Eskalation im Nahen Osten: Mehr Krieg führt nicht zum Frieden
Israel und die Hisbollah beschießen sich nahezu täglich. Eine diplomatische Lösung scheint nicht in Sicht zu sein.
E s stimmt, dass die Hisbollah eine ekelhafte Organisation ist, die Israel zerstören will. Genauso stimmt es, dass die Situation, die seit fast einem Jahr im Norden Israels herrscht, kein Normalzustand sein darf, mit immer noch Tausenden Israelis, die von der Grenze zum Libanon evakuiert sind und nicht zurückkehren können. Und mit noch nicht evakuierten Bewohner*innen von Dörfern und Kibbuzim, die jeden Moment mit Raketenfeuer oder Drohnenangriffen rechnen müssen und aus Angst vor Beschuss ihre Häuser nicht mehr verlassen.
Nun gibt es Stimmen, die sagen: Bei einem Waffenstillstand im Gazastreifen würde Ruhe im Norden Israels einkehren. Und auch das stimmt: Die Hisbollah würde ihren Beschuss wohl beenden. Doch das Argument greift zu kurz. Das grundlegende Problem wäre damit nicht beseitigt. Das grundlegende Problem, das zwar bereits vor dem 7. Oktober 2023 existierte, aber seit dem Tag auf ganz andere Resonanz in Israel fällt: Dass der Iran seine Stellvertretertruppen rund um Israel aufrüstet und zur Vernichtung Israels aufruft, unabhängig von territorialen Konflikten.
Doch wenn all dies gesagt ist, muss auch die folgende Frage gestellt werden: Werden die Bombardierungen des israelischen Militärs im Libanon den Anwohner*innen dem Norden Israels wirklich Frieden bringen? Es darf bezweifelt werden. Eher sieht es danach aus, dass Netanjahu sein Land in einen ausgewachsenen Krieg zieht, um sich selbst an der Macht zu halten – und in Teilen der israelischen Bevölkerung punkten zu können.
Das erklärte Kriegsziel Netanjahus lautet, den Bewohner*innen im Norden die Rückkehr zu ermöglichen. Soll das wirklich geschehen, indem Israel mehrere Hundert Libanes*innen, unter ihnen zwar zahlreiche Hisbollah-Kämpfer, aber auch Zivilbevölkerung und Kinder, an einem einzigen Tag in Bombardements tötet? Werden sich die Libanes*innen so tatsächlich von der Hisbollah abwenden? Was ist mit der Resolution des Sicherheitsrats aus dem Jahr 2006?
Die Resolution, die von der Hisbollah niemals umgesetzt wurde, verlangt von der Organisation, sich hinter den Fluss Litani zurückzuziehen. Damit sollte die Bedrohung durch Kurzstreckenraketen und Mörsergranaten, die schwere Schäden verursachen, verringert werden. Ein Krieg im Libanon wird Israel keinen Frieden bringen. Und eine diplomatische Lösung wird schwer zu finden sein. Doch eine Alternative dazu gibt es nicht.
Denn der Verdacht liegt nahe, dass die Sicherheitslage Israels ohne eine solche Lösung nach einem Krieg dieselbe sein wird wie jetzt. Nur dass Israel und der Libanon weitere Tausende Tote werden betrauern müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja