilung). Sie hat auch keinen historischen Fakt übersehen, spricht eigentlich nicht über Geschichte.



      3. Die olle Kamelle von Hamas als Teil der globalen Linken kommt aus einem Kontext, wo sie gefragt wurde und selber fragte, was eine Linke ausmache. Also genau die Frage, die jetzt rauf und runter diskutiert wird. Butler verwies darauf, dass mit dem Kriterium Anti-Imperialismus viele Gruppen links eingeordnet werden könnten, die es in anderen Punkten nicht seien. Es ging ihr darum, linke Selbstgewissheiten zu hinterfragen, linke Wirrungen offenzulegen. Schon damals verurteilte sie Hamas-Gewalt. Lässt sich alles nachlesen. Dass ihr dies negativ ausgelegt und immer weiter tradiert wird, zeigt ganz gut, in welch desaströsem Zustand die linke Debatte ist. Butler und ihre Kritiker:innen gehören zur gleichen Bubble.



      3. Butler-Bashing ist selbst ein Syndrom linker Verwirrtheit. Wenn ihr dicke oder dünne Theorieschichten vorgeworfen werden, hinter denen nichts als regressives Ressentiment stecke, ist dies selbst Ausdruck eines Ressentiments.



      4. Woher kommt diese Tendenz, in solchen Konflikten wie jetzt kritische Stimmen "mundtot" machen zu wollen? "Butler? Bleib mir weg." Niemand geht konkret auf die gewiss kritikwürdigen Thesen Butlers ein, alles zielt auf Delegitimierung. Cui bono?

      • @Mutashail:

        Ganz viel Text, ziemlich weit an dem vorbei, was ich geschrieben habe.

        Judith Butler als Person und irgendwelche aktuellen Tendenzen in irgendwelchen Bubbles sind mir viel zu egal, um in irgendein "Bashing", dass deiner Meimnung nach gerade "en vogue" ist, einzusteigen.



        Aber spricht sie über den historischen Kontext des Konflikts und damit auch über Geschichte und natürlich geht sie in ihrem Essay nahezu kaum auf den allgegenwärtigen Antsisemistismus im Nahen Osten und die andauernde Bedrohungslage Israels ein. Sie zeichnet ein Bild, das dem von BDS und Konsorten ziemlich nah ist.



        Und dafür kriegts sie zurecht von allen Seiten Pfeffer.



        Und aus meiner Sicht ist es ziemlich auffällig, dass ne ganz Menge Intellektuelle sich in der Corona, Ukraine oder jetzt Nahost Debatte mit merkwürdigen Texten und offenen Briefen in unterkomplexen Analysen verlieren.



        Darum gings und nicht um die "Verwirrtheit" in der Linken, zu der ich mich gar nicht zähle.

        • @Deep South:

          1. Entschuldigung, wenn ich an Ihrem Text vorbeigeredet habe. Er diente mir als Aufhänger für die Diskussion im ganzen Thread hier. Mich störte halt die Aussage, dass Sie Butlers Text als "intellektuell beleidigend" empfinden. Ich sehe nicht, wohin uns Beleidigungen und Beleidigtsein in diesem Konflikt führen sollen. Ansonsten: wenn Ihnen Butlers Einlassungen und die Verwirrungen der Linken reichlich egal sind: Ihr gutes Recht!



          2. Davon abgesehen, einverstanden: Es darf ruhig von allen Seiten Kritik hageln, wenn Butler Provokatives oder auch Unterkomplexes schreibt. Das heißt aber nicht automatisch, dass die Kritiker:innen Recht hätten.



          3. Auch einverstanden: Ich bin ebenfalls dagegen, wenn Promi-Kritiker:innen "unkritisch aus der Hand gefressen" wird. Genauso problematisch finde ich aber, wenn Kritik an Promi-Kritiker:innen einfach nachgeplappert wird.



          4. Kritik sollte m.E. fair, d.h. redlich und textbasiert sein. Butler versteht sich in letzter Zeit als Moralphilosophin (oder so). Geschichte ist nicht ihr Metier, muss es auch nicht sein. Ihre Argumentation zu kritisieren, weil sie angeblich die historischen Fakten nicht kennt oder nicht nennt (z.B. arabischer Angriff 1948), ist nicht wirklich der springende Punkt.



          5. Antisemitismus kommt in ihrem Text nicht vor, Bedrohungslage Israels im Wesentlichen nur indirekt in der Frage nach einem Ausweg sus dem Konflikt. a) Was genau soll der Vorwurf, die Jüdin Butler gehe auf Antisemitismus nicht ein? Erstens: muss sie das denn? Zweites: Ist das nicht auch ein antisemitisches Motiv? Steckt in dem der Vorwurf, Butler spreche nicht über Antisemitismus, nicht auch der üble Vorwurf drin, die Jüdin sei an ihrer Verfolgung selber schuld oder die Berkeley-Jüdin könne es sich in ihrer Sicherheit ja bequem machen? b) Meinen Sie wirklich, die Bedrohungslage Israels sei Butler unbekannt oder sie verschweige diese absichtlich? Wieso sollte sie das tun? Unterstellen Sie ihr da nicht böse Absichten? Verstehe ich nicht.

  • Zu Judith Butler lässt sich eigentlich nur noch sagen: in der privilegierten akademischen Berkeley Bubble, fern jeder politischen Realität und ökonomischen Not, eingemottet in meterdicke Theorieschichten und Ideologiefilter lassen sich trefflichst lustige Wortgebäude basteln, die zu gar nichts mehr einen Bezug haben außer der eigenen Wichtigkeit als "kritische Stimme." Kennt man ja in der deutschen Spielart als "Schwarzer-Syndrom".

    • 6G
      665119 (Profil gelöscht)
      @hessebub:

      Die Theorieschichten scheinen mir dünn. Sehr dick dagegen die tiefsitzenden Sedimente an regressiven Ressentiments.

  • Der koloniale oder nicht-koloniale Charakter der Staatsgründung Israels und seiner Besatzungspolitik wird kontrovers diskutiert. Das Argument, Israel könne gar kein koloniales Projekt sein, weil so viele Juden aus der MENA-Region dort einwanderten/dorthin vertrieben wurden, ist allerdings wenig stichhaltig. Der Zionismus (egal ob Links- oder Rechtszionismus) war das geistige Kind von europäischen Juden, die in kolonialen Zeiten sozialisiert wurden. Der diskriminierende Umgang mit diesen nicht als gleichwertig verstanden orientalischen (oder gar äthiopischen) Juden nach der Staatsgründung macht es zumindest notwendig, genauer hinzuschauen.

    • @My Sharona:

      Die Katagorisierung kolonial=weiß=böse ist doch bereits die eurozentrische Wurzel des Übels.

      Imperial-koloniales Denken ist kein exklusiv europäisches Konstrukt, das dem Rest der Welt fremd ist, sondern lediglich ein Ergebnis konkreter machtpolitisch-militärischer Überlegenheit.

      Die nahöstlichen Kulturräume der Araber, Perser, Türken brauchen sich in dieser Frage nicht vor den Europäern verstecken. Nur liegen die Zeiten in den sie anderen Völkern (auch Europäern) überlegen waren weiter zurück. Auch die Araber kamen als fremde(!) Eroberer ins "heilige Land" und bevor dieses Britisch wurde, war es Teil des Osmanischen Reichs...

      • @Chris McZott:

        Bei Ihnen geht es ein wenig durcheinander...



        (1) niemand sagt, dass nicht-europäische Gesellschaften im Laufe ihrer jeweiligen Geschichten keine Macht ausgeübt hätten



        (2) die Kolonialreiche ab dem 18.Jh. unterscheiden sich grundlegend von Eroberungszusammenhängen und Reichsbildungen früherer Art (in und außerhalb Europas: siehe v.a. die rassisch (nicht z.B. religiös oder regional) verstandenen Differenzkategorien, die aus dem universalistisch-naturwissenschaftlichem Kategorienreservoir der Aufklärung, nebst seinen "Ausflockungen" wie Nationalismus und - nur selektiv zuerkannten - Menschenrechten, schöpften).



        (3) Natürlich waren Araber auch Eroberer - die Tatsache, dass das länger zurückliegt macht daraus aber eher ein historisch-demographisches Phänomen (wie etwa die germanische Landnahme östlich der Elbe ab dem 10.Jh.)



        (4) gerade das Osmanische Reich mit seinem System der sich quasi selbstverwalteten, wenn auch unterschiedlich hart besteuerten Volks- und Religionsgruppen, unterscheidet sich durchaus von kolonialen Unterdrückungsmechanismen (obwohl im Zweifelsfall auch hier machtvolle Unterdrückung stattfand)

        • @My Sharona:

          Nein, ich sehe es einfach anders. Die angebliche grundsätzliche Einzigartigkeit des modernen europ. Kolonialismus ist eine bloße "postkoloniale" Behauptung, die extra für den politischen Kampf gegen "den Westen" während des Kalten Krieges konstruiert wurde.

          Was richtig ist, ist dass die Europäer Aufgrund des (natur)wissenschaftlichen Fortschrittes die althergebrachten rassistischen Kategorisierungen in ein neues (pseudo-wissenschaftliches) Gewand bringen mussten. Aber Herrschaftsideologien die Menschengruppen hierachisieren um so Hegemonie einer Ethnie zu begründen, sind so alt wie die Menschheit selbst - z.B. sehr gut überliefert für die altorientalischen Reiche, oder auch die Herrschaft der Mandschu über die Han-Chinesen bis 1911.

          Die Europäer hatten als moderne Industriegesellschaften schlicht bessere Möglichkeiten zu unterdrücken und auszubeuten als die im Vergleich dazu ineffizenten Feudalgesellschaften. Dadurch sah die konkrete Form der Unterdrückung anders aus, das macht aber die Europäer nicht zu schlechteren Menschen als andere Völker mit imperialer Vergangenheit. Unter gleichen Bedingungen handeln alle Menschen gleich.

          Japan ist ja ein gutes Beispiel dafür was passiert ist, als ein nicht-europäisches Land zu den Europäern/USA aufgeschlossen ist: so ziemlich das Gleiche. An die rassische Überlegenheit der Weißen hat bestimmt keiner in Japan geglaubt...

          Am Rande: Ich finde dass der Hinweis auf den "nicht-autochtonen" Status der Araber in der Levante nicht irrelevant ist, wenn diskutiert wird wer jetzt dort die "guten Ureinwohner" und wer die "bösen Kolonisatoren" seien. Dass die Diskussion gänzlich fehlt geht, sehe ich aber ähnlich.

          • 6G
            665119 (Profil gelöscht)
            @Chris McZott:

            Richtig. Vgl. das indische Kastensystem, Muslim-Dhimmi-Unterscheidung, die "blaublütigen" germanischen Eroberer etc.

    • @My Sharona:

      Ich finde, man sollte doch streng zwischen der Gründung Israels und seiner Besazungs- und Siedlungpolitik nach 1967 trennen.

      Und wenn Sie für "genauer hinschauen" plädieren, ist Ihnen da nicht aufgefallen, das Juden seit mehreren tausend Jahren dort gelebt haben? Daß es dort jüdische "Staaten" gab und Orte, die gläubigen Juden "heilig" sind. Lange, bevor es den Islam gab, dessen Anhänger das Gebiet im 7ten Jahrhundert erobert haben?

      Daß ist für mich der zentrale Unterschied zwischen Israel und der Ansiedlung von Europäern in anderen Ländern im Rahmen des Kolonialismus.

      Die europäischen Eroberer/Einwanderer, deren nachkommen heute in den USA, Canada, Südafrika oder australien leben, sind nicht dorthin gegangen, weil das das Land war, aus dem sie einst "unter die Völker zerstreut" worden sind.



      Bei den Juden, die nach 1948 nach Israel eingewandert sind, ist das anders.

      • @ PeWi:

        Nur, dass die Juden, die im sogenannten heiligen Land lebten, so gut wie nichts mit den europäishen Zionist*innen gemeinsam hatten; eine Nicht-Identität (beidseitig gefühlt), die durch die nationale Ideologie des Zionismus erst überwunden werden musste. Nationen entstehen, wenn genug Menschen davon überzeugt sind, dass es sie gibt, im Fall des Zionismus, wenn genug Menschen davon überzeugt sind, dass eine intern vielfältige Religionsgemeinschaft eine Nation/ein Volk darstellt. Was Sie behaupten ist, dass die, die nach 1948 kamen (oder schon vorher und sich dann in der Haganah betätigten) einen Anspruch qua Jüdischsein auf dieses Gebiet hatten, weil dort vor langer Zeit jüdische Staaten existierten. Auch jüdische Antizionist*innen haben das für nicht mehr als eine sachdienliche Rechtfertigungsideologie gehalten. Das Existenzrecht Israels (in den Grenzen von 1967), für das ich jederzeit auf die Straße gehen würde und das bald auch wieder tun werde, leitet sich ab aus den Jahrzehnten seit 1948, nicht aus grauer Vorzeit und Märchen über eine kulturelle Kontinuität und herbeikonstruierte Identität von sagen wir Sigmund Freud und einem Gewürzhändler aus Jerusalem.

      • @ PeWi:

        "Bei den Juden, die nach 1948 nach Israel eingewandert sind, ist das anders."



        Nur macht das für die dort lebenden arabischen Palästinenser keinen Unterschied.

  • J Butler zeigt, dass sie und ihre Ansichten weit über Wert gehandelt worden sind.



    In „guten Zeiten“ neigten viele dazu, die Risse in der Logik und Argumentation zu übersehen. In aktuell schlechten Zeiten wundert man sich, wie das passieren konnte…

    • @alterego:

      Leider muss es erst "hart auf hart" kommen, damit sich die Risse in den Theorien (aus dem Elfenbeinturm) auch gesehen werden

  • Nun ja, wer ausgerechnet von Judith Butler tiefere analytische Einsichten zum Nahostkonflikt erwartet, verschwendet nur seine Zeit. Auch in ihren jüngsten Äußerungen bleibt sie ihrem holzschnittartigen Weltbild treu.

    Unvergessen ihr Satz über Hamas & Hisbollah: "Yes, understanding Hamas, Hezbollah as social movements that are progressive, that are on the Left, that are part of a global Left, is extremely important."

    Man mag ihr ja abnehmen, dass sie die Ziele der Hamas nicht teilt. Aber eine islamistische Bewegung als "links" und "progressiv" einzuordnen, sind überdeutliche Indizien politischer Verwirrung.

    Im übrigen gehört es zu einem weitverbreiteten Missverständnis, Wissenschaftler seien per se zu höheren politischen Einsichten fähig. Gerade in der deutschen Wissenschaftsgeschichte gibt es mit Martin Heidegger und Carl Schmitt und ihrem Hass auf Aufklärung, Liberalismus und Judentum zwei besonders abschreckende Beispiele.

    • @Schalamow:

      Danke für Ihren Beitrag. In der Tat sollte man Heidegger und Schmitt den Apologeten des postkolonialen und identitätspolitischen Diskurses viel öfter gegenüberstellen - besser lassen sich die inneren Widersprüche und der inhärente Antisemitismus nicht erläutern. (Für alle, die immer noch denken, es gäbe keinen linken Antisemitismus.)

    • @Schalamow:

      Wenn Hamas links ist, möchte ich jedenfalls kein Linker mehr sein, bin ich wohl auch nicht, aber wohl noch weit links von Völkchen Organisationen, die Juden hassen und ins Meer werfen wollen. So etwas kennt man eher von rechts.

  • Gegen Kritik an Butler habe ich nichts einzuwenden. Sie sollte sich aber erkennbar auf ihre Thesen beziehen. Das fehlt mir hier wie auch in dem ansonsten ganz wunderbaren Text von Gutmair zum "Antisemitismus der Progressiven".



    Vorwurf 1 hier: Butler wolle die Taten der Hamas in eine Geschichte der Gewalt einbetten und relativieren. Tatsächlich ruft sie nicht dazu auf, "sich in die Geschichtsbücher zu vertiefen", sondern kritisiert jene, die die Geschichte israelischer Gewalt benutzen, um die Gewalt der Hamas moralisch oder politisch zu rechtfertigen.



    Vorwurf 2: Antisemitismus sei eine Leerstelle bei Butler, sie reite wenig nachdenklich darauf herum, dass Israel in Gewalt gegründet sei. Tatsächlich verweist sie auf ihr generationenübergreifendes Trauma als Jüdin, ihre Frage lautet indes, ob wir jüdische und pal. Opfer betrauern können, "ohne uns in Debatten über Relativismus und Gleichwertigkeit zu verlieren." Weiter fordert sie, dass alle Gewalt zu benennen und sich ihr zu widersetzen möglich sein müsse. Ein Friede für alle Bewohner in Nahost setze Gleichheit und ein Ende aller, auch staatlicher, Gewalt voraus. Sie fragt, wie wir aber aus den Rechtfertigungsdiskursen herauskommen und ein Ende der Gewalt erreichen.



    Vorwurf Gutmair: Butler erfinde ein generelles dt. Denkverbot, von der isr. Besatzung zu "sprechen". Das ist auch ein Problem der dt. Übersetzung im Freitag, denn im Original steht stattdessen, "einen Bezug der aktuellen (!) Situation zur Besatzung herzustellen" ("relate"). Butler will über die Besatzung als Friedensproblem reden, ohne dass ihr dies in der jetzigen Situation als Relativierung ausgelegt wird.

    Butlers Text ist lang(atmig), die Wortwahl evtl. kritikwürdig u. missverständlich. Dennoch geht es zu weit, ihr "Si tacuisses" zuzurufen, ihren Text als das "Dümmste" der vergangenen 4 Wochen (Gutmair) zu bezeichnen. Sie stellt primär Fragen, will über Empörung angesichts von Gewalt und angesichts aktueller Hoffnungslosigkeit hinausdenken.

  • Na ja, Butler hätte besser schon öfters geschwiegen.

    Nur noch peinlich.

    Da fällt mir doch ein nettes Zitat von Butler ein:



    "Die Burka symbolisiert, dass eine Frau bescheiden ist und ihrer Familie verbunden; aber auch dass sie nicht von der Massenkultur ausgebeutet wird und stolz auf ihre Familie und Gemeinschaft ist“ .

    Zwei sehr gute Artikel in dem Zusammenhang:

    taz.de/Forschung-z...en-Islam/!5608768/

    www.emma.de/artike...-auf-butler-334719

  • Judith Butlers postkoloniales Denken entlarvt sich mit den Hamas-Greueltaten als das was es ist: diskriminierend und antisemitisch.

    Längst erstickt diese Ikone des identitätspolitischen Diskurses an ihren eigenen Widersprüchen und offenbart dabei eine abstoßende selektive Empathie.

  • "Nur leider passt das Denk-Schema nicht auf das multiethnische Land."

    Es passt aber exakt auf die derzeitige Regierung, der das Land viel zu multiethnisch ist.

    • @Ajuga:

      Nur ist der Konflikt und der Kampf gegen Israel viel älter als die aktuelle Regierung.



      Zum Verständnis hilft es daher wenig auf die Fehler der aktuellen Regierung hinzuweisen.

    • @Ajuga:

      Israel hat mehrere religiöse Minderheiten, denen es unter den Israelis besser geht als zuvor etwa im osmanischen Reich.

      Mit denen hat umgekehrt die rechte israelische Regierung.

      Die derzeitige Regierung ist selbst multiethnisch.

      In der Regierungskoalition war bis vor einiger Zeit noch eine arabische Partei.

      Insofern passt es selbst auf die aktuelle Regierung nicht.

    • @Ajuga:

      Butler schreibt aber nicht über die israelische Regierung, sondern über den Israel an sich.

      Die eigentlich interessante Frage wäre aber, wie Israel nach Ansicht Butlers denn sein müsste, um nicht "kolonial rassistisch" zu sein?

      Hat Frau Butler da einen Vorschlag der nicht praktisch in der Selbstvernichtung mündet? Irgendwer?

      • @Nafets Rehcsif:

        Wenn man nach praktischen Lösungen fragt, kommt da meist nichts…

      • @Nafets Rehcsif:

        Nun ja, Gleichberechtigung ist ein guter Anfang, ganz wird man einen kolonialen "inprint" aber nicht los (siehe USA und die natives). Und wenn es Menschen gibt, mit denen man nicht als Gleichberechtigte in einem Land zusammenleben möchte, dann schafft man 2 Länder - aber huch, sind wir dann nicht bei der Zweistaatenlösung? Die könnte doch mal jemand vorschlagen oder aktiv verfolgen. Und (Spaß beiseite):ich sage nicht, dass die Zweistaatenlösung allein an Israel gescheitert wäre.

  • Man sollte tatsächlich über den Vorwurf des Antisemitismus nachdenken, der Begriff ist wohl wirklich zu eng gefasst. Im Umfeld der Postkolonialen muss man eher von blanker Dummheit, Ignoranz, Bösartigkeit und dumpfem Gruppenzwang ausgehen. Wer solchen Charakterfehlern eine gewisse intellektuelle Würde verleiht geht da schon halb in die Falle, in der man die offensichtliche Niedertracht dann irgendwie umständlich und abstrakt „beweisen“ soll…

    Ich finde man sollte die einfache Niedertracht, die gewöhnliche Bösartigkeit der Dummen, auch so benennen, die Beweisführung hin zum Erschwernis des Antisemitismus ist da halt nur manchmal möglich, das tilgt den niederschwelligeren Teil des Wahns ja aber nicht.

    Gegen den Satz: Du bist kein Antisemit, sondern nur ein ganz gewöhnlicher bösartiger Dummkopf!, spricht mE jedenfalls nichts.



    Man kann ruhig darüber nachdenken den Gefallen zu gewähren und auf die Beweisführung zum Antisemitismus zu verzichten, wenn der Frau Butler der für jeden nachvollziehbare Vorwurf der niederträchtigen Einseitigkeit lieber ist, dann sollte man ihr den Wunsch gewähren. Zum Motiv der Menschenfeindlichkeit, das ja nicht der Antisemitismus sein soll, kann sie sich dann ja selbst äußern. Ich wäre ja sehr gespannt…

    • @Nafets Rehcsif:

      Was werfen Sie der Jüdin Judith Butler nun genau vor? Charakterfehler? Niedertracht? Bösartigkeit? Butler jemals genau gelesen? Oder vielleicht eine - wenig subtile - Form von: Antisemitismus? 'Niedertracht' und Bösartigkeit' der Juden...

  • Buttler geht es um die Einordung der Politik der rechtsextremen Regierung Netanjahu vor dem historischen Hintergrund Israels. Der israelsiche Historiker, Ilan Pappe, beschreibt in "Die ethnische Säuberung Palästinas" sehr genau, wie die Besiedlng Palästinas vor sich ging, u.z. nach dem Vorbild der Siedler im Westen der USA: Palästina wurde als Land ohne Bevölkerung angesehen, das es galt sich zu nehmen. Das sind historische Wahrheiten, die erstmal widerlegt werden müssen. Dazu das Interview mit Ilan Pappe zum derzeitigen Gaza-Krieg: www.youtube.com/watch?v=yK7jckzam5c

    • @Rinaldo:

      Wenn es Butler tatsächlich um die Kritik an der Regierung Netanjahu ginge, würde sie kein flamboyantes Plädoyer für die "Israelkritik", sondern ein solches für die Kritik an der israelischen Regierung schreiben.

      Zwischen "Israelkritik" und "Kritik an israelischer Politik" bzw. der "Kritik an der israelischen Regierung" besteht ein kleiner aber bedeutsamer semantischer Unterschied. Diesen zu erfassen schafft (ohne Erklärung) vielleicht nicht jeder, von einer "Philosophin" darf ein derartiges Verständnis durchaus erwarten:

      "Israelkritik" (bzw. Antizionismus und andere Worthülsen) ist die Kritik am jüdischen Staat Israel selbst. Hier geht es darum den Staat Israel (und damit den Schutzraum für Jüdinnen und Juden) selbst abzulehnen und letztlich dessen Auslöschung (verklausuliert) das Wort zu reden. Das ist und bleibt Antisemitismus.

      "Kritik an der Regierung bzw. Politik Israels" ist hingegen zulässig. Denn hier bestreitet man gerade nicht das Existenzrecht des Staates, sondern kritisiert tatsächlich nur kritikwürdiges Verhalten. Das ist zulässig und muss auch im speziellen Fall von Israel im Rahmen des demokratischen Diskurses ausgehalten werden.

      Butler hat sich jedoch mit dem Legitimierungsversuch der (antisemitischen) "Israelkritik" eindeutig auf die Seite des Antisemitismus gestellt. Das sollte und muss man eindeutig benennen und kritisieren. Daher muss man das eindeutig benennen:

      Judith Butler ist eine Antisemitin.

