Entlastungspaket gegen Inflation: Lindner will Steuern stark senken
Der Bundesfinanzminister plant, den Grundfreibetrag, das Kindergeld und den Kinderfreibetrag zu erhöhen. SPD und Grüne kritisieren die Pläne als ungerecht.
Lindner erklärte, bei den Gesetzesplänen gehe es nicht um eine zusätzliche Entlastung der Bürger, sondern um die Vermeidung einer zusätzlichen Belastung infolge der Inflation: „Hier geht es um den Verzicht auf Steuererhöhung“, sagte der FDP-Politiker. Wenn der Bund nicht handele, drohe 48 Millionen Menschen durch die kalte Progression eine heimliche Steuererhöhung.
Dem Finanzminister zufolge würde der Staat nach seinen Plänen auf rund zehn Milliarden Steuereinnahmen verzichten, davon entfielen gut vier Milliarden Euro jeweils auf den Bund und die Bundesländer und rund zwei Milliarden Euro auf die Kommunen. Lindner betonte, dass die Anpassung des Einkommenssteuertarifs nur bis zum Anderthalbfachen des Durchschnittseinkommens erfolgen solle.
Damit steige die Entlastung ab einem Einkommen von rund 62.000 Euro im Jahr nicht weiter an, sagte er. Im Durchschnitt über alle Einkommen liege sie bei 192 Euro. Die sogenannte kalte Progression führt dazu, dass steigende Einkommen sich gar nicht oder sogar negativ auf den Geldbeutel auswirken können, wenn für sie höhere Steuern fällig werden, weil der Einkommenssteuertarif unverändert bleibt.
Empfohlener externer Inhalt
Medien zufolge, denen der Gesetzentwurf vorliegt, soll zudem der Grundfreibetrag, der das Existenzminimum eines Erwachsenen steuerfrei stellt, im kommenden Jahr auf 10.633 Euro und im übernächsten Jahr auf 10.933 erhöht werden. Er war bereits in diesem Jahr um 363 Euro auf 10.347 Euro erhöht worden. Den Plänen zufolge gilt 2023 außerdem der Spitzensteuersatz erst bei einem zu versteuernden Einkommen von 61.972 Euro. Aktuell sind es 58.597 Euro, im Jahr 2024 sollen es 63.521 Euro sein.
Das Kindergeld für die beiden ersten Kinder soll 2023 um acht Euro auf dann 227 Euro pro Monat steigen. Für das dritte Kind sollen Eltern zwei Euro mehr, dann ebenfalls 227 Euro. Für das vierte Kind bleibt es bei 250 Euro. 2024 soll das Kindergeld für die ersten drei Kinder noch einmal um sechs Euro angehoben werden.
Die Koalitionspartner SPD und Grüne kritisieren die Steuerpläne Lindners. SPD-Fraktionsvize Achim Post erklärte am Mittwoch: „Ein weiterer kräftiger Entlastungsimpuls bis in die Mitte der Gesellschaft ist richtig und notwendig. Die vorgeschlagenen Maßnahmen von Bundesfinanzminister Lindner würden aber hohe Einkommen besonders stark entlasten und sind damit sozial noch nicht ganz ausgewogen. Hier sollten wir nachbessern.“
Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch sagte: „Steuersenkungen in Milliardenhöhe, von denen Topverdiener dreimal so stark profitieren, wie Menschen mit kleinen Einkommen, gehen an der Realität vorbei.“ Es müssten nun Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen entlastet werden.
Auch Post sagte, die hohen Energie- und Lebensmittelpreise träfen vor allem kleine und mittlere Einkommen. „Diese müssen gezielt unterstützt werden – und das absehbar auch noch einmal verstärkt in diesem Jahr.“ Dafür seien Direktzahlungen das beste Mittel der Wahl. Post nannte als Beispiel die bereits beschlossene Energiepreispauschale.
Der finanzpolitische Sprecher der Linken-Fraktion im Bundestag, Christian Görke, nannte Lindners Steuerplan einen „Witz“. Die unteren 70 Prozent der Bevölkerung würden fast komplett leer ausgehen, da sie kaum Einkommensteuer zahlten. „Eine Senkung hilft ihnen daher nur minimal. In absoluten Zahlen profitieren Spitzenverdiener nach Lindners Vorschlag sogar am stärksten.“
Dem Bund der Steuerzahler gehen die Pläne Lindners dagegen nicht weit genug. „Es handelt sich nicht um ein echtes Entlastungspaket, sondern nur um einen teilweisen Ausgleich der extrem hohen Belastung“, so Präsident Reiner Holznagel. Zudem stecke nicht nur ein politischer Wille dahinter, sondern vor allem eine gesetzliche Verpflichtung. Schließlich müssten die Freibeträge für Kinder und Erwachsene bei der Einkommensteuer per Gesetz der Preissteigerung angepasst werden.
Das Statistische Bundesamt gibt an diesem Mittwoch Details zur Entwicklung der Verbraucherpreise im Juli bekannt. Nach vorläufigen Daten lag die Jahresteuerungsrate in dem Monat bei 7,5 Prozent. Im Juni waren die Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat noch um 7,6 Prozent gestiegen und im Mai um 7,9 Prozent.
Aktualisiert am 10.08.2022 um 11. 40 Uhr. d. R.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin