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Erhitzung über Israel und den TempelbergFuror und Fische

Das Kabinett um Netanjahu ist ein Gruselkabinett. Doch die Kritik an der Politik des kleinen Landes schäumte diese Woche etwas zu sehr.

Israelische Polizisten sichern den Tempelberg Foto: Maya Alleruzzo/ap

ber die Feiertage haben Sie sicher schöne Dinge getan. Bücher gelesen, lecker gegessen, bisschen gespendet. Ich war im Tierpark. Hellabrunn natürlich, da finde ich den Weg zum Affenhaus am schnellsten, und am schönsten ist er auch.

So schön, wie ein Ort halt sein kann, an dem Tiere in Gefangenschaft leben. Aber was soll ich machen: Es war ein herrlicher Tag mit Freunden, meine Tochter liebt Tiere. Andere Gaudi, wie etwa verschneite Pisten runterzubrettern, ist für immer vorbei.

Ich selbst halte mich ja eigentlich auch für einen Tierfreund, immerhin esse ich seit Jahrzehnten kein Fleisch. So weit, so heuchlerisch. Als ich diese Woche las, dass ein kleines Gorillababy in Hellabrunn eingeschläfert werden musste, zerriss es mir natürlich das Herz. Dasselbe Herz, das doch relativ kalt blieb, als in Berlin neulich ein Aquarium platzte und mehr als tausend Fische elend verendeten. Taten die mir gar nicht leid? Doch, aber so nah wie Affen sind sie mir dann doch nicht.

Wenigstens bin ich mit meiner Durchmogelei nicht allein. Auch das zeigte die Woche sehr deutlich. So las ich mit Erstaunen, dass sich in Deutschland die Zahl der Kriegsdienstverweigerer drastisch erhöht hat. Einer der Hauptgründe – Überraschung! – ist offenbar der Ukraine-Krieg. Ehrlich gesagt war mir Kriegsdienstverweigerung nur aus Zeiten bekannt, als es noch die Wehrpflicht gab. Dass Leute sich aber erst für ein Berufsheer verpflichten, dann aber nicht auf andere Menschen schießen wollen, ist doch recht erstaunlich – geradezu süß. Und natürlich bin ich sehr dafür, wenn Menschen zu dieser Erkenntnis kommen, und finde, sie sollten jedes Verständnis und jede Unterstützung bekommen.

Gleichzeitig landet man, wenn man weiterdenkt, natürlich irgendwann bei der Frage der Sinnhaftigkeit des Militärs insgesamt. Wenn das vergangene, furchtbare Jahr eines gezeigt hat, dann doch, dass es in einer Welt von Bullys und Despoten eben nicht ganz verkehrt ist, wehrhaft zu bleiben. Oder zynisch gesagt: Schön, wenn die ukrainischen Männer Putin in Schach halten, solange müssen wir es nicht selbst tun.

Wie sollte man sonst erklären, dass von allen Idiotien, die uns gerade um die Ohren pfeifen, gerade der Besuch des Tempelbergs die ist, die diese Woche eine Einberufung des UN-Sicherheitsrats erfordert?

Dann ist es doch intellektuell bequemer, sich über etwas aufzuregen, bei dem man aber ganz sicher richtig ­liegt: die neue israelische Regierung. Nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Das Kabinett um Netanjahu ist ein Gruselkabinett. Ich verzweifle daran, nicht nur politisch. Doch so sehr mich die Knessetwahl enttäuscht, so sehr geht mir der Furor auf die Nerven, mit dem der Rechtsruck hier verdammt wird. Es ist nicht die Kritik selbst, es ist der Eifer, mit dem sie vorgebracht wird, der mir verdächtig erscheint.

Es gibt ähnliche Entwicklungen in Europa. Länder mit rechtsextremer Regierung wie Italien, Länder, in denen die unabhängige Justiz massiv ausgehebelt wird, wie Ungarn. Länder also, mit denen wir engere wirtschaftliche Beziehungen haben und in die wir öfter in Urlaub fahren. Das mediale Fauchen darüber aber klingt dann doch etwas rationaler. Warum? Wenn man nicht heucheln will, findet man die Antwort schon in der gespreizten Erklärung, Deutschland habe eine besondere Verantwortung für Israel. Das ist natürlich richtig, aber so, wie sie gebraucht wird, klingt sie manchmal ein bisschen nach: „Ich bin kein Rassist, aber …“

In Wahrheit liegt doch unter der ganzen schäumenden Empörung die Erleichterung, dass diejenigen, die vor 80 Jahren Opfer des deutschen Faschismus waren, auch nicht nur „gut“ sind. Als wäre das, was die Generation unserer Großeltern getan hat, dadurch ein bisschen weniger schlimm. Die Wut auf die Opfer von einst, die das eben nicht mehr sind und nie mehr sein wollen, wirkt allerdings weltweit. Wie sollte man sonst erklären, dass von allen Idiotien, die uns gerade um die Ohren pfeifen, eine – zugegeben dumme – Provokation wie der Besuch des neuen israelischen Polizeiministers Itamar Ben-Gvir auf dem Tempelberg die ist, die diese Woche eine Einberufung des UN-Sicherheitsrats erfordert?

Wahrscheinlich leben wir einfach alle mit einer kälteren und einer wärmeren Seite in unserem Herzen.

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Ariane Lemme
Redakteurin
schreibt vor allem zu den Themen Nahost, Antisemitismus, Gesellschaft und Soziales
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20 Kommentare

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  • Liebe Frau Lemme, Sie haben die ganze Heuchelei bei uns auf den Punkt gebracht.

  • Vielen Dank, Frau Lemme. Leider ist es wirklich ein Gruselkabinett.

  • Eine 2 Staaten Lösung kann man von der neuen Regierung auch nicht erwarten. Wieso auch. Klappt seit über 70 Jahren nicht und es gehören mehrere Akteure dazu.

    • @Klempner Karl:

      ROFL. Wer in Israel will /wolte jemals eine 2. Staaten Lösung? Rabin? Der wurde ermordet. Im Gegenteil, man will die besetzten Gebiete annektieren

  • Tja leider bringt die TAZ nichts zu der Reaktion der IMO rassistischen Regierung, die als Strafe Steuergelder zurückhält. Die Kritik an diesen rechten Nationalisten, die Netanyahu um sich geschart hat, ist nur allzu berechtigt. Alleine schon die Bestrebungen, das oberste Gericht, welches allzeit fair und demokratisch entschieden hat, auszuhebeln über Parlamentsentscheide, zeigt, welch Geistes Kind diese Regierung ist.

    • @sachmah:

      Auch bei uns werden Konten von libanesich/türkischen Clans beschlagnamt oder Inmobilien von Straftätern verwertet. Die beschlagnamten Gelder aus dem Westjordanland werden als Entschädigung für Terrorismusopfern verwendet. Ansonsten warte ich noch auf Vorschläge oder Vorstellungen mit wem ein Palästinenserstaat realisiiert werden soll. Mit Hamas, Fatah, islamischer Dschihad, Hisbolla etc. wird es nicht gelingen. Auf weiter Flur kein vernünftiger, gemäßigter palästinensischer Politiker oder demokratische Strukturen.

  • Rechtsdrang und Extremismus ist überall besorgniserregend. Allerdings - so schlimm die Politik Ungarns oder Italiens z.B. auch ist - es ist keine Besatzungspolitik die seit Jahrzehnten anhält wo militärisch eine gesamte Bevölkerung unterdrückt wird. So etwas schürt nur noch mehr Opfer und Extremismus auf beiden Seiten.



    Deswegen muss eine solche Politik weltweit klar verurteilt und ggf. sanktioniert werden.

    • @Papalucas:

      Ein Ladinier in Südtirol hat mir mal erklärt, seine Kultur und Sprache wäre jahrhundertelang von Kirchenoberen und Fürsten - also vom Staat - unterdrückt worden. "Allen Widrigkeiten zum trotz hat Ladinien bis in die Gegenwart überlebt. In den fünf Alpentälern ist die Ladinische Sprache Pflichtfach an den Schulen." Aus:



      www.suedtirol.de/r...inien-ladinia.html

  • Aus der Perspektive eines marxistisch aufgeklärten deutschen Atheisten betrachtet lassen sich die Geschehnisse wie folgt beschreiben: Ein Jude spaziert über einen Berg, der innerhalb des Judentums die heiligste Stätte repräsentiert. Der gleiche Berg, gewissermaßen in Montanunion, fungiert innerhalb des Islam als drittheigligste Stätte. Nach Adam Riese folgt, dass der Berg den Juden dreimal so heilig ist wie den Muslimen. Daher wäre zu erwarten, dass sich die Juden drei mal so stark darüber echauffieren, wenn ein Muslim über den Berg spaziert. Die Beobachtung lehrt aber, dass das Erregungspotenzial umgekehrt proportional zum relativen Heiligkeitslevel zu sein scheint. Was wohl erst los wäre, wenn Itamar Ben-Gvir in Mekka in die Kaaba spazieren würde?

  • Ich bin ein Fan des Berliner Tierparks. Ich kenne keine vergleichbare Einrichtung in Deutschland, die den Tieren so entgegenkommt.

    Es ist mir schon einmal passiert, dass ich dort ein paar Stunden unterwegs war und nur sehr wenige Tiere zu Gesicht bekommen habe. Der Laden ist einfach riesig.

    Die Tiere sitzen irgendwo im Gebüsch und feixen sich eins.

    Was die Gefangenschaft angeht, da bin ich zwiegespalten. Natürlich sind die Tiere nicht frei, aber sind frei von Todesangst. Stehen nicht in der Savanne herum und müssen dauernd mit Löwenangriffen rechnen.