      • @Kriebs:

        Zitat @Kriebs: "Judith Butler ist eine Antisemitin."

        Welch polit-moralische Insolenz, als Goi, und dazu noch ausgerechnet als Deutscher, einer praktizierenden Jüdin und Tochter von Shoa-Überlebenden Antisemitismus vorzuwerfen.

      • @Kriebs:

        Das kann nicht so stehen bleiben: "Judith Butler ist eine Antisemitin." Was denken Sie sich eigentlich dabei? Sie reproduzieren hier als selbsternannter Antisemitismus-Kritiker einfach ein anti-semitisches Stereotyp nach dem anderen: nach Ihnen ist die Jüdin Butler entweder an ihrer Verfolgung selbst schuld oder sie hat als gefühlskalte, abstrahierende "Philosophin" (sic! Ihre Anführungszeichen) oder als ortlose Kosmopolitin von und zu Berkeley nicht mal Mitleid mit ihrer Glaubensgeschwistern. Tertium non datur. Und weiter: es gehe ihr nicht um Kritik an israelischen Regierungen und deren Politik, sondern sie arbeite natürlich "verklausuliert" - wie alle Juden also in verschwörerischer Absicht - auf die "Auslöschung" des jüdischen Staates hin.



        Dürfte ich hier bei aller wohl gefühlten Dringlichkeit und Schärfe der Debatte zu Selbstreflexion, etwas mehr Demut und Redlichkeit mahnen? Wer sind Sie, dass Sie sich solche maßlosen Urteile erlauben? Wo kommen wir hin, wenn wir so weiterdebattieren? Wie soll je der Konflikt eingehegt werden, wenn schon die Debatte nur noch in Grabenkämpfen verläuft?

        • @Mutashail:

          Instinktlosigkeit eines Gois

          Zitat @Mutashail (an die Adresse von Kriebs): „Was denken Sie sich eigentlich dabei? Sie reproduzieren hier als selbsternannter Antisemitismus-Kritiker einfach ein anti-semitisches Stereotyp nach dem anderen.“

          Ja, in der Tat, welch polit-moralische Insolenz, als Goi, und dazu noch ausgerechnet als Deutscher, einer praktizierenden Jüdin und Tochter von Shoa-Überlebenden Antisemitismus vorzuwerfen. Das ist an Instinktlosigkeit und Geschichtsvergessenheit schwer zu überbieten.

    • @Rinaldo:

      Ebenso wie Butler blenden Sie die Gewalt von arabischer Seite komplett aus; das muss man ja vielleicht auch, wenn man wie Pappe gegen eine Zweistaatenlösung und für die Abschaffung des Staates Israel ist.

    • @Rinaldo:

      Die Regierung des Gaza-Streifen ist noch rechtsextremer, ich meine sogar offen faschistisch, und hat Pläne zur Säuberung und Islamisierung des jetzigen Israels, die selbst über die fantastischsten Groß-Israel-Pläne hinausgehen.

      Der historische Hintergrund der Araber und des (politischen) Islam ist ebenfalls weitaus stärker von Expansion, Imperialismus und Kolonialismus geprägt, als die jüdisch-israelische Geschichte - Die Araber kamen im 7. Jhdt. als Kolonisatoren in das "heilige Land".

      Das Grundübel und Wurzel vieler Denkfehler des "Postkolonialismus" ist dessen Amerikazentrismus.



      Da in der Neuen Welt die "Weißen" quasi Konkurrenzlos in Sachen Imperialismus waren, wird darauf geschlossen, dass das überall so sein muss.



      In der Realität waren aber Araber, Türken, Perser, Chinesen, Japaner u.a. keine arglose Beute der Europäer sondern deren imperialistische Rivalen.

      • @Chris McZott:

        Weder das arabische Kalifat noch das osmanische Reich waren Kolonialreiche, in denen ein "Zentrum" die Kolonien ausgebeutet hat.

    • @Rinaldo:

      Besser noch ist ein hervorragender taz-Artikel, der eine gute Übersicht zu dem Thema gibt:

      Judenhass, älter als der Holocaust



      taz.de/Israels-Una...von-1948/!5929931/

      Und wer wirklich an der Geschichte Israels seit Jahrtausenden interessiert ist, lese "Die Quelle" des Pulitzer-Preisträgers James A. Michener.