    Sie werden älter als in der freien Wildbahn, was wohl auch an der fürsorglichen medizinischen Vorsorge und Behandlung liegt. Sie müssen ihr Essen nicht umständlich zusammensuchen, sondern bekommen es frei Haus.

    Und mit etwas Glück kommen sie auch noch ins Fernsehen.

    Was die Kritik an Israel angeht, bei keinem anderen Staat der Welt wird der Mixer mit zusammen gekniffenen Lippen und aufeinander gebissenen Zähnen so lange in den Topf gehalten, bis der Schaum die halbe Küche überschwemmt.

    Wie sagte Léon Poliakov: "Israel ist der Jude unter den Staaten."

    Deshalb kriegt er deutlich mehr Fett weg als alle anderen. Und das von weit oben, wie dem UN-Menschenrechtsrat bis weit unten aus den Katakomben des taz-Forums.

    • @Jim Hawkins:

      ...Taten die mir gar nicht leid? Doch, aber so nah wie Affen sind sie mir dann doch nicht...



      Schöner, ehrlicher Satz!



      .. Ehrlich gesagt war mir Kriegsdienstverweigerung nur aus Zeiten bekannt, als es noch die Wehrpflicht gab...



      Genau, hier mußte ich auch erst mal wieder nachlesen.



      "Israel ist der Jude unter den Staaten"



      Carmen Maja Antoni



      34:18!!



      Der kürzeste Witz-George Tabori



      www.youtube.com/watch?v=jSyAWYM_REE



      Andere Ebene aber beeindruckend!



      (Gysi zu vernachlässigen)



      Wunderbar von Israel und dem Tempelberg nach Friedrichsfelde-TP!



      So schön geschrieben! Die Seele des (fast) Ostberliners schwingt in Harmonie.

    • @Jim Hawkins:

      "Kritik an Israel"

      Die Kritik ist spezifisch, zielgenau und berechtigt.

      Wie kommen Sie darauf Kritik an Rechtsextreme und deren nationalistischer rassistischer Politik in der israelischen Regierung als "Kritik an Israel" umzudefinieren?

      Die Kritik ist spezifisch, zielgenau und berechtigt. Rechtsextremismus, Rassismus und Nationalismus sind keine Lösungen. Nirgendwo.

      • @Rudolf Fissner:

        Zielgenau ist die "Kritik" durchaus, spezifisch ist sie absolut - berechtigt nicht. Sonst würde sie nicht ohne Unterschied, welche Regierung im Amt ist, mit stetig dem immergleichen Furor vor sich hinschäumen.

        • @Henriette Bimmelbahn:

          Die Kritik richtet sich nicht gegen den vorigen Ministerpräsidenten und aktive Vertreter der Zweistaatenlösung.. Sie richtet sich gegen die rechten und rechtsextremen nationalistischen Siedlungsheinis. Das können Sie gerne immergleichen Furore nennen.

          • @Rudolf Fissner:

            Wenn es Ihnen hilft, dann nennen Sie die "Kritik" halt Kritik. Der Wahrheitsfindung dient das jedenfalls nicht.

    • @Jim Hawkins:

      Fett ist zumindest schon mal eine gute Grundlage für eine Mayonnaise. Und das Lecithin als Emulgator, Knoblauch, wichtig auch angenehme Temperatur, dann klappt es und man muss den Pürierstab nicht so lange in den Topf halten bis es spritzt, (langsam vom Grund den Stab hochführen, während man den Trigger betätigt). Es braucht halt Fingerspitzengefühl bei der Zubereitung - Das Ergebnis schmeckt Juden, Christen u Muslimen gleichermaßen. Vielleicht lassen sich, bei sensibler, gewaltfreier Kommunikation der Israelis, die Palästinenser ja mit guter Mayonnaise gratis für alle plus Beilage zum reintunken an allen Tagen in ihrem Gehege pazifizieren? Vielleicht ließe sich mit einer guten Mayonnaise sogar die ganze Welt befrieden. Harmoniesauße für alle.

    • @Jim Hawkins:

      "Deshalb kriegt er deutlich mehr Fett weg als alle anderen."



      Keine Frage, der Diskurs ist von Antisemitismus geprägt, ebenso von Antisemitismusvorwürfen. Die im Text vertretene These, die Entwicklung in der aktuellen Knesset wäre mit den gleichfalls rechtsradikalen Entwicklungen in Italien oder Ungarn vergleichbar scheint mir dann aber doch eher steil, weil man dort eben nicht ständig kurz vor der nächsten Intifada steht oder ein Krieg mit einem benachbarten, nach Atomwaffen strebenden Terrorregime mit dem Potential zum Flächenbrand mit nuklearer Eskalation nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint.

      • @Ingo Bernable:

        Da kann ich nur zustimmen.

        Und diese Bedrohungslage muss von den "Israel-Kritikern" komplett ausgeblendet werden, damit ihre immer weniger schaumgebremste Suada zumindest in ihrer schlichten Vorstellungswelt Sinn ergibt.

        Aber ein Gruselkabinett ist es schon.